You are currently viewing Micha Brumlik referierte in der Melanchthon-Akademie über Israels Zukunft

Micha Brumlik referierte in der Melanchthon-Akademie über Israels Zukunft

Im März zeichnete der Deutsche Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Prof. Dr. Micha Brumlik mit der Buber-Rosenzweig-Medaille aus. Vor kurzem sprach Preisträger Buber in der Melanchthon-Akademie über „Israels Zukunft ein binationaler Staat!? Martin Buber und seine Vision für Israel“. Es ging um nichts Geringeres als eine mögliche Lösung des Nahostkonflikts. Veranstalterin war neben der Erwachsenenbildungseinrichtung des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region die Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e.V.

In der Begrüßung erinnerte Akademieleiter Dr. Martin Bock an seine eigene Studienzeit in Jerusalem Ende der 1980er Jahre. Er befand, dass die damalige Situation noch weniger kompliziert und derart komplex verfahren gewesen sei. Miguel Freund, stellvertretender Vorsitzender der Kölnischen Gesellschaft, stellte den Referenten vor und leitete in das unvermindert aktuelle Thema des Abends ein, das zahlreiche Interessierte in der Akademie zusammenführte. Der Intellektuelle, Erziehungswissenschaftler, Autor und Publizist „sei ein ausgewiesener Kenner sowohl der jüdischen als auch der christlichen Geschichte, Kultur und Religion“, fasste Freund die Begründung des Dachverbandes für die Preisverleihung an Brumlik zusammen. Zudem gebe er mit seinen Beiträgen wesentliche Impulse für das gegenseitige Verständnis von Juden und Christen.

Binationaler Staat versus Einstaatenlösung
In seinem anspruchsvollen Vortrag stellte der 68-jährige Brumlik eine vom jüdischen Religionsphilosophen Martin Buber (1878-1965) in den 1920er Jahren geborene Idee für ein friedliches Zusammenleben der Völker in Israel/Palästina vor. Die Rede ist von einem binationalen Staat beziehungsweise einer Einstaatenlösung. Historisch, politisch wie (religions-)philosophisch unternahm Brumlik eine Rückschau, blickte auf die Gegenwart und stellte eine – natürlich unsichere Prognose für die Zukunft. Bubers Vision eines jüdisch-arabischen Staates mit gleichen Rechten für beide Völker hatte auch der von ihm mitgegründete „Bund des Friedens“ (Brit Schalom, 1925 bis 1933) verfolgt.

„Das Undenkbare denken“
Nicht nur damals habe man Bubers Vorschläge für ein gleichberechtigtes politisches, wirtschaftliches und soziales System als utopisch angesehen. Auch heute noch hielten viele seine Idee für unrealistisch. Doch sei angesichts der Besatzungspolitik Israels im Westjordanland, Israels Entwicklung zu einem „Unrechtstaat“ und einer notwendigen Befriedung nicht gerade dieser „Plan B“ konkret ins Auge zu fassen, fragte Brumlik. Im Verlauf stellte er Bubers Position sowie zustimmende und konträre zeitgenössische wie aktuelle Einschätzungen vor. Und trat schließlich, rhetorisch begleitet vom Talmud-Zitat „Wann, wenn nicht jetzt?“ und appellierend, das „Undenkbare zu denken“, ausdrücklich für eine binationale Lösung ein.

„Ist die Zweistaatenlösung ein hohl gewordenes Mantra“?
„Gibt es begründete Hoffnungen auf eine Zweistaatenlösung oder stellt der Begriff ein hohl gewordenes Mantra dar?“, fragte Brumlik. Er bedauerte, dass auch Regierungen in Europa an dieser Fiktion festhielten. Zuletzt habe der israelische Psychologe Carlo Strenger in einem Beitrag für eine deutsche Zeitung aus Sicht der „israelischen Linken“ festgestellt: „Wir haben verloren“. Strenger meine, dass sich die Mehrheit der Israelis de facto durch ihre Politik (darunter den Siedlungsausbau) für eine Einstaatenlösung entschieden habe. Ebenso wie diese von den Palästinensern durch eine ganze Reihe von historischen Fehlern herbeigeführt worden sei. Für Strenger, so Brumlik, habe eine Zweistaatenlösung keine Zukunft. Stattdessen plädiere der Psychologe dafür, die Westbank zu annektieren und den Palästinensern umfassende Rechte zu geben.

Die Demokratie zählt weniger als die Heiligkeit des Landes
Der orthodoxe Jude und Zionist Gershom Gorenberg, so Brumlik, stelle in einer Bilanz der über vierzigjährigen Besatzungs- und Siedlerpolitik im Westjordanland fest, dass sich Israel „von einer Demokratie zu einer Ethnokratie gewandelt“ habe. Gorenberg weise darauf hin, dass Israels Armee zunehmend von religiösen Offizieren kommandiert werde, für die die Heiligkeit des Landes mehr als die Demokratie gelte. Gorenberg fordere eine Neugründung Israels. Er fordere den Siedlungsbau einzustellen und die Besatzung zu beenden. Ebenso verfolge der Zionist die Trennung von Staat und Synagoge, Staat und Religion. Zudem den Schritt von einer ethnischen Bewegung zu einem demokratischen Staat. Jedoch bleibe Gorenberg den Hinweis schuldig, auf welcher Basis dies erfolgen solle, bedauerte Brumlik.

Buber – ein politischer Wirrkopf?
Brumlik charakterisierte Buber als Kulturzionisten. Im Gegensatz zum kulturellen Zionismus, der auf die kulturelle Erneuerung des Judentums ziele, stünden der praktische Zionismus etwa eines Ben Gurion („Wir gehen dahin, bauen Kibbuzim“) und die politischen Zionisten in der Nachfolge von Theodor Herzl. Viele seiner Freunde und Schüler hätten Buber für einen großen Philosophen, aber auch politischen Wirrkopf gehalten. „Doch er sollte Recht behalten“, meinte Brumlik. „Was ist, wenn es eine Zweistaatenlösung nicht gibt?“, verwies Brumlik auf „Plan B“. Er fragte etwa, wie sinnvoll der Vorschlag von Michael Wolffsohn sei. Der deutsche Historiker habe eine Föderalisierung des Nahen Ostens angeregt. Neben Israel solle Jordanien in ein Jordanien-Palästina umgeformt werden und eine Bundesrepublik mit dem Bundesland „Westjordanien“ (Westjordanland) entstehen.

Gleichberechtigte in einem binationalen Gemeinwesen
Laut Brumlik fordere der „früher links, heute realpolitisch rechts“ einzuschätzende israelische Historiker Benny Morris, der intensiv über die Flucht und Vertreibung der Palästinenser 1948 gearbeitet habe, Selbstbestimmung und Autonomie. Nach Morris brauche es keinen jüdischen und arabischen Staat. Beide Völker könnten in einem binationalen Gemeinwesen mit vollkommener Gleichberechtigung der Partner leben.
Zwei Völker, die unabhängig ihrer jeweiligen Zahl gleichberechtigt nebeneinander leben – das sei auch Bubers Vorstellung gewesen, so der Referent. Buber habe eine staatsrechtliche Konzeption im Kopf gehabt, ähnlich den Entwürfen, die man im Anschluss an den Ersten Weltkrieg für eine Neuordnung von Österreich-Ungarn angedacht habe. Ihm sei es um eine binationale Gemeinschaft mit abgegrenzten Siedlungsbereichen und gleichberechtigten Bewohnern mit uneingeschränktem Warenverkehr gegangen. Heute umgesetzt, müssten sich Palästinenser nicht mehr als Bürger“ zweiter Klasse“ fühlen, so Brumlik.

Buber – Gegner einer Staatsgründung Israels
Buber, der sich intensiv mit den Propheten der jüdischen Bibel befasst habe, habe selbst kein Prophet sein wollen. „Er war gegen die Staatsgründung Isarels.“ Gleichwohl habe er stets seine Loyalität gegenüber Israel bekundet. So wenig wie Buber die Entwicklung 1947 habe erkennen können, so sehr hätten ihn die seitdem in Israel Regierenden nachträglich ins Recht gesetzt.

Ist eine Aussöhnung noch möglich?
In der abschließenden Publikumsrunde wurde Brumlik nach der Wahrscheinlichkeit einer Versöhnung der Völker in Israel/Palästina gefragt. Er antwortete: „Möglich ist sie schon. Es gibt sozialpolitisch genug Motive, sich darauf einzulassen.“ Wenn es im Einzelfall möglich sei, könne man sich Umstände vorstellen, dass es auch im großen Rahmen gelinge. Jedenfalls kann sich Brumlik „nicht vorstellen, dass es noch 20 Jahre so weitergeht“. „Wenn es keine Zweistaatenlösung gibt, kommt es zu einem binationalen Staat“, zeigte sich Brumlik von „Plan B“ überzeugt.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich