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Orgel-Märchenabend in der Reformationskirche zu Marienburg mit Harald Schmidt

Dornröschen ist unverändert wach geküsst worden. Die von der Geiß im Bauch des Wolfes eingenähten Wackersteine haben ihn erneut in den Brunnen gezogen. Und Gevatter Tod rächte sich einmal mehr an seinem Patensohn, der ihn hinters Licht geführt hatte. Alles wie gewohnt also beim Märchenabend in der Reformationskirche zu Köln-Marienburg? Nicht alles. Eine Besonderheit bildeten die Namen der drei Vorleser. André Kielbik und Superintendent Dr. Bernhard Seiger, die beiden Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Köln-Bayenthal, konnten gemeinsam mit Kantor Marc Jaquet nicht nur den langjährigen Presbyter Stefan Seemann für dieses Projekt gewinnen. Nach dem Gymnasiallehrer nahmen ebenso der Autor und ehemalige Rundfunksprecher Lothar Wasem sowie der TV-Entertainer, Schauspieler, Autor und Moderator Harald Schmidt im Lese-Sessel Platz. Die wesentliche Besonderheit kündigte sich bereits durch den Zusatz Orgel-Märchenabend an. Das bedeutete: Kantor Marc Jaquet begleitete und kommentierte das Erzählte an der Orgel.

Der Zustand der Orgel ist kein Märchen
Von Jaquet stammt auch die Idee für diesen Märchenabend mit menschlichen wie instrumentalen Stimmen und Tönen. Sie sei nicht unbedingt neu, meinte der Organist im Gespräch. Aber sie überzeuge. Unter anderem deshalb, weil man demonstrieren könne, dass Orgeln sich nicht nur für das Spiel von Sakralem und Klassischem eigneten. Neben der Freude an der Lesung stehe der Abend „im Zeichen der geplanten Sanierung unserer Orgel“, nannte Seiger den eigentlichen Zweck der Veranstaltung. Der schlechte Zustand der Orgel ist leider kein Märchen. Auch wenn sie „ganz in Ordnung“ klinge, „das ist sie nicht“, stellte der Pfarrer fest. Sie klinge deshalb so, „weil Jaquet um die kaputten Pfeifen und Register herumspielt“. Insgesamt verfügt das von der Firma Willi Peter gebaute Instrument über 35 auf drei Manuale verteilte Register und 2653 Pfeifen.

Spenden für die Generalsanierung
1953/54 für das Gemeindehaus konzipiert, sei die Orgel nach dem Wiederaufbau der Reformationskirche 1965 in diese übertragen, aber nie richtig an den Kirchenraum angepasst worden, so Seiger. Im Rahmen der Generalsanierung sind insbesondere die Überholung der elektrischen, elektronischen und elektromagnetischen Anlage, die Verbesserung der Windversorgung, der Austausch der instabilen Register und die Neuintonation vorgesehen. Bis spätestens 2015 soll ihre Klangqualität optimiert sein. Im April gründete sich zur Unterstützung der Spendenakquise der „Orgelbauverein Bayenthaler Reformationskirche“. Dessen Vorsitzender Seiger bezifferte die Gesamtkosten auf circa 250.000 Euro. „Die Hälfte haben wir bereits zusammen. Wir hoffen, das heute Abend noch etwas dazu kommt“, wandte Seiger sich an rund 400 Märchenfreunde in der voll besetzten Kirche.

Zusammenspiel von Stimme und Orgel
Der Todestag von Jakob Grimm vor genau 150 Jahren sei ein guter Anlass, an Grimmsche Märchen zu erinnern, versprach Seiger einen ungewohnten Hörgenuss. „Es wird vermutlich an der einen oder anderen Stelle ein bisschen schräg werden, aber das liegt ganz im Sinne des Abends“, spielte Seiger auch auf gewollte Disharmonien an, die Jaquet um der Dramaturgie willen einschieben sollte. Als der erste der drei ehrenamtlichen Vorleser, Stefan Seemann, im abgedunkelten Altarraum zu „Der Wolf und die sieben Geißlein“ anhob, war es mucksmäuschenstill. Seine Stimme trug bis in die hinteren Reihen der Reformationskirche. Wie Schmidt und Wasem war ihm die Freude anzumerken, eine tradierte Geschichte neu interpretieren zu können. Einerseits mit lebendigem Vortrag, dabei Tonfall, Lesetempo und Lautstärke variierend. Andererseits im Zusammenspiel mit Jaquet, der die Orgel untermalend-verhalten, betonend bis dominierend einsetzte. So imitierte der Kantor etwa das Klopfen des Wolfes an die Haustüre, hinter der die Geißlein auf ihre Mutter warten, mit einem dumpfen Geräusch. Während Seemann die Geißlein „Du bist der Wolf!“ sagen ließ, schickte Jaquet ein Klangbild hinterher, das mit „Ätsch, ätsch – du legst uns nicht herein“ interpretiert werden könnte. Der Spannungsbogen in allen Geschichten wurde gleichermaßen durch die Erzähler wie den Organisten gespannt. Den ruhigen bis dramatisch gesteigerten Duktus des einen unterstützte der andere mit einzelnen Tönen, Rhythmen oder längeren Melodien. Jaquet fiel es nicht schwer, beispielsweise die Schläfrigkeit des Wolfes nach dem Verspeisen von sechs Geißlein zu vertonen. Eine tänzerische Orgelstimme betonte die Freude über das unversehrte Wiedersehen der Geiß-Familien, ein triumphales Finale das Ableben des Widersachers.

Zum Happy End der Hochzeitsmarsch
Nach dem ersten Märchen „entführte“ Jaquet mit einer Improvisation die Gäste in ein fernes Land, eine andere Zeit. Gleichzeitig mit einem die Fanfaren des nun „besuchten“ Königshofes imitierenden Klang setzte Lothar Wasem zu „Dornröschen“ an. Mit seiner warmen Stimme, die er in bedrohlichen wie freudigen Momenten entsprechend modulierte, erzählte er bald von der nicht geladenen weisen Frau, die auf der Tauffeier der Prinzessin diese mit einem Todesfluch belegt. Eine der übrigen weisen Frauen wandelt diesen in einen hundertjährigen Schlaf um. Bekanntlich sticht sich die 15-jährige Königstochter im Turmzimmer an einer Spindel und über das gesamte Schloss legt sich ein langer Schlaf. Jaquet zeigte sich einfallsreich, einfühlsam, zuweilen komisch in der „Übersetzung“ der Ereignisse. Mit einem hohen, „Pieks“-ähnlichen Ton kommentierte er den folgenreichen Stich in den Finger. Wasems Worte vom tiefen Schlaf begleitete der Kantor mit einem „Aushauchen“ und schließlich Verstummen der Orgel. Ein tönendes Bild, wie im Zeitraffer, malte Jaquet zu der Passage, in der eine Dornenhecke um das Schloss wächst. Zum Erwachen der Prinzessin steigerte sich die Musik ins Jubilieren und selbst für kleine Textdetails wie das aufflackernde Feuer im Küchenofen hielt Jaquet ein tönendes „Knistern“ bereit. Über den Schluss, wen wunderte es, legte er den Hochzeitsmarsch von Felix Mendelssohn Bartholdy.

Wie das Leben eben so spielt
Mal schmeichelnd, mal beschwörend, die geschilderte Freude oder Furcht verstärkend, bediente Jaquet ebenso im Zusammenwirken mit Harald Schmidts Vortrag die Orgel. Präsent und gut gelaunt trug der TV- und Bühnen-Erfahrene „Der Gevatter Tod“ vor. Gelegentlich verschmitzt erzählte er die Geschichte vom Vater, der für sein 13. Kind den Tod zum Taufpaten wählt, weil der alle gleich behandelt. Mithilfe seines Gevatters, der ihm das Wissen um ein heilendes Kraut vermittelt, wird der junge Mann bald zum berühmtesten Arzt. Als dieser sich zum zweiten Mal über die Vereinbarung hinwegsetzt, dass allein der Tod entscheidet, welcher Kranke genesen und welcher sterben muss, lässt der Gevatter auch das Lebenslicht seines Mündels verglimmen. Auch Schmidts Lesung entwickelte Bilder im Kopf der Zuhörenden, die durch die Orgel mal verfeinert, mal erweitert wurden. Auf die Besiegelung des Schicksals des Patenkindes ließ Jaquet ein langes Nachspiel folgen. Jedoch war dessen Grundtenor nicht von Traurigkeit geprägt. Eher schien der Organist auf eine gleichmütige Stimmung abzuzielen, nach dem Motto: wie das Leben eben spielt… Im Gespräch erläuterte der Katholik Schmidt, dass er aus nachbarschaftlicher wie ökumenischer Verbundenheit zur evangelischen Kirchengemeinde gerne bereit sei mitzuhelfen, Spenden für die Orgelsanierung einzuwerben. Außerdem sei er selbst mal „Hilfsorganist“ gewesen, erläuterte Schmidt, der nach seiner C-Prüfung für Kirchenmusik einst in der katholischen Gemeinde St. Johannes im baden-württembergischen Nürtingen als Organist und Chorleiter fungierte, seine Aufgeschlossenheit für Jaquets Idee.

Die nächsten Veranstaltungen
Am Sonntag, 6. Oktober, 17 Uhr, wird die Reihe der musikalischen Veranstaltungen in der Reformationskirche zugunsten der Orgelsanierung fortgesetzt. Comedian Ingolf Lück und Kantor Marc Jaquet präsentieren das Überraschungsprogramm „Ernst beiseite“. Darin liest Lück Heinz Erhardt „und die Orgel swingt mit…“. Am Freitag, 22. November, 19 Uhr, wird ein „Orgel-Dessert“ serviert. Zum Spiel von Jaquet werden „diverse Süßigkeiten gereicht und nicht nur das Ohr sondern auch der Gaumen erfreut“. Schließlich steht am Samstag, 7. Dezember, 15 Uhr, ein Konzert mit Prokofievs „Peter und der Wolf“ auf dem Programm. Der Eintritt ist jeweils frei, es wird um eine Spende gebeten. Nähere Informationen auch zur geplanten Orgelsanierung finden sich auf der Website des Orgelbauvereins: www.orgel.kirche-bayenthal.de

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich