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NS-Dokumentationszentrum beleuchtet den Alltag der Jugend

„Wie war der Alltag der Jugend, insbesondere der Hitlerjugend im Nationalsozialismus tatsächlich?“ So lautete im NS-Dokumentationszentrum (NS-DOK) der Stadt Köln die Ausgangsfrage eines vierjährigen Forschungsprojekts. Sehr anschaulich präsentiert werden die Ergebnisse in der Sonderausstellung „Jugend im Gleichschritt!? Die Hitlerjugend zwischen Anspruch und Wirklichkeit“.

„Das Neue ist der differenzierte Blick auf die Dinge“, betont Dr. Werner Jung, Direktor des NS-DOK. Dabei gehen die Kuratoren Dr. Martin Rüther und Dr. Karin Stoverock auf die Verhältnisse in Köln sowie allgemein im Rheinland und in Westfalen ein.

Kirchenbindung im Alltagsleben
Im ersten Teil werden die Erziehungsinstanzen Familie, Schule und Kirche und die Bedingungen in den verschiedenen Lebenswelten wie etwa Stadt, Land, Arbeit, Freizeit und Militarismus transparent gemacht. Unter anderem wird aufgezeigt, wie nach 1933 die Kirchenbindung das Alltagsleben in erheblichem Maße mit formten. Das habe dazu geführt, dass zumindest in den ersten Jahren „sich die örtlichen Vertreter der Hitlerjugend nach Kräften bemühten, keinen allzu kirchenkritischen Eindruck zu erwecken, um nicht in Misskredit zu geraten“. Gleichzeitig sei der Religionsunterricht schrittweise aus den Schulen verdrängt und schließlich verboten worden.

Das Bild der Frau als Mutter
Der zweite Teil widmet sich ausführlich der zum Schluss acht Millionen Mitglieder zählenden Hitlerjugend. Deren eigentliches Ziel bei den männlichen Jugendlichen war die Wehrertüchtigung durch Geländespiele und Schießübungen: Das Zentrum der Zielscheibe markierte das Gesicht eines Soldaten! Im Bund Deutscher Mädel erlebten Mädchen – „sie durften plötzlich Sport machen“ – scheinbar eine Art von Befreiung. Gleichwohl bestand ein großer Widerspruch zwischen dem, was sich die Mädchen erhofft hatten und dem NS-Bild der Frau als Mutter.

Berichte von Zeitzeugen
Eine wichtige Quelle sind Zeitzeugenberichte. „Das ist eine komplexe Angelegenheit.“ Jede und jeder habe die Zeit aus verschiedenen Gründen anders erlebt, meint Rüther. „Nicht alles war so, wie es durch die Propaganda nach außen dargestellt wurde“, zeigt sich laut Rüther eine große Spanne zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Überhaupt sei Geschichte auch bei diesem Thema nicht schwarz-weiß, sondern bestehe aus Nuancen.

Konflikten mit Jugendgruppen
Die als Wanderausstellung konzipierte Schau verdeutliche, wie perfide über die Hitlerjugend-Angebote Ideologie transportiert wurde. Ihren Totalitätsanspruch habe sie aber nie gänzlich in die Tat umsetzen können, stellt Rüther fest. Dies zeige sich besonders deutlich an den Konflikten, die sie mit Jugendgruppen, insbesondere mit der konfessionellen Jugend und unangepassten Jugendlichen austrugen, „die sich dem ausgeübten Druck nicht beugen wollten“.

Jugend jenseits der Hitlerjugend
Es habe immer eine andere Jugend jenseits der Hitlerjugend gegeben, betont der Historiker. Und Konflikte. Die Arbeit der konfessionellen Jugend sei zunächst stark beschnitten, später verboten worden. „Anstelle der früheren evangelischen Jugendgruppen bildeten sich lockere Gemeindejugend- und Bibelkreise, die sich auf religiöse Arbeit konzentrierten“, ist zu lesen. „Dabei versuchten die Jugendlichen, sich im Rahmen von Bibelfreizeiten und ähnlichen Unternehmungen einen Teil ihres jugendbewegten Lebens zu erhalten.“

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Die Fülle an Zeitzeugenaussagen und historischem Filmmaterial kann an 15 Medienstationen abgerufen werden. Die gesamte Ausstellung inklusive der Inhalte der 15 Stationen steht auch in einer Web-App zur Verfügung.

Die Ausstellung im NS-Dokumentationszentrum, Appellhofplatz 23-25, endet am 12. März 2017. Geöffnet ist sie dienstags bis freitags von 10 bis 18, samstags, sonn- und feiertags von 11 bis 18 Uhr sowie jeden ersten Donnerstag im Monat (außer an einem Feiertag) von 10 bis 22 Uhr. Die pädagogischen Angebote eignen sich für alle Schulformen ab der 8. Klasse.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich