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Neue Bibelübersetzungen diskutiert

„Die gantze Heilige Schrifft Deudsch“ legte Martin Luther 1545 vor. Die Melanchthon-Akademie (MAK) und ihr Leiter Dr. Martin Bock, die Karl-Rahner-Akademie und ihr Leiter Dr. Bernd Wacker und der Verein „Bibel in gerechter Sprache“ mit Professorin Marie-Theres Wacker luden jetzt zu einer Diskussion über vier aktuelle Bibeln ein.

Diskussionsgrundlage waren die neue Lutherbibel – Ende Oktober erschienen -, die überarbeitete katholische Einheitsübersetzung, sie erscheint heute (!), die Zürcher Bibel von 2007 und die Bibel in gerechter Sprache aus dem Jahr 2006. Als Experten auf dem Podium waren die evangelischen Theologie-Professoren Frank Crüsemann (Bielefeld) und Jürgen Ebach (Bochum), Landesbischof a.D. Christoph Kähler (Leipzig) sowie von katholischer Seite der Hochschulgelehrte Egbert Ballhorn (Dortmund) eingeladen.

Luther war unzufrieden mit seiner Sprache
„Es ist aus Luthers Tischreden überliefert, dass er sich kritisch über die theologischen Fähigkeiten seiner Mitstreiter äußerte“, sagte MAK-Leiter Dr. Bock in seiner Begrüßungsansprache. Auf dem Mittagstisch soll der Reformator Zensuren notiert und sich dabei selbst mit einem Plus in der Sache und einem Minus in der Sprache beurteilt haben. Einzig Philipp Melanchthon bescheinigte Luther Perfektion in beidem. „Wir sind also hoffentlich hier am richtigen Ort“, meinte Bock schmunzelnd mit Bezug auf den Namensgeber der evangelischen Akademie.

Gemeinsames Markenzeichen und ein Abschied
Die ökumenische Zusammenarbeit an den neuen Bibelübersetzungen wertete der MAK-Leiter einerseits als ein „gutes Zeichen“, dass der theologische Grundsatz der Reformation „sola scriptura“ („allein durch die Schrift“) zu einem gemeinsamen „Markenzeichen“ von evangelischen und katholischen Christen im deutschen Sprachraum werden könne. Auf der anderen Seite dürfe nicht vergessen werden, dass die evangelische Kirche sich 2005 aus dem gemeinsamen Projekt einer evangelisch-katholischen „Einheitsübersetzung“ verabschiedet habe.

Die Lutherbibel: oft im Gottesdienst eingesetzt
Der lutherische Theologe Professor Dr. Christoph Kähler leitete das von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Auftrag gegebene Projekt „Lutherbibel 2017“ und berichtete den Zuhörenden davon. Ein Kreis von 70 Fachkräften war sieben Jahre lang mit der Revision der Bibel beschäftigt und sammelte zunächst Informationen über ihre Verbreitung und den Gebrauch. Sie fanden heraus: Die Lutherbibel von 1984 wurde in der ersten Dekade des neuen Jahrtausends 1,8 Millionen Mal verkauft. In einer Umfrage gaben 53 Prozent der Kirchenmitarbeiter an, dass die Lutherbibel häufig im Gottesdienst für Predigttexte eingesetzt werde.

Die Schwachstellen der Lutherbibel
Die Überarbeitung sollte folglich „an den Schwachstellen der Lutherbibel von 1984“ ansetzen. Im Alten Testament gab es 1964 „fragliche Ansätze einer Sprachmodernisierung“, führte Kähler aus. Und schon für Luther gestaltete sich die Suche nach dem Urtext vor der masoretischen (hebräischen) Fassung sehr schwierig. Für Ergänzungen war er auf die älteste durchgehende Übersetzung der hebräisch-aramäischen Bibel in die altgriechische Alltagssprache, die Septuaginta (LXX), die lateinische Bibelübersetzung Vulgata und auf nicht mehr rekonstruierbare Mixturen angewiesen. Die Lutherbibel von 1984 sollte auf Treue zum Ausgangstext überprüft werden. Eine Anpassung an modernes Deutsch war ausdrücklich nicht vorgesehen.

Sechs Arbeitsgruppen, fünf Bücher
Die Experten befassten sich in sechs Arbeitsgruppen mit dem „Pentateuch“, mit den fünf Büchern Moses: mit den Geschichtsbüchern, Schriften, Propheten, Apokryphen und dem Neuen Testament. Außerdem wurde ein Lenkungsausschuss gebildet, vor dem die Fachkräfte, ganz im Sinne der evangelischen Werte zum Umgang miteinander, abschließend Stellung zu ihrer Arbeit bezogen, bevor die neue Lutherbibel dem Rat der EKD vorgelegt wurde.

Statt „Frömmigkeit“ die „Gerechtigkeit“
Christoph Kähler nannte ein Beispiel für die Überlegungen zur zeitgemäßen Anpassung der Lutherbibel: Der Vers Matthäus 6,1 lautete 1545: „Habt acht auf eure Almosen, daß ihr die nicht gebet vor den Leuten.“ In der Version von 1984 steht: „Habt acht auf eure Frömmigkeit, daß ihr die nicht übt vor den Leuten.“ Das Wort Frömmigkeit sei in der Lutherbibel 2017 ersetzt durch „Gerechtigkeit“ mit Bezug auf die lateinische Wendung „iustitiam vestram“. Kähler die Neuübersetzung: „Wir würden ansonsten ein zentrales Stichwort der Bergpredigt unterschlagen.“

Die Einheitsübersetzung: der Gottesname
Egbert Ballhorn, seit 2012 Professor für Exegese und Theologie des Alten Testaments an der TU Dortmund, stellte die neue katholische Einheitsübersetzung vor. Schwerpunkte der Revision waren die Auseinandersetzung mit dem Gottesnamen, eine Rückkehr zum Leitwortstil wie im hebräischen Text sowie die Orientierung am Urtext, etwa um verblasste Metaphern neu zu beleben. Die Übersetzer kehrten unter anderem zu Wendungen wie „und es geschah“ zurück, da sie als Verständigungselement benutzt wurden, um bedeutende Ereignisse anzukündigen.

Die „Bibel in gerechter Sprache“: reformatorisches Anliegen freilegen
„Wir haben für die Bibel in gerechter Sprache keinen kirchlichen Auftrag bekommen“, betonte der Alttestamentler Frank Crüsemann. Die eigenständige Übersetzung knüpfe an keine Tradition an, zugrunde liege der „reine Text“ der Biblia Hebraica Stuttgartensia (BHS). Kernpunkt und Anlass dieser Neuübersetzung sei der „lange ökumenische Lernprozess“, den die Kirchen in der feministischen Bibellektüre, im jüdisch-christlichen Dialog und im konziliaren Prozess für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung gemacht hätten. „Wir wollten die Gerechtigkeits-Potentiale der Schrift wieder erkennbar machen und damit ein zutiefst reformatorisches Anliegen freilegen.“ Konsequenzen hat dies auch für den Umgang mit den Gottesnamen. „Wir wollten erkennbar machen, dass Gott weder eine Gestalt ist, noch ein Geschlecht hat“, erklärte Crüsemann. Während in allen anderen neuen Bibeln im Vers Genesis 1,27 die Rede ist von der Erschaffung von „Mann und Frau“, liest man in der „Bibel in gerechter Sprache“: „Da schuf Gott Adam, die Menschen, als göttliches Bild, als Bild Gottes wurden sie geschaffen, männlich und weiblich hat er, hat sie, hat Gott sie geschaffen.“

Die Zürcher Bibelübersetzung: keine Beschönigungen
Die feministische Theologin Marie-Theres Wacker stellte die Zürcher Bibel von 2007 vor. Zielvorgabe sei gewesen, ohne Beschönigung die drastische Sprache der Reformation in die heutige Zeit zu übertragen, erklärte sie. „Dabei sollte vermieden werden, Wasser auf die Mühlen von Anti-Judaisten zu gießen“, so die Theologin. Sie führte als Beispiel für diese diffizile Aufgabe das Buch Ester an, das die „Selbstverteidigung“ des Judentums im babylonischen Exil zum Thema hat. An der Stelle 9,5 heißt es jetzt: „Und die Juden schlugen zu bei allen ihren Feinden: Sie erschlugen sie mit dem Schwert, brachten sie um und merzten sie aus, und mit denen, von denen sie gehasst wurden, verfuhren sie, wie es ihnen beliebte.“ Das Kapitel wurde mit der Überschrift versehen „Die Juden stehen für ihr Leben ein.“ Die Wörter „vernichten“ und „Blutbad“ aus der Zürcher Übersetzung von 1931 wurden nicht mehr verwendet. „Denn sie sind deutend“ und haben eine schlimme antisemitische Blutspur, begründete Wacker die Änderung.

Luthers Klangsprache bewahrt
„Es gibt keine perfekte Bibelübersetzung“, meinte Kähler. Sein Team habe um die Inhalte von Worten gerungen, zum Beispiel bei problematischen Begriffen wie „herrschen“. In manchen Texten habe man ein veraltetes Wort wie „daselbst“ stehen lassen. „Wir wollten nicht an den Geschichten mit Allerweltssprache herumbessern“, meinte er. „um die Klangsprache Luthers bewahren zu können.“

Chance für neue ökumenische deutsche Bibelübersetzung?
Experten und Publikum diskutierten im Anschluss an die Bibel-Vorstellungen noch engagiert über das Für und Wider der einzelnen Übersetzungen, über die kirchenamtliche Kritik, die die „Bibel in gerechter Sprache“ in der Zeit ihrer Veröffentlichung durch die EKD erfahren hat, und darüber, ob das „Kulturgut“ Lutherbibel so etwas wie „Denkmalschutz“ benötigt und ob sich säkularisierte Zeitgenossen im Text der Lutherbibel wiederfinden können – und natürlich darüber, ob es in absehbarer Zukunft noch eine Chance für eine ökumenische deutsche Bibelübersetzung gibt.

Text: Ulrike Weinert
Foto(s): Ulrike Weinert