Das Thema war mindestens so hochaktuell wie brisant. „Nach den Ferien – haben die Schulen dazu gelernt?“ lautete die Frage, die in der Aula des Deutzer Gymnasiums Schaurtestraße in der Reihe „WiederSprechen“ der Melanchthon-Akademie diskutiert wurde. Moderiert wurde der Abend von dem Journalisten und Autor Arnd Henze. Auf dem Podium saßen Xueling Zhou aus dem Vorstand der Bezirksschüler*innenvertretung, Robert Voigtsberger, Dezernent für Bildung, Jugend und Sport der Stadt Köln, Jost Klausmeier-Sass, Pfarrer an einem Berufskolleg, und Andy Schöller, Lehrer für Mathematik und Sport am Gymnasium Schaurtestraße.
„Verdammt, bin ich jetzt infiziert?“
Henze sprach Xueling Zhou auf ihre Erwartungen an, mit denen sie ins neue Schuljahr gestartet ist. Über die Maßen hoch seien die nicht gewesen, gestand sie: „Von den Vorgaben des Ministeriums bin ich enttäuscht. Die neuen Regelungen sorgen nicht ja nicht unbedingt für Sicherheit.“ Sie besucht das Gymnasium Genovevastraße. Dort habe man zwei Wochen nach Schulbeginn bereits 30 infizierte Schülerinnen und Schüler gezählt. Die seien in Quarantäne geschickt worden. Ebenso wie die Mitschülerinnen und -schüler, die in unmittelbarer Nähe gesessen hätten. Und die, mit denen sie in der Kantine gegessen hätten. „Wir bereiten uns auf das Abitur vor. Wir können es uns nicht leisten, wochenlang auszufallen“, klagte sie. Aber natürlich, räumte sie ein, sorgten die obligatorischen Tests montags und mittwochs für ein Stück weit Angstfreiheit vor der Ansteckung. Und trotzdem: „Kommt man in Quarantäne, sitzt man zu Hause und denkt: Verdammt, bin ich jetzt infiziert? Und hat natürlich Angst, dass man so viel Lernstoff verpasst, dass man nach den zwei Wochen nicht mehr mitkommt. Es gibt ja nur noch Präsenzunterricht.“
Tagesstruktur komplett verloren
Andy Schöller vermutete nach kurzer Rücksprache mit Schulleiterin Anja Veith-Grimm, die in der ersten Besucherreihe saß, dass am Gymnasium Schaurtestraße bisher weniger als fünf Infektionen aufgefallen seien. „Das werden bei uns wahrscheinlich bald auch mehr sein.“ Schöller hat große Wissens-Unterschiede bei den Grundschülerinnen und -schülern festgestellt, die am Deutzer Gymnasium eingeschult wurden. Jost Klausmeier-Sass hat beobachtet, dass die Jugendlichen am Berufskolleg sehr dankbar dafür waren, wieder die Schule und auch das Schulhaus besuchen zu dürfen. „Die waren so gerne da, wie man sich das früher nicht hätte vorstellen können. Die haben die Gemeinschaft vermisst, aber auch die Pflichten und Regelungen. Ich habe aber auch Menschen erlebt, die ihre Tagesstruktur komplett verloren haben. Schülerinnen und Schüler, die morgens am Monitor für den digitalen Unterricht nur das Programm gewechselt haben, weil sie die ganze Nacht Spiele gezockt haben.“
Es gebe darüber hinaus Depressionen, Sozialphobien und große Schwierigkeiten, sich in Menschenmengen zu bewegen und auf Strukturen einzulassen. Klausmeiner-Sass forderte Unterstützung der Lehrerkollegien durch externe Kräfte bei der Bewältigung der Folgen der Pandemie. Es sei völlig unzureichend, dass das Landesschulministerium angeordnet, dass es in den zwei Wochen nach Schulstart keine Leistungsüberprüfung bei den Schülerinnen und Schülern geben dürfe. Dem pflichtete Xueling Zhou ausdrücklich bei. „Lerndefizite sind da. Und das Aufholen wird jetzt in das neue Schuljahr gepresst.“ Sie erinnerte an ein Jahr Digital-Unterricht. „Wir hatten niemanden, bei dem wir mal hätten auskotzen können. Viele von uns haben depressive Stimmungen. Wir finden nur langsam in den Lernmodus zurück. Bevor wir Schüler und Schülerinnen sind, sind wir Menschen. Und als solche fühlen wir uns gerade ziemlich aufgeschmissen.“
„Wir setzen alles daran, dass der Präsenunterricht gelingt.“
Dezernent Voigtsberger lobte die Arbeit der Verwaltung: „Viele versuchen, es so gut wie möglich zu machen. Köln hat gute Lösungen. Ich verweise auf die mobilen Testungen, die frühzeitige Impfung der Lehrer mit Restimpstoffen, den Lolli-Test an Grund- und Förderschulen und die Entzerrungen beim Schülerverkehr. Bei der digitalen Ausstattung der Kollegien und der Klassen haben wir einen Quantensprung gemacht. Wir haben Luftfilter in großer Zahl bestellt. Kurz: Wir setzen alles daran, dass der Präsenunterricht gelingt.“
Das Kölner Gesundheitsamt gehe sehr sensibel mit dem Instrument Quarantäne um und verhänge sie so selten wie möglich. Darüber hinaus seien in Köln 22 Prozent aller Schülerinnen und Schüler zwischen zwölf und 17 Jahren zweimal geimpft. 33 Prozent hätten die Erstimpfung hinter sich. Er habe für die Impfung nicht geworben, erklärte Schöller.
Es gebe Diskussionen unter den Schülerinnen und Schülern. Es gebe aber immer mehr, die sich impfen ließen. Der Mathe-Lehrer kritisierte, dass es noch kein einheitliches digitales Konzept gebe, das allen Schulen zur Verfügung stehe. So gebe es beispielsweise unterschiedliche Plattformen, auf denen man mit den Kindern kommuniziere. Und: „30 Prozent der Schülerinnen und Schüler habe zu Hause kein WLAN.“
Auch beim digitalen Unterricht gebe es große Unterschiede. Die reichten von täglichem Unterricht durch die Lehrer bis zu einer Mail pro Woche. Voigtberger nannte Zahlen: Man habe 11.000 Endgeräte für Lehrer angeschafft und über 50.000 für Schülerinnen und Schüler. Im Übrigen dürfe die Ausstattung der Schulen nicht daran hängen, ob sich einzelne Lehrerinnen und Lehrer überdurchschnittlich engagierten. Dieses von Hentze „Windhundverfahren“ genannte Prinzip müsse durchbrochen werden. Klausmeier-Sass erinnerte daran, dass es an Berufskollegs über Corona hinaus in Köln noch ganz andere Problemen gebe: „Ich habe mit einem Maler-Ausbildenden gesprochen, der in Kürze seine Prüfung ablegt. Der verdient dann 2000 Euro im Monat. Damit wird er sich in dieser Stadt keine Wohnung mehr leisten können.“
Foto(s): Stefan Rahmann/APK