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Mit Psalmen Brücken zwischen Religionen bauen

Mönche, die singend durch Klöster wandeln, das Licht des Glaubens im finsteren Mittelalter, Papst Gregor im 7. Jahrhundert: Solche Bilder beschwört der Begriff Gregorianik für manche herauf. Was es mit den faszinierenden religiösen Gesängen auf sich hat und was daran evangelisch ist, erfuhren jüngst Besucher eines Abendgottesdienstes in der Kirche der Evangelischen Kirchengemeinde Weiden/Lövenich an der Aachener Straße 1208.

Als Vesper im Stil der Gregorianik feierten der evangelische Pfarrer Wolfram Behmenburg und sein katholischer Amtskollege im Ruhestand, Rainer Fischer, erstmals das Abendgebet. Ihr Angebot füllte die Kirche. Um das Gemeinschaftliche zu betonen und um sich beim miteinander Singen besser sehen zu können, waren die Kirchenstühle im Halbkreis aufgestellt. Bei seinen Grußworten am Ende der Vesper strahlte Pfarrer Behmenburg: „Ich hätte nicht gedacht, dass Sie sich so konzentriert auf das Psalmensingen einlassen und dass es derart gelingt.“ Er dankte den Gottesdienstbesuchern für diese „Wegbegleitung“.

Zur 500-Jahr-Feier der Reformation werden Psalmen einstudiert
Die Vesper darf als Lackmus-Test gelten für ein Vorhaben der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen Köln (ACK) anlässlich des Reformationsjubiläums im Jahr 2017. „Mit Psalmen Brücken bauen“ will das ökumenische Projekt, das zum Mitmachen einlädt. Der Abend „Evangelische Gregorianik“ in Weiden stellte die Signale auf Grün für den Workshop „Lust auf Psalmen“ am Samstag, 29. August, von 10 bis 16 Uhr, in der Melanchthon-Akademie, Kartäuserwall 24b. Anmeldungen werden unter E-Mail anmeldung@melanchthon-akademie.de angenommen.

Anknüpfung an die Tradition der Michaelsbruderschaft
„Das Abendgebet ist neu in unserer Gemeinde, aber uralt in der Geschichte der Kirche“, erklärte Behmenburg. In Klöstern sei die Vesper das vierte unter fünf Tagesgebeten. Herzstück seien drei gesungene Psalmen. Allerdings beschränkten sich Fischer und Behmenburg auf den Psalm 92 „Wie schön ist es, dem Herrn zu danken“ in vereinfachter Form für die Weidener Premieren-Vesper im Stil der Gregorianik. Bei der Auswahl orientierten sie sich an der Tradition der evangelischen Michaels-Brüder aus dem süddeutschen Kloster Kirchberg.

Psalmodieren betont das Wort
Zu Beginn übten Behmenburgs Ehefrau Ulrike und der Katholik Fischer die Gesänge Seite an Seite mit der Gemeinde. In der Vesper übernahm Behmenburg dann die Rolle des Vorsängers. „Psalmodieren liegt zwischen Sprechen und Singen, wobei der Text statt der Melodie im Vordergrund steht“, erläuterte Behmenburg die spärlichen Vorgaben fürs Singen auf dem Notenblatt. Lediglich Punkte für die Töne verteilen sich auf vier statt fünf Notenlinien, und es fehlen Hinweise, wie lang ein Ton gehalten werden soll. „Die Gestaltung ist den Vorsängern und der Gemeinde vorbehalten“, so Behmenburg.

Atempausen in Doppelversen
Gesungen werden im Wechsel Doppelverse, wobei zwischen den beiden Zeilen eines Verses eine Pause eingelegt wird. Keine Pause ist vorgesehen, wenn der Vorsänger oder die Gemeinde den nächsten Doppelvers übernimmt. „Die Sternchen markieren Atempausen: Wir sollen merken, dass wir Pausen brauchen“, wies Behmenburg auf die Besonderheit hin. Nach wenigen Wiederholungen klappte in der evangelischen Kirche bald das harmonische Innehalten.

Reformatoren ersetzten lateinische durch deutsche Texte
Da die Feier des Gottesdienstes in der Landessprache zu den wesentlichen Neuerungen der Reformation gehört, wurden bereits ab 1520 die lateinischen Worte der überlieferten gregorianischen Melodien durch deutsche Texte ersetzt. Außerhalb von Klöstern erlangte das gemeinschaftliche Psalmensingen jedoch kaum Popularität, trotz Wiederentdeckung der Gregorianik in den 1920er Jahren. Aufseiten der evangelischen Kirche war daran maßgeblich die Berneuchener Bewegung und die ihr nahestehende evangelische Michaelsbruderschaft beteiligt.

Brücken zwischen den Religionen
Ein Höhepunkt der Vesper war ein Dialog zwischen Behmenburg und Fischer über die Bedeutung der Psalmen für das eigene Leben und für den Brückenbau zwischen den Religionen. Fischer, der auch Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Köln ist, zitierte die jüdische Literatur-Nobelpreisträgerin Nelly Sachs, die die Psalmen „Nachtherbergen für die Wegwunden“ nannte. „Oft fehlen uns die Worte zum Beten, und wir sind dankbar, dass wir nach den Worten der Psalmen greifen können, die jahrhundertelang Menschen vor uns gebetet haben“, meinte Fischer.

„Du hast die evangelische Antwort gegeben auf eine Tradition, die wir im Wesentlichen den katholischen Klöstern zu verdanken haben“, schlug Pfarrer Wolfram Behmenburg in seiner Replik auf Fischer den Bogen zu der interreligiösen Aktion des kommenden Reformationsjubiläums.

Text: Ulrike Weinert
Foto(s): Ulrike Weinert