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Mit Kultur gegen Vorurteile

Keine Spur von Staub und Muff – Wie gegenwärtig es sich an alte Stoffe herangehen lässt, hat Regisseur Adrian Schvarzstein im Eröffnungskonzert des Kölner Fests für Alte Musik am vergangenen Samstag mit eindrücklichen Bildern gezeigt. Mit seiner modernen und interkulturellen Inszenierung von Matthew Lockes und Christopher Gibbons´ Maskenspiel „Cupid and Death“ (1653) markierte Schvarzstein gleich zu Beginn des Festivals den großen historischen Bogen, den das Festival mit dem diesjährigen Thema „Krieg und Frieden“ umspannen will. Dabei mischen sich Assoziationen der europäischen Glaubenskriege des 17. Jahrhunderts mit welchen der jüngsten Kriege, etwa im Irak oder des noch andauernden Kriegs in Syrien. Aber der Reihe nach:

Im ursprünglichen Libretto griff der Dichter James Shirley die gleichnamige Fabel des antiken Dichters Aesop auf und transferierte sie in seine eigene Gegenwart – das England des 17. Jahrhunderts. Bei Shirley übernachten Cupido (Amor) und der Tod zufällig im selben Hotel und führen sich dabei so unerhört auf, dass der Hoteldiener aus Rache ihre Pfeile vertauscht. Folglich bringen sich die Liebespaare um und die Soldaten auf dem Schlachtfeld umarmen einander, statt sich zu bekämpfen. Als sich der Hoteldiener in seine Affen verliebt, sieht sich die völlig verwirrte Natur gezwungen, den Götterboten Merkur herbeizurufen, um die Dinge wieder in Ordnung zu bringen. Ganz im Sinne Shirleys adaptiert Schvarzstein die Geschichte ins Europa des 21. Jahrhunderts, eines des interkulturellen Dialogs und des modernen Humanismus.

Trinitatiskirche im März 2018: Eine Hochzeit läuft aus dem Ruder. Der etwas „unorganisierte“ Pastor (Bariton Christos Pelekanos) und die Hochzeitskapelle (Neue Hofkapelle Graz) sind zu spät, also begrüßt die etwas tollpatschige Hochzeitsplanerin (Sopranistin Maria Jonas) die Gäste mit ihrem rheinischen Charme. Für eine erste Irritation sorgt die arabische Familie (Flüchtlingschor „Sonne der Aramäer“) des Bräutigams, die mit lautem Gesang, Trommeln, trillernden Freudenrufen und dynamischem Tanz die schwebende Feierlichkeit der Locke´schen Musik aufmischt. Vor der entsetzten Kapelle und dem verdutzten Pastor tanzt, trommelt und singt eine euphorische arabische Familie. Erst nachdem der Pastor energisch auf die Hochzeitsplanerin einredet und der Bräutigam vermittelt, lässt sich die gewohnte Ordnung wieder herstellen und die Braut (Sopranistin Bethany Seymour) singt die erste Arie der Locke´schen Masque „Though little be the God of Love“. Erneut clashen die Kulturen, als anschließend die graziösen Brautjungfern (Feeda Soubaiti-El-Ali und Rita William), begleitet von Bräutigam (Bassem Hawar, Djose (orientalische Kniegeige) und dem Trauzeugen (Saad Mahmoud Jawad, Oud), das melancholisch-feierliche alt-andalusische Lied „Lamma bada“ anstimmen. Die Familie des Bräutigams stimmt von der Empore aus ein. Die zarte Atmosphäre der arabischen Melodie bricht der Organist sofort mit einem brachial artikulierten „Hochzeitsmarsch“ von Mendelssohn und entlockt dem Publikum diesem betonten Stimmungsbruch manchen Lacher.
Dame Emma Kirkby (re.) als Witwe (Nature)
Das Paar ist gerade frisch vermählt, da platzt eine Witwe (Sopranistin Dame Emma Kirkby) mit ihrem toten Gatten im Sarg in die Zeremonie hinein, begleitet vom leibhaftigen Tod (Barocktänzerin Jurate Sirvyte-Rukstele). Der Pastor muss nervös erkennen, dass er versehentlich eine Beerdigung für den selben Termin angenommen hat. Dort, wo eben noch das glückliche Hochzeitspaar stand, nimmt nun die Witwe vor dem Sarg ihres Mannes Platz und der verführerische Tod drapiert sich dazu. Was tun? Neben die bunten Luftballons wird notgedrungen ein Bund schwarzer Luftballons gehängt. Doch die Hochzeitszeremonie ist lange geplant und muss irgendwie weitergehen. Ein falscher Elvis (gespielt von Festival-Intendant Thomas Höft) stürmt herein, lässt sich nicht beirren und schmettert mit besten Absichten ein herrlich unpassendes „Can´t help falling in love“. Der Unmut der Witwe entlädt sich im Rezitativ „Fly, fly, my children“. Als die Hochzeitsplanerin die Witwe besänftigen will, nimmt sie aus Versehen den Stuhl des Bräutigams, der sich ins Leere setzt und ausgerechnet mit dem Kopf gegen den Sarg fällt und ohnmächtig wird. Der Tod verführt mit wildem Tanz ein Paar aus dem Publikum und macht sich an den Pastor heran. Nun verliebt sich auch noch der völlig betrunkene Küster in den Tod, was die Hochzeitsplanerin zu verhindern versucht. Verzweifelt vor Liebeskummer will er sich mit einem Revolver erschießen. Die tollpatschige Hochzeitsplanerin versucht sein Leben zu retten, löst aber aus Versehen einen tödlichen Schuss aus und erreicht das Gegenteil. Der aufgebrachte Pastor sieht sich schließlich gezwungen einzugreifen und ruft (analog zum Merkur bei Shirley) die Hochzeitsplanerin wie den Tod „in the name of ev´ry God“ zur Vernunft.
Maria Jonas als tollpatschige Hochzeitsplanerin (Cupido) und Lothar Blum als leidenschaftlicher Küster (Hoteldiener)
Schvarzstein sieht seine Inszenierung als Baustein für eine Zukunft, in der Menschen unterschiedlicher Herkunft und Kultur friedlich und harmonisch zusammenleben können: „Orient und Okzident sind eine große wundervolle Welt, geteilt durch Vorurteile und Angst, das Produkt der Ignoranz. In dieser Produktion versuchen wir, mit der Hilfe jeden Gottes (wie es Merkur in dem Stück sagt), das wieder zu reparieren!“ Die ursprünglich streng puritanische Moral von „Cupid and Death“ bricht Schvarzstein mit seiner interkulturellen Inszenierung auf. Das Damals und Woanders, in dem das Maskenspiel entstand, war England nach dem konfessionellen Bürgerkrieg, den 1653 die Puritaner unter der Führung Oliver Cromwells gegen den Adel gewannen. Unter diese Assoziation mischten sich in der Aufführung Anspielungen auf die verheerenden Kriege, die seit dem Irakkrieg der amerikanischen Bush-Regierung von 2003 die arabischen Länder erschüttern und in deren Folge viele ihrer Bürger die Flucht ins friedliche Europa angetreten haben.

„Witzig, aber auch total berührend!“ Rolf Domning, Stadtsuperintendent des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region, war begeistert von Schvarzsteins humanistisch inspirierter Inszenierung. Auch Hannelore Bartscherer, Vorsitzende des Katholikenausschusses in der Stadt Köln, lobte die Aufführung: „Phantastisch und voller Energie!“ Die beiden Verbände hatten die Produktion von „Cupid and Death“ möglich gemacht. Zusätzlich zeigte eine 9. Klasse der Geschwister-Scholl-Schule in Ehrenfeld im Foyer der Trinitatiskirche eindrückliche Fotocollagen zum Thema „Krieg und Frieden“, die in Projektwochen in den Fächern Ethik, Deutsch, Kunst und Politik unter der Leitung der Lehrerinnen Anne Blank und Stefanie Herling entstanden waren.

Text: Felix Eichert
Foto(s): Felix Eichert