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Politische Bildung an Schulen fördern und Gemeinsinn stärken

„Zehn Regeln für Demokratie-Retter“ war das Thema des diesjährigen Schulpolitischen Aschermittwoch, zu dem Pfarrer Rolf Domning, Stadtsuperintendent des Evangelischen Kirchenverbands Köln und Region, die eingeladenen Schulleiterinnen und Schulleiter, die Mitglieder der Schulaufsicht, den kirchlichen Arbeitskreis Schule sowie die Lehrerinnen und Lehrer im Haus der Evangelischen Kirche begrüßte.

Der diesjährige Referent war Philosoph und Journalist Jürgen Wiebicke, der seine Überlegungen und Thesen zu seinem Thema „Zehn Regeln für Demokratie-Retter“ präsentierte. Hierzu hatte er im vergangenen Jahr ein Buchveröffentlicht, das die Grundlage seines anschließenden Vortrages bildete. Wiebicke gibt darin den Lesern zehn griffige Regeln an die Hand, mit denen Ratlosigkeit überwindet werden soll. Er argumentiert konkret, wie eine bessere demokratische Gesellschaft gelingen kann. Ein paar seiner Regeln lauten u.a. „Liebe Deine Stadt“, „Bleibe gelassen im Umgang mit Demokratie-Verächtern“, „Verliere nicht den Kontakt zu Menschen, die nicht deiner Meinung sind“ und „Packe Probleme nicht in Watte“.

Stadtsuperintendent Domning griff den Demokratiebegriff auf und nahm Bezug auf die demokratischen Strukturen in der evangelischen Kirche. „Demokratie ist ein Grundprinzip, nicht nur auf der Ebene unserer staatlichen Verfassung, sondern bis in die einzelnen Räume unseres täglichen Lebens. Öffentliche Schulen sind Ausdruck demokratischen Selbstverständnisses und zugleich exemplarische und unverzichtbare Lernorte für das Einüben von Demokratie. Als evangelische Kirche halten wir Demokratie nicht nur für wichtig, sondern haben auch in unserer Kirche eine demokratische Struktur“, sagte Domning. Die evangelische Kirche im Rheinland ist presbyterial-synodal verfasst. Kirchenleitungen und Prozesse werden demokratisch gestaltet. „Das ist oft kontrovers, anstrengend und bisweilen dauert es eine ganze Zeit bis eine Entscheidung getroffen und ein Kurs eingeschlagen wird“, so Domning. Zentral bleibt die Frage, wie Menschen gewonnen werden können, um an der Gesellschaft, an der demokratischen Struktur, mit zu bauen. „Demokratie ist anstrengend, aber ist aus unserer Sicht alternativlos“, betonte Domning.
Philosoph und Journalist Jürgen Wiebicke erklärt seine
Jürgen Wiebicke möchte mit seinem Werk „Zehn Regeln für Demokratie-Retter“ eine „Orientierungshilfe“ geben. Der Journalist reiste einen Monat lang mit dem Rucksack durch NRW, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und in unterschiedliche Lebenswelten einzutauchen. Er stellte nach vielen Gesprächen einen tief lähmenden, eingefressenen Pessimismus in der Gesellschaft fest. Der Pessimismus, der Fatalismus und die Orientierungs- und Ratlosigkeit ziehen sich nach seiner Erfahrung quer durch alle Schichten der Gesellschaft. Wiebicke schaute demnach nach der Wahl Donald Trumps nur noch in ratlose Gesichter. Der Philosoph und Moderator des „philosophischen Radio“-Formats fühlt sich selbst als sehr privilegierter Mensch unter der Sonne. Berufsbedingt hat er jede Woche mit klugen Köpfen zu tun und liest wöchentlich kluge Texte zur Verfassung dieser Welt und zum Zustand der Gesellschaft. Trotzdem ist er persönlich auch erfasst von dieser Orientierungslosigkeit und sucht Antworten, diesem Zustand entgegenzuwirken. „Demokratie ist kein fertig gebautes Haus, in dem nur noch Möbel gerückt werden, sondern in dem man immer noch schauen muss, wo die Stellschrauben sind, um sie weiterzuentwickeln. Demokratie müsse von unter wieder lebendig gemacht werden, hierfür sprach sich Wiebicke aus.

Menschen fühlen sich nach seinen Aussagen identitätslos, ohnmächtig, sie haben das Gefühl, dass sie von der Politik nicht gehört werden und dass ihr Handeln wenig positive Auswirkungen hat. Um diesen Gefühlen entgegenzuwirken, ist es essenziell, sich ins Gemeinwesen einzubringen, empfiehlt Wiebicke. Man müsse weg von der Egogesellschaft kommen und stattdessen die Zivilgesellschaft fördern und stärken. Die erste Regel des Autors lautet „Liebe deine Stadt“. Menschen sollten sich mit ihrem Sozialraum identifizieren. Es sei auch wichtig, dass man zusammen Sachen unternehme und sich mit Menschen vernetze, die die gleiche Postleitzahl haben, meint Wiebicke. Den Lehrkräften an Schulen gab Wiebicke verschiedene Anregungen mit auf den Weg. Viele Schülerinnen und Schüler tauschten sich nach der Schule in sozialen Netzwerken aus, und die Lehrer seien vom Online-Diskurs abgehängt. Folglich entstehen hierdurch immer mehr Parallelwelten. Die Lehrer stehen nach seiner Ansicht vor der Herausforderung, ihre Schüler auf den richtigen Kanälen zu erreichen.

Daneben sei die Identitätsfrage sehr scharf zu stellen und die Gesellschaft müsse Antworten darauf finden, so Wiebicke. „Schüler sind heutzutage wenig vertraut mit dem öffentlichen Sprechen über Dinge, die wichtig sind“, stellte Wiebicke fest. Die Artikulation fehle. Besonders kritisch sieht der Philosoph das „pisaförmige Schulsystem“, in dem es nur darum geht, Leistung zu testen und zu messen. Die Schülerinnen und Schüler ständen unter enormen Leistungsdruck und seien auf sich alleine gestellt. Des Weiteren aus seiner Sicht ist die politische Bildung ein wichtiges Stichwort für die Schülerinnen und Schüler. Für Wiebicke ist die zentrale Frage, wie Gemeinsinn heute entstehen kann. Das sei die Aufgabe von Schule, darüber nachzudenken. Wichtig ist demnach das Entstehen von sozialen Räumen, die zum Austausch anregen. Die evangelische Kirche schaffe auch soziale Räume, die zum Austausch dienen. Wiebicke vertritt die Meinung, dass ein Teil der Demokratiekrise darin besteht, dass die Demokratie keine Orte mehr hat. Die Polis habe keine Agora mehr, so Wiebicke. Hier entsteht ein Konflikt, denn Demokratie brauche Orte.

Seit vielen Jahren moderiert Jürgen Wiebicke beim WDR 5 jeden Freitagabend „Das philosophische Radio“, die einzige interaktive Philosophie-Sendung im deutschsprachigen Hörfunk. 2012 gewann er den Medienethik-Preis META der Hochschule für Medien Stuttgart. Er gehört zu den Programm-Machern des internationalen Philosophie-Festivals „phil.Cologne“. Der Schulpolitischen Aschermittwoch im Evangelischen Kirchenverband Köln und Region wurde vom Pfarramt für Berufskollegs und dem Schulreferat organisiert und durchgeführt.

Text: Sarala Hackenberg
Foto(s): Sarala Hackenberg