You are currently viewing Ohne Pfarrer Helmut Hochstetter wäre das „evangelische Bergisch Gladbach“ nicht so groß, wie es heute ist. Rund um den 100. Geburtstag des früheren Gnadenkirchen-Pfarrers

Ohne Pfarrer Helmut Hochstetter wäre das „evangelische Bergisch Gladbach“ nicht so groß, wie es heute ist. Rund um den 100. Geburtstag des früheren Gnadenkirchen-Pfarrers

100 Jahre alt wäre in diesem Jahr Dr. Dr. Helmut Hochstetter geworden, der von 1945 bis 1978 als Pfarrer an der Gnadenkirche der Evangelischen Kirchengemeinde Bergisch Gladbach tätig war. Zur Erinnerung an ihren früheren Seelsorger veranstaltet der Bezirk Gnadenkirche in den nächsten Tagen eine Reihe von Vorträgen, Gottesdiensten und Festen. Den Auftakt bildet ein Festgottesdienst am Dienstag, 14. Juli, dem Geburtstag Hochstetters, ab 15 Uhr. Zeitzeugen und Weggefährten des 1990 verstorbenen Pfarrers erzählen am Mittwoch, 15. Juli, ab 15 Uhr über ihre Erfahrungen und Begegnungen mit ihm – alles im Helmut-Hochstetter-Haus, An der Jüch 47.

Wer war er eigentlich,
dieser doppelte Doktor? Und: Warum arbeitete ein promovierter Jurist und Theologe ausgerechnet als Gemeindepfarrer – und dann auch noch in einer Kleinstadt wie dem Bergisch Gladbach der Nachkriegszeit? Er hätte doch sicher andere Möglichkeiten gehabt. „Die Kirche gibt mir alles, was ich brauche“, war seine knappe Antwort auf diese Fragen – nachzulesen in dem Porträt, das Irmtraud Schumacher über Pfarrer Hochstetter geschrieben und jetzt veröffentlicht hat. Schumacher ist „Zeitzeugin“, in Bergisch Gladbach mit Hochstetters Kindern aufgewachsen, im Pfarrhaus oft zu Besuch bei der jüngsten Tochter und später zum Abtippen der geplanten Lebenserinnerungen Hochstetters gewesen. Das Porträt ist als Büchlein erhältlich im Gemeindebüro der Evangelischen Kirchengemeinde Bergisch Gladbach/Gnadenkirche, Hauptstraße 256a, 51465 Bergisch Gladbach, Telefon 02202/380 37. Oder im Internet hier nachzulesen – und auszudrucken.

„In zahlreichen Erinnerungen ist er immer noch lebendig“
Für Schumacher steht fest: Hochstetter, gab „der Kirche alles , was er ihr geben konnte. Er brachte mit seinem umwerfenden österreichischen Charme, seiner Bildung und seinem Geist viel Licht in die Gemeinde und das geht natürlich nicht ohne Schatten einher. In zahlreichen Erinnerungen ist er immer noch lebendig. Gute und auch schlechte Erfahrungen. Sie würden Bände füllen und wären kaum unter einen Hut zu bringen“, schreibt sie zu Beginn ihres 49 Seiten umfassenden Buches, zu dem Hochstetters Töchter zahlreiche Fotos aus Familienbesitz beigesteuert haben.

„… wurde hier dringend gebraucht“
„Österreichischer Charme“? Ja, fast. Hochstetter wurde am 14. Juli 1909 zwar im schlesischen Troppau geboren, studierte dann aber in Wien zunächst Germanistik, Anglistik und Jura und bekam 1934 seinen ersten Doktortitel als Jurist. 1939 beendete er sein zweites Studium – das der Theologie – ebenfalls mit einer Promotion. Im Zweiten Weltkrieg diente er als Artillerist, wurde 1941 in Russland verwundet und arbeitete dann als „Kriegspfarrer“. 1945 kam er mit seiner Division nach Bensberg, „erlebte hier das Kriegsende und wurde hier gebraucht. Dringend“, schreibt Schumacher. Wie es weiter ging mit Hochstetter, Bensberg, Bergisch Gladbach und der Gnadenkirche, das kann man in dem Büchlein nachlesen. Auch von Auseinandersetzungen zwischen dem Presbyterium und einem nationalistisch „linientreuen“ Pfarrer der „Deutschen Christen“, von Hochstetter und seiner Familie, Vorgängern und Amtsbrüdern auf den Bergisch Gladbacher Pfarrstellen, über Dolmetscherdienste und Bettelgänge, Flüchtlinge, einen eigenhändig gebauten Kindergarten, den „unglaublichen Auf- und Ausbau der Gemeindediakonie Bergisch Gladbach“, die Anfänge des Evangelischen Krankenhauses, das Seniorenwohnheim – das ursprünglich „Haus der guten Hoffnung“ heißen sollte und heute Hochstetters Namen trägt… und vieles mehr. All das ist flüssig geschrieben, oft mit einem Augenzwinkern und nie unnötig „aufgebläht“.

Warum sind die „‚Papiermüller“ protestantisch?
Das Büchlein versucht außerdem immer wieder, Schlaglichter auf die Situation von Protestanten in Bergisch Gladbach und die Stadtentwicklung der letzten 100 Jahre zu werfen. Das macht es auch interessant für Menschen, die Hochstetter nicht gekannt haben. Was haben beispielsweise Protestantismus, Papier und Pfarrgebäude miteinander zu tun? Schumacher stellt die Frage anders: „Woran lag es eigentlich, dass ausgerechnet die hier ansässigen ‚Papiermüller‘ [gemeint ist die Familie Zanders] protestantisch waren? Helmut Hochstetter erzählte das später so: Nach der Reformation, der Erfindung der Buchdruckerkunst und Luthers Bibelübersetzung in die deutsche Sprache entstand ein ungeheurer Bedarf an deutschen Bibeln. Und dazu brauchte man Papier. Die Strunde war als wasserreicher, schnell fließender Bach, sehr geeignet zur Papierherstellung und so ließen fromme Protestanten, die hier am Rhein der Reformation Calvins und Zwinglis folgten, sich im Strundetal inmitten einer rein katholischen Bevölkerung nieder. Das war der Anfang der Evangelischen Gemeinde.“

Musik und Humor – bis heute
Hochstetter sang und musizierte gern und meinte, dass jede Predigt auch eine Prise Humor beinhalten müsse. Auch das – Musik und Humor an der Gnadenkirche – ist bis heute ein Merkmal dieses Gemeindbezirks geblieben; ganz sicher, seit 1992 mit Thomas Werner endlich der richtige Pfarrer nach Hochstetters Tod gefunden war.

„Von der Wiege bis zur Bahre“ – ohne Hochstetter wäre das „evangelische Bergisch Gladbach“ nicht so groß, wie es heute ist
Neben vielem anderen verdankt die Gnadenkirche Hochstetter vor allem zwei Dinge: ihren Namen und ihre theologisch-inhaltliche Ausrichtung als sinnenfrohe, nicht länger calvinistisch orientierte Kirche: „Pfarrer Hochstetter, der den reformierten Gottesdienst so gründlich umgekrempelt hatte, befreite die Kirche 1951 auch in ihrem Inneren von ihrem calvinistischen Aussehen, wo sich vorne Abendmahlstisch, Kanzel und Orgel übereinander stapelten. Die Orgel kam nach hinten auf die Chorempore, die Kanzel mit ein paar Stufen auf die Seite, eine neue Sakristei wurde angebaut und der Turmraum geöffnet. Hier stand von nun an der Altar. Und die Kirche bekam endlich einen Namen, der in Hochstetters Heimat sehr geläufig ist. Von nun an können wir von der ‚Gnadenkirche‘ sprechen – der Kirche, die von der Gnade Gottes kündet.“

Imposante Ausgehnung des heutigen „evangelischen Bergisch Gladbach“
Interessant ist auch die Luftbildaufnahme des „Quirlsbergs“ in Bergisch Gladbach am Ende des Buchs: Hier findet das „evangelische Leben“ statt. Zwanzig Nummerierungen markieren es „von der Wiege bis zur Bahre“ – dabei wird deutlich, welche auch räumlich imposanten Ausmaße das evangelische Bergisch Gladbach von der Gnadenkirche über das Jugendzentrum Q1 bis zum Evangelischen Krankenhaus und den Evangelischen Friedhof seit den Zeiten Hochstetters angenommen hat. Er hat dieses evangelische Areal maßgeblich mitgestaltet: Neben dem nach ihm benannten Seniorenwohnheim An der Jüch 47 initiierte er weitere Einrichtungen für ältere Menschen. Er tat den ersten Schritt vom Ausbau des damals idyllisch kleinen – und ohne Kanalisation betriebenen! – Evangelischen Krankenhauses zu dessen heutiger Größe, gründete die evangelische Grundschule und vieles mehr. 1991 starb Hochstetter, kurz vor seinem 82. Geburtstag. In Bergisch Gladbach.

Text: AL
Foto(s): Schumacher/Werner