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„Neue Gemeindeformen“ sind Thema der Landessynode 2017

Fresh Expressions, kurz Fresh X, scheint das Zauberwort für neue Formate in der kirchlichen Gemeindearbeit zu sein. Was in der Anglikanischen Kirche bereits vor mehr als 20 Jahren gestartet ist, kommt inzwischen auch in Deutschland an. Gesucht werden neue Ausdrucksformen kirchlichen Lebens, und zwar nicht zeitlich begrenzt, wie bei einem Projekt, sondern dauerhaft. Dahinter steckt der Gedanke, dass sich durch veränderte gesellschaftliche Bedingungen wie Globalsierung und Digitalisierung die Bedürfnisse von Menschen verändern, auch innerhalb der Kirchengemeinden. Viele sprechen heute von Traditionsabbrüchen. Ein Grund, weshalb mit Fresh X vor allem Menschen angesprochen werden sollen, die noch keinen Bezug zu Kirche und Gemeinde haben. Die Landessynode 2017 der Evangelischen Kirche im Rheinland, die heute beginnt, beschäftigt sich unter anderem mit dem Thema „Neue Gemeindeformen“.

Herr Zimmermann, Sie sind Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Köln-Nord und Mitglied der Arbeitsgruppe „Neue Gemeindeformen“. Ist Fresh X eine Konkurrenz oder gar ein Ersatz für bestehende Gemeindeformen?

Markus Zimmermann: Fresh X, das heißt, andere Gemeindeformen zu schaffen wie zum Beispiel eine Jugendkirche, ist kein Ersatz und schon gar keine Bedrohung für bestehende Gemeindeformen, sondern eine sinnvolle und notwendige Ergänzung, weil wir auf diese Weise Menschen ansprechen, die wir sonst nicht mehr erreichen können.

Welche Impulse kommen dazu aus der Arbeitsgruppe „Neue Gemeindeformen“?

Markus Zimmermann: Die Arbeitsgruppe hat die Vorlage für die Landessynode erarbeitet und damit ihren Auftrag erfüllt. Sie war bunt besetzt mit Menschen aus ganz unterschiedlichen Arbeitsbereichen unserer Kirche: Besonders inspirierend fand ich die Impulse und die Sicht einer jungen Kollegin, Pfarrerin Rebecca John-Klug, die uns mitgenommen hat in die Gedankenwelt und Erwartungen ihrer Generation und das „Raumschiff Ruhr“ im Kirchenkreis Essen vorgestellt hat, ein innovatives und sehr spannendes kirchliches Angebot für junge Menschen. Hilfreich waren auch die Einbringung, die Prozessbeschreibung und die Ergebnisse des „glaubensreich“-Prozesses durch Landespfarrer Christoph Nötzel, die ich so zusammenfassen möchte: vergnügt, erlöst, befreit, mutig voran zu neuen, auch ungewöhnlichen Gestaltungsformen unserer Kirche. Aber es wurde in der Arbeitsgruppe von verschiedenen Vertreterinnen und Vertretern auch gefordert, dass wir uns bestehenden Gemeinden wie zum Beispiel den Studierendengemeinden oder auch Gemeinden fremder Sprache und Herkunft nähern und ihnen die Möglichkeit zur Mitbestimmung in unseren kirchlichen Gremienstrukturen einräumen sollten, sofern sie das möchten. Wahrzunehmen, dass unsere Kirche bereits jetzt schon vielfältiger ist als wir denken, wirkt befreiend und ermutigend.

Wie können neue Entwicklungen Ihrer Meinung nach aussehen?

Markus Zimmermann: Die diesjährige Landessynode gibt hoffentlich mit großer Mehrheit das Startsignal dafür, andere Gemeindeangebote zu formen. Im Laufe dieses Jahres wird dann in den Gremien und Ausschüssen genauer überlegt werden, wie der Prozess strukturell und finanziell weiter entwickelt wird. Zum Beispiel dadurch, dass die Landeskirche bereit ist, Pfarrstellen für einen vereinbarten Zeitraum für die Erprobung einer alternativen Gemeindeform zur Verfügung zu stellen. Vor allem hoffe ich auf gute Ideen für mögliche alternative Gemeindeformen. Die „Beymeister“ in Köln-Mülheim sind für mich ein schönes und bereits gelungenes Beispiel. Auch alte Konzepte und Ansätze wie das einer „Ladenkirche“ dürfen getrost wieder belebt und heutigen Verhältnissen angepasst werden. Übrigens muss grundsätzlich gelten: Scheitern ist erlaubt und nichts ist für die Ewigkeit! Ich erhoffe mir Unterstützung auch der Gemeinden vor Ort, Lust zum Mitüberlegen und Mitmachen. Das wäre optimal und würde auch mögliche Ängste vor Konkurrenz und Wettbewerb nehmen.

Wie gehen Sie ganz konkret in Ihrer Gemeinde in Mauenheim und Weidenpesch mit dem Thema „Neue Gemeindeformen“ um?

Markus Zimmermann: Wir werden die Gemeinde mit den Menschen vor Ort neu bauen, ganz im wörtlichen Sinne. Dahinter steht das Konzept, sowohl baulich als auch inhaltlich einen wichtigen Akzent im Stadtteil und darüber hinaus zu setzen: Kirche ist ortsnah, innovativ, modern, in vielerlei Hinsicht barrierefrei und einladend. Das neue Zentrum wird so ausgestaltet sein, dass mit geringem Aufwand Räume umgestaltet und den Gruppen angepasst werden können. Mit dem Kirchenquartierkonzept in der Kombination von Gemeinde- und Wohnräumen möchten wir Menschen aller Generationen ansprechen, und mit unserem dann größeren Kindergarten Spatzennest junge Familien ansprechen und erreichen. Vieles andere wird sich dann hoffentlich noch entwickeln.

Was erwarten Sie von der Landessynode, was sollte dort beschlossen werden?

Markus Zimmermann: Passend zum Reformationsjubiläumsjahr mit dem Beschluss der Vorlage den Startschuss zu geben dafür, dass Gemeinden auch anders gestaltet werden können als bisher, dass Kirche mutig nach vorne denkt und so verstärkt zu den Menschen geht – das wäre ein großer Schritt!

Damit verbunden ist auch das Ansinnen, dass wir als Kirche zukünftig mit leichterem Gepäck unterwegs sind und flexibler werden. Und dazu gehört mit Sicherheit und vorrangig auch: dass wir bereit sind, über den eigenen ortsgemeindlichen Tellerrand hinauszublicken und bestehende gemeindliche Grenzen im Kopf und auf dem Stadtplan überwinden. Theologisch gesprochen: Gottes veränderndem Geist noch mehr Raum zu geben, wird die Kirche beleben und Menschen ansprechen. Das bedeutet für mich auch, den Mut zu haben, in den Gemeinden ganz gleich welcher Form, Schwerpunkte auf Zeit zu setzen, das jeweils eigene Profil zu schärfen, mit den etablierten Nachbargemeinden und neuen kirchlichen Experimentierfeldern und Erprobungsräumen zusammenzuarbeiten und sich von deren Profil bereichern zu lassen, statt es als Bedrohung oder Infragestellung der eigenen Arbeit zu betrachten.

Sie sagen: „Kirche mit leichterem Gepäck“ – Inwiefern ist das Gepäck leichter, wenn alles Vorhandene jetzt geteilt werden soll? Wovon werden sich Kirchengemeinden trennen, wenn sie etwas mit anderen teilen?

Markus Zimmermann: Kirchengemeinden profitieren davon, wenn sie nicht mehr alles alleine machen müssen, sondern Kräfte und Ressourcen mit anderen teilen. Sie müssen nicht mehr alles selbst vorhalten. Sie entlasten sich von zunehmender personeller und finanzieller Überforderung, können sich möglicherweise auch von teuren und sanierungsbedürftigen Gebäuden trennen und werden früher oder später auf jeden Fall die heilsame Erfahrung machen: Gemeinsam sind wir stark!

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Die Drucksache 24 der Landessynode 2017 beschäftigt sich mit „Neuen Gemeindeformen“.

Text: Angelika Knapic
Foto(s): Jürgen Schulzki