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Superintendent Bernhard Seiger, FC-Stadionsprecher Michael Trippel, Markus Besserer, Geschäftsführer des Evangelischen Verwaltungsverbands Köln-Süd/Mitte und Bernhard Ripp, stellv. Landrat des Rhein-Erft-Kreises (von rechts) bei der "Mittagspause mit allen Sinnen" in Brühl

„Mittagspause mit allen Sinnen“ – FC-Stadionsprecher Michael Trippel zu Gast auf dem Andreaskirchplatz

Für nicht wenige ist Fußball eine Religion. Eine Ersatzreligion, sagen manche. Andere gehen zu einem Fußballspiel wie zu einem Gottesdienst, heißt es. Die Dortmunder nennen ihr Stadion gar Tempel. „Die Leute gehen zum Fußball, weil sie nicht wissen, wie es ausgeht“, hat Sepp Herberger gesagt. Aber es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen einem Fußballspiel und einem Gottesdienst. „Da weiß ich schon vorher, dass ich am Ende der Sieger bin“, sagte Superintendent Bernhard Seiger während der „Mittagspause mit allen Sinnen“ auf dem Andreaskirchplatz in Brühl. Markus Besserer, Geschäftsführer des Evangelischen Verwaltungsverbands Köln-Süd/Mitte, hatte zum zweiten Mal Vertreter und Vertreterinnen aus Politik, Verwaltung, Zivilgesellschaft und Wirtschaft eingeladen, miteinander ins Gespräch zu kommen und sich im besten Fall zu vernetzen. Natürlich durfte auch die Pommes-Curry-Wurst-Bude nicht fehlen, an der der Andrang groß war. Das runde Leder, das ja längst ein runder Kunststoff ist, stand im Mittelpunkt der Mittagspause. Besserer hatte Michael Trippel eingeladen, in Köln und darüber hinaus bekannt als Stadionsprecher des 1. FC Köln. Was können Unternehmen und Verwaltungen Positives von der Fankultur lernen? Wie integriert man radikalisierende Menschen? Antworten auf diese Fragen suchte Trippel in seinem Vortrag

Begonnen hat alles nach der Katastrophe im Brüsseler Heysel-Stadion. Damals starben bei einem Europapokalspiel 39 Menschen, als Fans des FC Liverpool einen benachbarten Zuschauerblock stürmten und dort eine Massenpanik ausbrach. „Viele hatten damals Angst, dass die Hooligans unseren Fußball kaputt machen“, erinnerte sich Trippel. Auch im Müngersdorfer Stadion war Gewalt an der Tagesordnung. „Viele Familien mit Kindern kamen nicht mehr ins Stadion“, sagte Trippel. Nach vergeblichen Anläufen wurde er schließlich Fan-Beauftragter des Vereins und nahm Kontakt zu den Anhängern des FC auf. „Warum werden die Hools? Das sind 16-, 17-, 18-jährige junge Männer, die aufbegehren, die Grenzen austesten wollen. Wichtig: Jeder in der Gruppe wird ernst genommen, jeder fühlt sich zu Hause. Die Gruppe ist Familienersatz.“

Trippel erinnerte sich an eine Begegnung mit dem Anführer der Geißböcke 81, einer Hooligan-Truppe, die wegen ihrer Gewaltbereitschaft Ansehen in der Szene genoss. „Ich habe den eingeladen zu einem Eishockey-Spiel. Danach waren wir auf ein paar Kölsch in der Altstadt. Ich hatte ein tolles Gespräch mit dem jungen Mann.“ In München traf Trippel den Hooligan-Chef, der mit seiner Gruppe unterwegs war. „Ach, da ist ja der Arsch vom FC“, habe der nur gesagt. Trippels Fazit: In vielen Hools schlummern zwei Persönlichkeiten. In der Gruppe müssen sie ihre Rolle spielen. „Deshalb sind Absprachen mit Hooligans sehr schwierig.“

Es gab aber auch Fälle, in denen Selbsterkenntnis Anlass zur Hoffnung gab. „Einmal kam einer von den harten Jungs zu mir und bat mich, ihm Stadionverbot zu geben. Er habe Frau und Kind und einen Job, und wenn er das Stadion meiden würde, wäre Schluss mit seiner Hooligan-Karriere.“ Heute spielten die Hools eine marginale Rolle. Es gebe immer noch welche, die sich zum Prügeln im Wald oder entlegenen Gewerbegebieten träfen. An ihre Stelle seien die Ultras getreten. Das Procedere sei im Prinzip das Gleiche. „Auch die wollen Grenzen testen. Ich bin dafür, dass in der Kurve Pyros brennen. Aber kontrolliert. Das lehnen die kategorisch ab.“ Auch mit den Ultras seien Absprachen schwierig. „Aber es ist wichtig, dass wir im Gespräch bleiben.“ Sehr positiv bewertet Trippel das Fan-Projekt des FC. „Wir haben es geschafft, dass wir die jungen Leute an uns gebunden haben, bevor sie zu den Hooligan gingen.“

Seine Premiere als Stadionsprecher feierte Trippel am 14. August 1999 bei einem Zweitliga-Spiel gegen Rot-Weiß Oberhausen vor 25.000 Zuschauern. Vorher hatte er bei Amateurspielen am Mikrofon gesessen. Und er hat eine Menge verändert. „Willkommen in der schönsten Stadt Deutschlands“, ist der Satz zur Begrüßung des Publikums, der sein Markenzeichen geworden ist. „Das bezieht sich aber nur auf unser Lebensgefühl“, stellte er klar. Neu war auch, dass er die Fans aufforderte aufzustehen, wenn die FC-Hymne gespielt wird. Irgendwann habe man die Fans nach ihrem Wunschlied für den Torjubel gefragt. „Dat Trömmelche“ habe mit großem Abstand den Sieg davon getragen. Es habe allerdings Ausnahmen gegeben. Matthias Scherz habe sich „Buenos Diaz, Matthias“ gewünscht, wenn er ins Schwarze getroffen habe. Und für Patrick Helmes hat Trippel „Let me entertain you“ gespielt.

„Fußball ist wie das Leben. Wenn es schwierig wird, müssen es die Frauen richten“, spielte Bernhard Seiger auf die derzeit schwache Vorstellung der Männer-Nationalmannschaft an und verwies auf die derzeit laufende Frauen-WM, bei der die deutsche Elf zu den Mit-Favoriten gehört. Der Superintendent zog in seinem geistlichen Impuls zur „Mittagspause mit allen Sinnen“ zahlreiche Parallelen zwischen Kirche und Fußball. Er verglich die Talare der Pfarrpersonen mit der schwarzen Kluft der Schiedsrichter. Und ein gutes Spiel sei einer guten Liturgie nicht unähnlich.

Für einen Gottesdienst versammele sich eine erwartungsvolle Gruppe, es erklängen die Glocken und dann zögen die Pfarrpersonen und andere in die Kirche ein. Die Menschen stünden auf. Beim FC erklänge die Hymne, die Mannschaften liefen ein und es herrsche eine „irre Atmosphäre“, ein „Wir-Gefühl wie in einem Gottesdienst“. Auch hier stünden die Menschen auf, um den Mannschaften ihren Respekt zu erweisen. Und es gibt noch zwei Gemeinsamkeiten zwischen Gottesdienst und Fußballspiel, so Superintendent Seiger: „Ein treuer Fan kennt alle Lieder auswendig.“ Am Ende eines Spiels könne eine Meisterschaft stehen. Oder eine Mannschaft recke einen Pokal in die Höhe. „Das ist vergleichbar mit dem Schluss-Segen im Gottesdienst.“ Darin komme zum Ausdruck: „Du bist wichtig. Du bist Teil eines großen Ganzen. Du wirst hier gesehen.“

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Stefan Rahmann