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Pfarrer Armin Beuscher in der Friedenskirche

„Nicht wiederholen“: Gedenkgang durch Ehrenfeld erinnert an den Peter-und-Paul-Angriff

„Wenn wir uns an etwas erinnern, dann kann uns das dabei helfen, Dinge anders zu machen. Deswegen ist es gut, wenn wir uns die schmerzhaften Teile unserer Geschichte ansehen, um sie nicht wiederholen zu müssen“, beschreibt Armin Beuscher den Gedenkgang durch Ehrenfeld vor einigen Tagen. Etwas, das der Pfarrer in Erinnerung halten möchte, ist der große Luftangriff auf Köln in der Nacht zum 29. Juni 1943, der besonders viele Zivilisten das Leben kostete. Bezugnehmend auf den Feiertag gleichen Datums ging er als „Peter-und-Paul-Angriff“ in die Stadtgeschichte ein. „Durch ihn gab es in nur einer Nacht mehr als 4.000 Kriegstote, mehr als 300.000 Menschen wurden wohnungslos“, schildert Stadtführer Günter Leitner. Um diese Tragödie nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, veranstaltet Beuscher, Pfarrer in der evangelischen Kirchengemeinde Köln-Lindenthal, zusammen mit katholischen Mitstreitern regelmäßig einen ökumenischen Gedenkgang, der dem geschichtsträchtigen Jahrestag gewidmet ist. „Im ersten Jahr waren wir in der Innenstadt. Letztes Jahr in Nippes, davor in Mülheim, Deutz und Lindenthal“, rekapituliert er. 2021 steht Braunsfeld auf dem Programm. In diesem Jahr ging es nun durch Ehrenfeld, um in den engen Straßen des multikulturell geprägten Szeneviertels Schauplätze aufzusuchen, die mit den Kriegsjahren in Verbindung stehen.

Leben und Überleben im Bunker

Die Führung übernahm, wie schon in den Vorjahren, Günter Leitner. Er begann seine Tour in der Körnerstraße auf einem Grünstreifen hinter dem Gelände einer Synagoge, die während der Pogromnacht zerstört wurde. Gleich daneben liegt der Bunker K 101. Wie auch 28 weitere Hochbunker auf dem Kölner Stadtgebiet wurde er erst Anfang der 1940er Jahre errichtet, als der Krieg bereits in vollem Gange war. Dafür gab es, so Leitner, einen Grund: „Nach dem Ersten Weltkrieg war es verboten, Luftschutzräume anzulegen.“ Das Gebäude aus nacktem Stahlbeton bot auf drei Stockwerken Platz für insgesamt 1.500 Personen, war jedoch häufig nahezu doppelt belegt. Im Kalten Krieg wurde es für die Bedürfnisse im Falle eines eventuellen Atomangriffes angepasst: Davon zeugen die luftdichten, orangefarbenen Verkleidungen an den Türen und die Tatsache, dass die Zwischenwände weitgehend entfernt wurden. Lediglich Spuren an den Zwischendecken verraten, wie die Einteilung der Kabinen einmal ausgesehen hat. „Alles war auf soziale Kontrolle ausgelegt“, erklärt Petra Bossinger, zweite Vorsitzende des Vereins Förderkreis Hochbunker Körnerstraße 101. Im Ernstfall hätte der Plan vorgesehen, dass Schutzsuchende den luftdicht verschlossenen Bunker zwölf Tage lang nicht verlassen hätten. Da hätte man möglichen Suiziden durch die Beseitigung aller privaten Räume vorbeugen wollen: „Es wollte ja niemand zwölf Tage lang mit einer Leiche eingeschlossen sein.“

Auch in den Jahren zwischen 1945 und dem Beginn des Kalten Krieges sei der Bunker kein guter Ort gewesen, weiß heute noch Helga Bresgen, die als Teilnehmerin zum Rundgang gekommen ist. 1944 geboren, ist sie in der Nachbarschaft aufgewachsen. „Der Bunker war immer proppenvoll, da lebten ganze Familien“, erinnert sie. Viele seien durch die Enge und mangelnde hygienische Möglichkeiten ungepflegt gewesen. Ein einziges Mal habe sie bei einem Kinderfest den bewohnten Bunker von innen gesehen. Grundsätzlich aber galt: „Da ging man nicht zu Besuch!“ Inzwischen wird der Bau für Ausstellungen genutzt. Außen wurde er bereits vor Jahrzehnten mit Szenen aus dem Alltag bemalt. „Heute steht man vor der Frage, ob man es richtig ist, diese Banalisierung des Krieges unter Denkmalschutz zu stellen“, so Leitner, der zugleich deutlich machte: „Wenn man Geschichte eliminiert, wird sie uns nicht mehr erreichen.“

Bis heute umstritten: die Edelweißpiraten

Einige hundert Meter weiter nutzte der Stadtführer die Gelegenheit, mit einem neuzeitlichen Mythos aufzuräumen: den Edelweißpiraten. Nach einem von ihnen, Bartholomäus Schink, wurde die Straße benannt, die vom Gürtel zur Venloer Straße hin entlang der Gleise verläuft. Detailreich schilderte Leitner das Wirken der unangepassten Jugend. Sie widersetzte sich zwar den Nazis, aber dabei schreckten einigen von ihnen auch vor Mord und Plünderei nicht zurück. „Man darf in der Wohltätigkeitseinschätzung der Edelweißpiraten nicht verharren“, warnte Leitner und berief sich unter anderem auf seine Mutter, die aus Neuehrenfeld stamme: „Ehrenfelder wissen das ganz genau zu differenzieren.“ Mehrfach hätten Historiker die Edelweißpiraten nicht als Widerstandskämpfer eingeordnet, bis Oberbürgermeister Jürgen Roters diese Positionierung 2005 festgelegt habe. Unstreitig ist die Brutalität, mit der einige von ihnen durch Hängen an einem Großgalgen gleich neben den Bahnbögen hingerichtet wurde, der Jüngste von ihnen gerade einmal 16 Jahre alt.

Das Bewusstsein darüber, dass auch Vertreter der Kirchen im Zeitgeist des Nationalsozialismus beschämende Äußerungen von sich gaben, betonte Armin Beuscher bei der nächsten Station des Gedenkganges. In der Friedenskirche skizzierte er die Biographien von Ernst Flatow und Lilli Wieruszowski, beide protestantisch mit jüdischen Wurzeln. Flatow sei wegen seiner Herkunft aus dem Dienst als Krankenhausseelsorger entlassen worden. Damit nicht genug, habe die Landeskirche damals auch noch geäußert: „Ein Pfarrer, der so deutlich jüdisch aussehe, sei einer Gemeinde nicht zuzumuten.“ Dennoch habe Flatow sich bewusst gegen eine Flucht entschieden, sei schließlich in das Warschauer Ghetto gebracht worden und dort an Erschöpfung gestorben. Auch Kirchenmusikerin Wieruszowski hatte kein leichtes Schicksal: Ihr gelang zwar die Flucht in die Schweiz, doch sie lebte dort zwanzig Jahre lang nahezu mittellos.

Angst und Verlassenheit als prägende Erinnerung

Mit einer Andacht und einem Segen in der Mechternkirche endete der Gang, der Menschen verschiedensten Alters zusammenbrachte. „Meine Mutter ist in der Altstadt aufgewachsen und hat als 15-Jährige den Peter-und-Paul-Angriff erlebt“, berichtet Ralf Berlingen: „Sie hatte ihr Leben lang Angst vor Feuer. Und ihre Schwester hatte Angst vor hohen Gebäuden. Sie konnte nicht am Dom vorbeigehen, ohne Angst zu haben, dass etwas von oben herunter fällt.“ Eine, die in ihren eigenen, frühesten Kindheitserinnerungen noch Situationen aus Bombenangriffen in Ehrenfeld abrufen kann, ist Margret Müller, deren Familie damals ein Haus in der Gutenbergstraße hatte, das zerstört wurde. „Meine prägende Erfahrung war: Nach dem Angriff saß ich längere Zeit alleine im Keller und hatte Angst. Ich erinnere mich auch noch daran, dass Tote auf den Bürgersteig gelegt wurden. Durch die Phosphorbomben tropfte es von den Dächern, man musste in der Mitte der Straße gehen, um dem auszuweichen“, berichtet die 81-Jährige. Die überwiegende Erinnerung sei aber weniger ein Bild als ein Gefühl: „Ein Gefühl von Angst und Verlassenheit. Ich setze mich damit auseinander, ich kann damit umgehen, aber weg geht es nicht.“

Text: Johanna Tüntsch
Foto(s): Johanna Tüntsch