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„Öffentlichkeit ist der Sauerstoff der Demokratie“: Günter Wallraff war zu Gast im Talk-Gottesdienst der evangelischen Lutherkirche

Er ist „Der Mann, der bei Bild Hans Esser war“. Die verdeckte Arbeit ist das Markenzeichen des Schriftstellers Günter Wallraff, der auch über seine Erfahrungen als Hilfsarbeiter „Ali“ beim Stahlkonzern Thyssen geschrieben hat, wo er unerkannt „gesundheitsgefährdende Drecksarbeit“ im wahrsten Sinne des Wortes erledigte.



„Islamfeind Nummer Eins“
Ganz und gar öffentlich äußerte sich der Autor während des vierten Talk-Gottesdienstes in der evangelischen Lutherkirche der Kölner Südstadt, einer Reihe, in der das Gespräch von Schauspieler Peter Clös mit einem Prominenten und die Predigt sich verzahnen. „Ich stehe mal wieder unter Polizeischutz“, berichtete Wallraff. Eine unbekannte Gruppe, die sich den Islamisten zurechne, habe ihn als Islamfeind Nummer Eins auf ihrer Internetseite bezeichnet. Die Polizei halte ihn für gefährdet. Wallraff sieht das lockerer. Und dabei hatte er es doch nur gut gemeint. „Ich habe mich spontan entscheiden, der Einladung zu folgen, im Beirat der geplanten Moschee in Ehrenfeld mitzuarbeiten und Bekir Alboga vorgeschlagen, dort über die ,Satanischen Verse‘ von Salman Rushdie zu diskutieren“, berichtete Wallraff. Alboga, Dialogbeauftragter der Ditib, Bauherrin der Moschee, habe geantwortet: „Warum nicht?“

Wallraff und Rushdie kennen sich schon lange
Doch mittlerweile sei Alboga wegen dieser Idee in den eigenen Reihen unter Druck geraten. „Aber immerhin hat sich die Ditib in Köln schriftlich von der Fatwa – dem Bann – gegen Rushdie distanziert“, berichtete Wallraff, der gegenüber der Moschee in Ehrenfeld wohnt und den iranischen Autor schon mehrfach vor den Häschern des islamischen Fundamentalismus in seiner Wohnung versteckt hat. Damals haben die beiden viel Zeit mit Tischtennisspielen verbracht. Jetzt ist Wallraff wegen der Idee, Rushdies Texte zu diskutieren, selber ins Visier der Islamisten geraten.

„Man darf den Islamismus aber auch nicht überbewerten“,
fuhr der Autor fort. „80 bis 90 Prozent unserer Einwanderer haben mit dem Islam nichts zu tun. Und selbst ein Drittel aller Türken ist nicht religiös.“ Wallraff misstraut zutiefst Religionen, in denen nicht gelacht wird. „Für Mohammed war Lachen die Versuchung des Satans. Deshalb hat der nie gelacht. Aber auch den lachenden Christus hat man uns vorenthalten.“ Dabei habe er es bestimmt verstanden zu feiern. Wenn einer schon aus Wasser Wein mache.

Hart ins Gericht mit Joachim Kardinal Meisner
Besonders gläubig sei er nicht, bekannte der Autor. „Dazu fehlt mir die Transzendenz.“ Aber für Wallraff zieht sich eine direkte Linie von Sokrates über Jesus, Gandhi, Martin Luther-King bis zum späten Mandela. Hart ins Gericht ging der Autor mit Joachim Kardinal Meisner. „Der hat doch tatsächlich behauptet, wenn Jesus alt geworden wäre, sähe er aus wie Papst Benedikt XVI.. Was für ein Quatsch. Da muss man sich doch nur vor Augen halten, wo Jesus herkam. Wenn der alt geworden wäre, hätte er ausgesehen wie Jassir Arafat oder Bin Laden.“ Wallraff nannte Meisner einen „Nachfahren der Inquisition“, von dem nichts Liebevolles zu erwarten sei.

Wallraff recherchiert weiter – am liebsten „verdeckt“
Nun also die Bedrohung durch die ‚Islamisten. Doch der beste Schutz für ihn sei, unterzutauchen und verdeckt zu ermitteln, so Wallraff: „Ich werde meinen 65. Geburtstag am 1. Oktober unerkannt bei einer Recherche im Bereich Teilzeitarbeit mit Menschen verbringen, die mehrere Jobs haben, um ihre Familie durchzubringen.“ Er verwies auf seine Recherche in Call-Centern, die er kürzlich abgeschlossen hat. „Es ist unglaublich, mit welchen zum Teil verbrecherischen Mitteln versucht wird, den Menschen am Telefon Verträge aufzuschwatzen.“ Aber es habe sich gelohnt, diese Missstände öffentlich zu machen. Zur Zeit sei ein Gesetz in der Mache, das den Abschluss von Verträgen am Telefon verbiete. Gültig seien nur noch schriftliche Abmachungen. Und zu diesem Gesetz habe er, so Wallraff, ein gutes Stück beigetragen. Denn ein Leitsatz treibt den Autor auch im Pensionärsalter weiterhin an: „Öffentlichkeit ist der Sauerstoff der Demokratie.“

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Rahmann