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Neujahrsempfang mit Gedankensplittern einer Theopoetin

„Herr, schenk uns ein Herz für dein Wort und ein Wort für das Herz.“ Mit diesem wortspielenden Satz eröffnete Christina Brudereck ihre Ansprache im Festgottesdienst der Andreaskirche Schildgen, wohin die Evangelische Kirchengemeinde Bergisch Gladbach im Rahmen ihres Neujahrsempfangs Mitte Januar eingeladen hatte. Dieser Auftaktsatz machte sogleich offenbar, womit die zahlreich erschienenen Vertreter von Gemeinde, Krankenhaus und evangelischen Einrichtungen zu rechnen hatten: mit einer rhetorisch geschliffenen, engagierten, wortgewaltigen und dennoch spirituell-poetischen Rede einer Frau, die sich selbst als Theopoetin bezeichnet und die das Erzählen von Geschichten liebt.

Das Thema der 46-jährigen ordinierten Theologin und Autorin zahlreicher Bücher, die in Essen in einer Kommunität lebt, war die Jahreslosung 2016 aus Jesaja 66,13: „Gott spricht: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“ Ein Wort, das – wie die Rednerin hervorhob – bereits drei Jahre zuvor ausgewählt worden ist und dennoch exakt die momentane gesellschaftliche Situation trifft, in der viele des Trostes bedürfen. Ein Wort, das manche jedoch zum Widerspruch reizt. „Väter sind aber auch gute Tröster“, hatte Christina Brudereck im Vorfeld ihrer Ansprache bereits zu hören bekommen. Beim anschließenden Neujahrsempfang im Gemeindesaal ging die Diskussion darüber munter weiter.

„Religion ist zum Selberglauben“
Trotzdem versuchte sich die Theologin, „diesem großen Trostwort“ zu nähern – nicht in einer „runden“ und logisch aufgebauten Rede, sondern in einer losen Abfolge von Gedankensplittern. In ihnen beschrieb sie zunächst wie Mütter sind: sorgend, beschützend, „die Arme, die dich halten“, kämpfend, rettend … – und „immer ein Taschentuch“ parat haltend. „Mutterliebe ist wie ein Feuer.“ Auch die Situation des Kindes beschrieb die schnell und beherzt sprechende Rednerin – hier ganz die Schriftstellerin – mit einer Kaskade vielfältiger Eigenschaften: geliebt, getröstet, gehalten … Zudem gelte in Bezug auf die Mütter: „Für sie wirst du niemals älter als elf.“ Aber, so setzte Christina Brudereck hinzu: „Religion ist zum Selberglauben. Wir sind älter als elf.“

Parallele zur heutigen Flüchtlingssituation
Dann – jetzt ganz die Theologin – ordnete die Essenerin das Jesaja-Wort in den historischen Kontext ein: Es sei an Leute im Exil gegangen, „an Entwurzelte“. Gott tröste die, die damals „Sehnsucht nach Heimat hatten“. Ein Fakt, der in den Köpfen vieler Zuhörer sogleich die Parallele zur heutigen Flüchtlingssituation aufleuchten ließ. „Der Trost bittet um Asyl“, formulierte Christina Brudereck pointiert. „Er möchte von uns aufgenommen werden, auch wenn er uns vielleicht noch fremd ist.“

Das stierartige Zeichen für Stärke
Als kreative Poetin zeigte sich die 46-Jährige, als sie die hebräischen Buchstaben der Wörter „Abba/Vater“ und „Amma/Mutter“ unter die Lupe nahm. Rein optisch erinnerten die beiden Schriftzeichen von „Vater“ an einen Stier, der Stärke verkörpere, und an ein Zelt, das das Zuhause symbolisiere. Vater sei also „der Starke im Haus“. Demgegenüber stecke in „Mutter“ zwar auch das stierartige Zeichen für Stärke, zudem jedoch noch ein an Wellen und Wasser erinnerndes Schriftzeichen. Die Mutter sei also die Starke, „die alles zusammenhält“, die wie Wasser zwischen die Dinge fließe und sie wie Leim verbinde.

Mütter der Bibel
Eine Namenskaskade schwabbte über die Zuhörer hinweg, als Christina Brudereck Frauen und Mütter der Bibel aufzählte – schwankend zwischen sachlich, wortverliebt und effekthaschend: Sara, Rebecca, Rahel, aber auch Hiobs Töchter Täubchen, Zimtblüte und Schminktöpfchen, und dann „Martha, ohne die wir vergessen würden zu essen“. Nicht zu vergessen Lots Frau, bei der man sich frage: „Wie kann man so doof sein, sich nochmal umzudrehen.“ Die Rednerin machte jedoch klar, dass dies für sie mehr als bloße Namen seien: „Ich reihe mich ein in die lange Geschichte. Ich füttere mein Herz mit diesen Geschichten.“

„Wir sind alle geboren“
Schlicht und doch wirkungsvoll die Erkenntnis: „Wir sind alle geboren.“ Jeder hat Eltern. „Dass wir alle eine Mutter haben, verbindet uns“, so Christina Brudereck. „Das ist so schön einfach.“ Die Jahreslosung könne helfen, dies zu sehen. „Wir sind alle auf Liebe ansprechbar.“

Ohne Trost allein am Kreuz gestorben
Und erneut verblüffte die Theologin mit einer wortkritischen Auslegung, als sie erklärte, dass im hebräischen Wort für Trost der hebräische Wortstamm stecke, der atmen bedeute. „Trost ist, was Menschen zum Aufatmen führt.“ Damit sei „wahrer Trost“ gemeint, kein Drüber-hinweg-Trösten. Wir Menschen könnten durch Gottes Zusage aufatmen, „weil es diesen großen Trost gibt“. Wobei, wie Brudereck ausführte, es auch eine „Achtung der Untröstlichkeit“ geben müsse. Dabei könne es Betroffenen helfen zu erkennen, „dass Gott weiß, wie es ist, untröstlich zu sein“. Denn Jesus sei ohne Trost allein am Kreuz gestorben, was in Händels „Messias“ wunderbar vertont worden sei. „Diese Trostkraft können wir nicht beweisen.“ Doch sie sei zu spüren. „Mit diesem Vertrauen gehen wir in das neue Jahr.“

Mut der eigenen Meinung
Dies taten die Anwesenden mit dem Segen von Andrea Vogel, Superintendentin des Kirchenkreises Köln-Rechtsrheinisch, die in ihrem Grußwort neben der Gewissheit des Trostes vor allem Mut fürs neue Jahr wünschte. „Den Mut, sich eine eigene Meinung zu bilden.“ Und den Mut, den auf der Landessynode beschlossenen Weg miteinander zu gehen. Dazu passten viele der Lieder, die den Festgottesdienst gestalteten, insbesondere das „Nada te turbe/Nichts soll dich ängstigen“, das die Domkantorei Altenberg stimmgewaltig zu Andreas Meisners Orgelspiel ausführte.

Text: Ute Glaser
Foto(s): Ute Glaser