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Niemand bringt sich gerne um

Die Nächte können lang werden in den Räumen der Telefonseelsorge. Und dann kommt der Anruf: „Ich werde mich umbringen, möchte aber beim Sterben nicht allein sein. Die Tabletten liegen hier schon.“ „Auch so etwas muss man aushalten können“, sagt Pfarrerin Gabriele Koye, Leiterin der Evangelischen Telefonseelsorge Köln (TS), die ein Handbuch für die Suizidprävention in der TelefonSeelsorge vorstellte, das soeben bundesweit erschienen ist.


Rund 9.000 Suizide werden pro Jahr in Deutschland verübt
Dass jemand so eindeutig seinen Tod ankündige, sei aber die Ausnahme. „Im Durchschnitt ruft pro Tag ein Menschen bei uns an, der suizidale Gedanken hat, oder die klare Absicht, aus dem Leben zu scheiden „, erklärte Koye. Das sei ein Prozent aller Anrufer und Anruferinnen. Für die Mitarbeitenden der Telefonseelsorge komme es in erster Linie darauf an zu verstehen, warum das Leben für den Anrufer keinen Sinn mehr mache, Zeit zu gewinnen, den gefährlichen Tunnelblick zu weiten und andere lebensbejahende Perspektiven einzubeziehen. Rund 9.000 Suizide werden pro Jahr in Deutschland verübt. Ungefähr 5.000 Menschen sterben im Straßenverkehr. „Auf einen erfolgten Suizid kommen 10 bis 15 nicht ‚erfolgreiche‘ Suizidversuche“, erklärt Koye. Es sei wichtig, dass in der Öffentlichkeit über dieses Tabu-Thema gesprochen werde. Bei jüngeren Menschen, zwischen 20 und 35 Jahren, die sterben, liege die Suizidrate etwa bei 20 Prozent. Die meisten Menschen töten sich in den Monaten Mai, Juni und Juli. Mit dem schöneren, warmen Wetter steigt offenbar die Verzweiflung, wenn die eigene Lebenssituation nicht besser geworden ist.

Viel Verantwortung für die Ehrenamtlichen
„Wir sind das Nachtgesicht der Kirche. Und wir sind ein Baustein der psycho-sozialen Versorgung der Menschen,“ sagt die Leiterin der TS. 63 ehrenamtlich Mitarbeitende sind derzeit am Telefon für die Menschen da, die sich rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr mit ihren Sorgen und oft großen Nöten unter der kostenlosen Rufnummer 0800/111 0 111 melden. In der Evangelischen TS von Köln waren es im vergangenen Jahr 17.000 Anrufe, in denen Menschen Hilfe suchten. In der Katholischen TelefonSeelsorge Köln waren es ungefähr ebenso viele. Ein Fünftel litt unter psychischen Erkrankungen. „Oft werden Patienten werden aus der Psychiatrie entlassen mit dem Hinweis der Ärzte, die Telefonseelsorge anzurufen, wenn sie an einem Wochenende Probleme bekommen“, sagt Koye. Viel Verantwortung für die Ehrenamtlichen, der sie gerecht werden dank einer kompetenten Aus- und Weiterbildung. Zu der einjährigen, kostenlosen Grundausbildung treffen sich die Teilnehmenden alle 14 Tage abends für zweieinhalb Stunden, sowie an fünf Wochenenden in einer festen Gruppe von 12 bis 14 Personen. Nach diesem Jahr steigen sie dann in die Beratung ein.

Die Ehrenamtlichen versuchen permanent, ihre Kompetenzen zu erweitern
„Die Telefonseelsorge steht und fällt mit den Ehrenamtlichen. Sie machen ja die eigentliche Arbeit“, weiß Koye den Wert der Mitarbeitenden zu schätzen. Und nach der Ausbildung werden die Ehrenamtlichen natürlich nicht allein gelassen. Im Gegenteil. Sie werden permanent von Supervisorinnen und -visoren professionell begleitet. Dies dient auch der Entlastung, damit das Privatleben der Mitarbeitenden nicht unter den Problemen leidet, mit denen sie konfrontiert werden. Dazu kommen ständige Weiterbildungen. Die Ehrenamtlichen versuchen permanent, ihre Kompetenzen zu erweitern, damit sie bei allen Fragen, die an sie gerichtet werden, möglichst auf der Höhe der Zeit sind. Und sehr wichtig ist für Koye, dass sich die Mitarbeitenden bei ihrer Arbeit auch wohl fühlen. Wochenenden in dem evangelischen Tagungshaus in Überdorf stärken das Team zusätzlich.

„Echter Generationenwechsel“
Bei der Evangelischen TS in Köln ist der Ausbildungsbedarf in diesen Tagen besonders hoch. „Wir erleben gerade einen echten Generationenwechsel, der einen großen Einbruch der Mitarbeitendenzahl zur Folge hat. Uns haben nicht zuletzt aus Altersgründen 20 Mitarbeitende verlassen. Das heißt, dass wir jetzt dringend Spenden benötigen, um Menschen auszubilden, die an die Stelle der Ausgeschiedenen treten“, sagt Koye. 70 bis 80 Ehrenamtliche sind in der Regel nötig, um den Betrieb für eine TelefonSeelsorgeleitung ohne übergroße Belastungen für den Einzelnen aufrecht zu erhalten. Die TelefonSeelsorge ist immer auf der Suche nach neuen Ehrenamtlichen – auch aktuell. Koye würde sich freuen, wenn sich Interessentinnen und Interessenten melden.

Kontakt
Die Kölner Geschäftsstelle der TS ist schriftlich zu erreichen unter Postfach 25 01 04, 50517 Köln, telefonisch unter 0221/31 71 59, per Fax unter 0221/31 71 40, die Mailadresse lautet: telefonseelsorge@kirche-koeln.de

Text: Koye/ran
Foto(s): Martin Bierbass