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Pfarrer Uwe Becker: Dieser Krieg ist Unrecht. Eine Andacht.

Einen Tag vor dem Beginn deas Irak-Krieges hat Pfarrer Uwe Becker, der Leiter des Sozialwerks im Evangelischen Stadtkirchenverband Köln, die folgende Predigt als „Zehn-Minuten-Andacht“ in der Antoniterkirche gehalten. Er hat diese Andacht am Tag des Kriegsbeginns noch einmal überarbeitet. Hier die Fassung vom 20. März:

„Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen: Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein.“ Mk 10,42f.


Liebe Gemeinde,


ein weitsichtiger Kommentar. Die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder. Mit offenbar zeitloser Gültigkeit, schreibt er sich variantenreich in die Kolumnen gegenwärtiger Kriegsberichtserstattung.
Wie nüchtern zu erwarten war: der Krieg hat nun begonnen. Physisch, wie psychologisch schon lange vorbereitet und praktiziert.
Physisch, denn schon länger wird ja bombardiert.
Strategische Knotenpunkte, potentielle Raketenstellungen irakischer Luftabwehr in den Flugsicherheitszonen, sie sind längst schon unter dem Flächenbrand amerikanischer Bomben zermalmt. Physisch, weil das Embargo, Lebensmitteln, dringend notwendigen Medikamenten, Grundausstattungen der medizinischen Versorgung die Zufuhr abgeschnitten hat, Tausende von Menschen sind jährliche Opfer.

Aber eben auch psychologisch ist dieser Krieg langanhaltend vorbereitet, mit rhetorischer Mühe begleitet, biblisches Denken im Ansatz verkehrend, verdrehend für die Zwecke einer verbalen Zurüstung für den Krieg.
Längst wird uns dieser Krieg als Automatismus der notwendigen Bändigung der Macht des Bösen zelebriert, sind politische, vernünftige, abwägende Gedanken und Argumente als Geschwätz schwächlicher Unmännlichkeit an den Pranger gestellt, wird Nachdenklichkeit über die Folgen eines Flächenbrandes im Nahen und Mittleren Osten als zaudernde Illoyalität gegenüber denen ausgelegt, die die alleinige Interpretations- und Definitionshoheit beanspruchen, zu sagen, wann es fünf vor Zwölf ist und wann die volle Stunde schlägt.

Und die schlägt offenbar gegenwärtig, seit heute Nacht.

Sie halten ihre Völker nieder.

Mit Blick auf die amerikanische Regierung, variiere ich:
Sie halten ihre Völker für dumm, sie scheren sich nicht um den redlichen Aufstand der Besonnenheit, verschließen sich der Offenheit für plausible Argumente, verdrehen die Demokratie, die auf die Kraft der Argumente setzt, in die Diktatur der Aufrüstung. 300 Tausend Soldaten an den Grenzen des Irak, das ist das Argument, das Fakten setzt und jeden friedlichen Weg zur Entwaffnung schon im Ansatz ad absurdum führt.

Sie halten ihre Völker für dumm, sie halten sie ahnungslos und uninformiert. Das Untersagen direkter ausländischer Kriegsberichterstattung wurde schon angekündigt, das Hotel der Korrespondenten in Bagdad wird ein erstes Ziel sein, damit die Wahrheit über die Verluste hüben wie drüben, über die vermutlich Tausende von Opfern in der Zivilbevölkerung, über die wahren Schrecken jenes Kriegs auch nicht ansatzweise ans Licht gerät.
Die halten ihre Völker nieder. Natürlich noch entsetzlicher, mit systematischer Willkür betrieben auf der irakischen Seite. Folter und bestialische Verstümmelungen, Tausende von Toten, Verschleppte, nie wieder ans Tageslicht geratene Opfer, tyrannische Herrschaft des Schreckens, die auf bestialische Weise Humanität, Freiheit und Demokratie in den Dreck schleudert. Wer die amerikanische Regierung kritisiert, darf diese Seite natürlich nicht außer Acht lassen, aber bitte, wer tut dies denn ernst zu nehmender Weise wirklich?

Es bleibt dabei: dieser Krieg, vorbei an allen Konventionen des Völkerrechts, der UNO-Mandate, und auch vorbei an jedem erkennbaren Willen auf friedlichem Wege zum Frieden zu gelangen, dieser Krieg ist Unrecht. Dieser Krieg stellt beide Seiten unter das Wort Jesu: Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an.

Und wir. Wir ohnmächtigen Zuschauer. Nun gut, wir demonstrieren vielleicht, wir öffnen unsere Kirchen seit heute mit Kriegsbeginn täglich eine Woche lang in jeder Kirche um 17 Uhr. Wir sind natürlich konfrontiert mit der Verlegenheit derer, die sonst nichts tun können, gezwungenermaßen werden wir quasi zu Kriegskonsumenten an eingeschalteten Fernsehern, spüren unsere Ohnmacht, unsere Entrüstung, unsere Angst. „Mehr können wir nicht tun als zu beten.“ – so die Worte eines Gemeindemitglieds.

Und nun lese ich die Worte Jesu: „Aber so ist es unter euch nicht, sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.“

Liebe Gemeinde, das ist mehr als zu demonstrieren, mehr als zu beten, das geht weit darüber hinaus: Ihr sollt einander dienen. Das ist der Aufruf zum aktiven Verzicht auf Herrschaft schon im Kleinen, schon in der Partnerschaft, bei der Erziehung der Kinder, gegenüber den Nachbarn, am Arbeitsplatz. Anders gesagt: die Herrschaft der Großen ist deshalb so auffällig, weil sie die notwendige Macht und Aufmerksamkeit haben, die Herrschaft der Kleinen, sie ist ebenso präsent, nur ist sie verborgener, kommt weniger spektakulär daher, spielt sich subtiler ab, aber nichts desto Trotz: Sie verschafft sich Raum zwischen Menschen, prägt die alltäglichen Beziehungen und genau da greift Jesus ein und ruft zur Abkehr und Umkehr auf, zum aktiven Verzicht auf diese Herrschaft im Kleinen, zu einer Kultur herrschaftsfreier Gestaltung.
Was heißt das: Liebe Gemeinde, in aller gebotenen Kürze nur ein Beispiel: Vielleicht, dass ich mich selber frage, wo praktiziere ich das, möglicherweise in der Partnerschaft, dass ich verlernt habe, den anderen oder die andere mit den jeweiligen Bedürfnissen und Eigenarten zu achten, dass ich stets darauf bedacht bin, meine Dinge durchzusetzen, vielleicht aus Angst nicht ausreichend zum Zuge zu kommen, wo sind Pfade dieser subtilen Herrschaft festgefahren und haben schon längst innerhalb von Beziehungen zu abgestumpftem Alltagskrieg geführt.
Wo habe ich Möglichkeiten, meine dominante Herrschaft über andere Menschen auszuüben und wie kann ich die Freiheit erlangen, diese Möglichkeiten ungenutzt zu lassen…

Ich denke, es wäre lohnend gerade im Angesicht dieses Krieges, die kleinen Kriegsschauplätze unseres Alltags einmal zu durchforsten und sich zu fragen, wo ich wenigstens dort für Frieden sorgen kann. Das nimmt uns nicht die Ohnmacht bezüglich dieses vermutlich lang anhaltenden Krieges, aber es macht sicher unsere Gebete und unsere Demonstrationen glaubwürdiger

Amen.

Text: Pfarrer Uwe Becker, Leiter des Sozialwerks
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