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Neujahrsempfang vor neuem kunterbunten Wandbild

„Gott sei Dank, die graue Wand ist weg!“, seufzte eine Seniorin, während sie das mehrere Meter lange neue Wandbild im Gemeindesaal der Gnadenkirche betrachtete. Sie war der Einladung zu Festgottesdienst und Neujahrsempfang der Evangelischen Kirche in Bergisch Gladbach gefolgt und freute sich über die neue Innengestaltung des Gemeindesaals, die zu dieser Veranstaltung punktgenau fertig geworden war.

Ein buntes Aquarium mit Luftschlangen
Das Bild strahle „Heiterkeit, Fröhlichkeit“ aus, fand die Dame und setzte hinzu: „Man muss sich einzelne Partien vornehmen und hineinfühlen.“ Das taten etliche der Gäste, was zu unterschiedlichen Kommentaren führte: „Wie ein Aquarium“ empfand eine Besucherin die kunterbunt gezeichnete Welt, jemand anders glaubte, Luftschlangen entdeckt zu haben, und vermutete: „Es könnte auch was mit Karneval zu tun haben.“ Aus anderem Mund hieß es klipp und klar: „Für mich ist das die Schöpfung.“ Ein Herr argwöhnte angesichts der Spiegelschriften zunächst: „Es könnte Werbung sein – dezent verborgen.“ Doch dann lobte er: „Kunst will ja anregen – und das gelingt.“

Berlin in Bergisch Gladbach
Beim Neujahrsempfang konnte die Öffentlichkeit erstmals die beiden Kunstwerke in Augenschein nehmen, mit denen der international renommierte Bildhauer Michael Kramer das Saalinnere verwandelt hatte: zum einen das kunterbunte Wandbild, zum anderen eine rostige Metallskulptur, die über den Köpfen der Sekt und Selters trinkenden Menge unter der Decke schwebte. Der „große Bruder“ des Metallobjekts hängt in den Berlinischen Museen, hatte Gnadenkirchen-Pfarrer Thomas Werner zuvor bei der Begrüßung im Festgottesdienst verraten und schmunzelnd hinzugesetzt: „Also ein bisschen Berliner Nationalgalerie in Bergisch Gladbach!“ Während das Metallobjekt eine Leihgabe des Bildhauers ist, handelt es sich bei dem großflächigen Wandbild um eine Auftragsarbeit, mit der der Bezirksausschuss der Gnadenkirche Michael Kramer betraut hatte. Für Pfarrer Thomas Werner war dabei nicht nur ausschlaggebend, dass der hochkarätige Künstler auch im Ausland Ansehen genießt und bereits in New York, Tokio und Paris ausstellte, sondern noch etwas anderes war ihm wichtig: „Er und seine Familie sind Mitglieder meiner Gemeinde. Ich habe seine Kinder konfirmiert.“ Zwar wurde Michael Kramer in Berlin geboren, doch hat er sein Zuhause und Atelier schon lange im Gnadenkirchen-Bezirk.

Ein festlicher Gottesdienst
Die Geistlichen und die Sprecher der Fürbitten hatten bereits vor Beginn des Festgottesdienstes einen kurzen Blick in den neugestalteten Saal werfen können, bevor sie gemeinsam in die Gnadenkirche einzogen. Dem festlichen Anlass entsprechend erschienen die Pfarrerinnen und Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Bergisch Gladbach, der Evangelischen Kirchengemeinde Bensberg und der Evangelischen Kirchengemeinde Altenberg/Schildgen im Talar. Sie gestalteten die Liturgie. Die Predigt hielt – wie in den letzten Jahres bereits Usus – ein Gastredner, dieses Mal Pfarrer Ernst Fey aus Köln, Vorsitzender des landeskirchlichen Ausschusses für den Deutschen Evangelischen Kirchentag und ehemaliger Stadtsuperintendent von Köln und Region. Grußwort und Segen kamen von Andrea Vogel, Superintendentin des Kirchenkreises Köln-Rechtsrheinisch.
Die Mitwirkenden des Festgottesdienstes
„Es geht um Glaubwürdigkeit“
Pfarrer Ernst Fey sprach über die Jahreslosung 2013: „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir“ (Hebräer 13,14). Er schlug viele Brücken zur aktuellen politischen und gesellschaftlichen Lage: Er prangerte die „schleichende Machtanhäufung einiger Konzerne in Sachen Nahrungsmittel“ und die „unübersehbare Gefahr des Aufkaufs von Ackerflächen durch wenige Leute“ an. Er geißelte die weitverbreitete „Arbeit auf dem Schleudersitz“ und die drohende Privatisierung der Wasserrechte in der Europäischen Union. „Mir stockt der Atem“, bekannte er angesichts der Entwicklungen in unserem Land und in unserer Welt. Auch die Kirche, räumte er ein, bleibe von bedenklichen Tendenzen nicht verschont: Ihr Einfluss schwinde genau wie ihre Mitgliederzahl („auch wenn heute hier ganz viele sind und das toll ist“), Geld werde von eigenen Leuten veruntreut, der Staatsanwalt ermittele. „Und wenn Sie meinen, das gehe nur die Katholische Kirche an, dann irren Sie.“ Es gehe mehr denn je um Glaubwürdigkeit. Es sei wichtig, dass die Menschen verlässlich spürten: „Hier gehöre ich hin.“ Das sei die Chance von Kirche vor Ort, wobei man „Gottes bleibende Stadt nicht aus den Augen verlieren“ dürfe, von der der Hebräerbrief spreche. „Keine Vertröstungstheologie“ sei das, auch „keine Flucht“, denn es gehe darum, „zu handeln in der Welt“ in der Gewissheit, „dass Gott uns gefunden hat und nicht wir ihn“ und dass er verlässlich „am Ende allen Lebens auf uns wartet“. Ernst Fey forderte seine Zuhörer auf, den Satz „Das Jahr wird gut, wenn …“ vor diesem Hintergrund selbst zu vervollständigen.

Energie und Kraft für das neue Jahr
Superintendentin Andrea Vogel wünschte in ihrem Grußwort fürs neue Jahr „Energie und Kraft für die Arbeit in den Gemeinden und an vielen anderen Orten“, zudem „Mut, auch unangenehme Dinge auszusprechen“. Auf der jüngsten Landessynode habe das Wort „Reformdiät“ sie besonders fasziniert, erklärte sie und mahnte, auch in Zukunft daran zu denken, dass es heiße: „Gott, du stellst meine Füße auf weiten Raum.“ Dies zu spüren und dazu zu ermutigen, sei wesentlich. „Unser Leben braucht Weite.“ Bevor Andrea Vogel den Segen spendete, waren noch einmal die QuirlSingers zu hören, die den Gottesdienst musikalisch rahmten, und die Fürbitten – gesprochen von Vertretern der Pfarrer, der Mitarbeiterschaft, der Evangelischen Beratungsstelle Milchborntal, des Diakonischen Werks Köln und Region sowie der Evangelischen Kliniken Rheinland. Die Fürbitten spiegelten nicht nur die aktuelle Lage in der Welt wider, sondern blickten zudem über den Kirchenzaun: „Wir bitten auch für den Dialog zwischen den Religionen und Kulturen. Dass wir nicht ausgrenzen, sondern dass wir ins Gespräch kommen, einander einbinden und in versöhnter Verschiedenheit zu ,einer‘ Gemeinschaft werden.“

Ein Empfang für ein buntes Publikum
Ein Stück Wirklichkeit wurde diese Fürbitte anschließend beim Empfang, an dem auch Vertreter anderer Religionen teilnahmen. Ansonsten erfreuten sich an den lukullischen Fingerfood-Häppchen, die Gemeindehelferin Dagmar Pelz tagelang vorbereitet hatte, ein ganz gemischtes Publikum: Bundestagsabgeordneter Wolfgang Bosbach und Bürgermeister Lutz Urbach waren genauso zugegen wie Geschäftsleitung und Chefärzte des Evangelischen Krankenhauses, Unternehmer und Ein-Euro-Jobber, Politiker und Vertreter diakonischer Einrichtungen, Gemeindemitarbeiter und -mitglieder, Ehrenamtliche und Künstler – darunter auch Bildhauer Michael Kramer.

Das Wandbild ist erst der Anfang
Da der Künstler auf Titel für seine Kunstwerke verzichtet hatte, wurde die Fantasie der Neujahrsempfangsbesucher zwischen Häppchen und Gesprächen immer wieder neu angekurbelt. „Das Bild hat kein Thema? Aha.“ Die meisten Gäste attestierten dem farbenfrohen Wandbild eine positive Ausstrahlung. „Der Saal hat definitiv gewonnen“, erklärte Thomas Hildner, Leiter des Evangelischen Verwaltungsamts Rhein-Berg, der das Kunstwerk schon einige Tage zuvor in Augenschein genommen hatte, als sein Anblick noch nicht durch die Gästeschar „verstellt“ war. „In Anwesenheit des Bildes fühle ich mich total wohl“, summierte eine Besucherin gegen Ende des Empfangs. Und ein Herr pflichtete ihr bei: „Es macht einen angenehmen Eindruck auf mich – und das Rad finde ich auch gut.“ Er regte an, auch die Saaldecke farblich anders zu streichen. Vielleicht passiert es? Jedenfalls hat Michael Kramer den Auftrag, den Saal als Ganzes umzugestalten. Neues Mobiliar soll angeschafft werden. Eine neue Theke wurde bereits im Saal montiert und bestand beim Neujahrsempfang ihre Feuertaufe. Prost – bis zum nächsten Neujahrsempfang der Evangelischen Kirche in Bergisch Gladbach, dann vermutlich im Pfarrbezirk Heidkamp.


Fotos und weitere Informationen zu Festgottesdienst und Neujahrsempfang: www.kirche-gl.de bzw. www.gnadenkirche-gl.de

Text: Ute Glaser
Foto(s): Ute Glaser