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Melanchthon-Akademie und Schulreferat: Dietrich Bonhoeffers Gedanken zum mündigen Bürger: ‚….und glauben blind….‘?

Am 4. Februar 1906 wurde Dietrich Bonhoeffer in Breslau geboren, am 9. April 1945 im KZ Flossenbürg ermordet. Aus Anlass des 100. Geburtstags des Theologen und Widerstandskämpfers laden die Melanchthon-Akademie, die Antoniterkirche sowie das Schulreferat im Evangelischen Kirchenverband Köln und Region mit mehreren Veranstaltungen zur Beschäftigung mit Leben und Werk des einflussreichen Theologen ein. Über den ersten Teil der Veranstaltungsreihe lesen Sie unten, denn das Seminar „…und glauben blind…“? zu Bonhoeffers Gedanken vom mündigen Bürger hat bereits begonnen. Am 17. Januar gestartet, geht es allerdings noch bis 16. Mai, jeweils dienstags von 10 bis 11.30 Uhr. Zu jedem Termin ist eine Anmeldung erforderlich unter Telefon 0221/931803-0, die Seminarkarte für alle Veranstaltungen kostet 62 Euro, die Preise für die Einzelveranstaltungen liegen zwischen 4 und 15 Euro, oder sind kostenlos wie die Lesung mit Orgelmusik am 18. März in der Antoniterkirche (siehe unten).


Besteht nicht eine Übersättigung an Bonhoeffer?
Bevor die bei der Auftaktveranstaltung rund zwanzig Anwesenden sich eingehend und teilweise kontrovers Bonhoeffers Gedicht „Wer bin ich?“ zuwandten, stellte Seminarleiter Marten Marquard kontroverse Überlegungen zum Seminargegenstand voran: Die Beschäftigung mit einer einzigen Person sei nicht unproblematisch. Zwar mache diese Personenbezogenheit theologische Fragen scheinbar konkreter und fassbarer. Andererseits berge sie Gefahren: „Besteht nicht eine Übersättigung an Bonhoeffer?“, gab der Pfarrer und Leiter der Melanchthon-Akademie zu bedenken. Und wie werde man dem Menschen Bonhoeffer, der zu einem „evangelischen Märtyrer geworden“ sei, gerecht, ohne ihn zu vereinnahmen oder zu missbrauchen. Ohne das Private in die Öffentlichkeit hinaus zu stülpen. Wie Bonhoeffers Texte darstellen, ohne distanzlos zu werden und ihm zu nahe zu treten? „Das ist für mich eine schwierige Aufgabe.“ Gerade weil Dietrich Bonhoeffer ein auf Distanz bedachter Mensch gewesen sei, großen Wert auf die eigene Privatsphäre wie die der anderen gelegt habe. Nun werde er vereinnahmt für jedes Gefühl, das sich anbiete.

„Innerlichkeit aussprechen, ohne die Intimität preiszugeben“
In seinen Überlegungen zitierte Marquardt den französischen Kulturkritiker Roland Barthes, der sich unter anderem über die Interpretation von Fotografie und die Veränderung der öffentlichen Welt durch diese geäußert hat. „Das Zeitalter der Fotografie entspricht genau dem Einbruch des Privaten in den öffentlichen Raum oder vielmehr der Bildung eines neuen privaten Werts: der Öffentlichkeit des Privaten: Das Private wird als solches öffentlich konsumiert.“ Es sei notwendig, so Barthes, sich dieser Öffentlichkeit des Privaten zu widersetzen: „Ich möchte die Innerlichkeit aussprechen, ohne die Intimität preiszugeben.“ Innerlichkeit solle natürlich zum Ausdruck kommen, Intimität aber auf keinen Fall an die Öffentlichkeit gezerrt werden, unterstrich Marquardt seine Position hinsichtlich der Auseinandersetzung mit Bonhoeffer. Als „schamlose Zudringlichkeit“ kritisierte der Seminarleiter etwa die Tatsache, dass Biographen sogar nicht davor zurückschrecken, den Theologen „vertraulich“ nur mit dem Vornamen zu nennen. „Dabei kann zu leicht vergessen gehen, dass wir von einem Menschen sprechen, der uns auch immer sehr fremd, auch fragwürdig, auch problematisch bleiben muss, dem gegenüber wir aber dennoch weder Recht noch Anlass zur Zensur haben, weder zum Guten noch zum Bösen.“

Zu starke Personenbezogenheit  kann theologische Fragen „verdecken“
Zudem könne die Personenbezogenheit „die theologischen Fragen psychologisierend und personalisierend derart verflachen, dass darüber das ´Gewicht der Sünde´ und damit das eigentliche Thema der Theologie verdeckt wird“. Die Psychologie werde oft als Ersatz für Theologie herangezogen. Doch Theologie habe nichts mit Psychologisierung zu tun, betonte Marquardt. „Theologie hat eine ganz eigene Arbeit zu leisten.“ Bonhoeffer selbst habe ein tiefes Misstrauen gegenüber der Psychologie gehegt. Natürlich könne man von Bonhoeffers Ängsten reden, über seine Gefühle in Gefangenschaft und Todesnähe, aber sie würden nicht seine Theologie erklären.

Bonhoeffers Gedicht „Wer bin ich?“
Schließlich widmete sich die Seminarrunde dem von Bonhoeffer 1944 in der Haft verfassten Gedicht „Wer bin ich?“. Darin schreibt er einerseits von dem nach außen gelassen, freundlich und stolz wirkenden Auftreten, anderseits über seine Unruhe, Sehnsucht, Ohnmacht und Mattigkeit, sein Ringen nach Lebensatem. „(…) Wer bin ich? Der oder jener? Bin ich denn heute dieser und morgen ein andrer? Bin ich beides zugleich? Vor Menschen ein Heuchler und vor mir selbst ein verächtlich wehleidiger Schwächling? Oder gleicht, was in mir noch ist, dem geschlagenen Heer, das in Unordnung weicht vor schon gewonnenem Sieg? (…)“
Dieses Gedicht, meinte Marquardt, sei die schönste christliche Antwort auf die Feststellung eines Rabbiners aus den 1960er Jahren. Dieser habe insbesondere mit Blick auf das Identitätsproblem der Nachkriegs-Deutschen festgestellt: „Die Identitätsfrage ist eine zutiefst heidnische Frage.“ Weil sie sich, ergänzte Marquardt, nur um sich selbst drehe. Bonhoeffer habe das schon damals, und nicht nur in diesem Gedicht, auf den Punkt gebracht.

Die weiteren Termine dieser Seminarreihe
Montag, 13. Februar
, 16 bis 19 Uhr, wird im Seminar „Zum 100. Geburtstag – Film und Materialien für die Schule“ in der Melanchthon-Akademie im KOMED, MediaPark 7 (Anmeldung unter Telefon 0221/5743344, 8 Euro), die DV-Deducativ über Bonhoeffer vorgestellt. Sie enthält den kompletten Spielfilm „Bonhoeffer – Die letzte Stufe“, von dem ausgewählte Ausschnitte analysiert werden, sowie Arbeitsblätter und Unterrichtsentwürfe. Sie sollen im Seminar diskutiert werden.

Am Freitag, 17. Februar, 17 bis 22.15 Uhr, findet in der Akademie, Kartäuserwall 24 b (Anmeldung unter Telefon 0221/931803-0, Kosten: 15 Euro) das Seminar „Bonhoeffer, Gerstenmaier und Poelchau“ statt. Darin geht es um deren Lebensläufe zwischen Theologie und Politik im letzten Jahrhundert und um die Frage, ob diese uns Hinweise für Theologie und Politik im 21. Jahrhundert geben.

Anlässlich des 100. Geburtstages von Bonhoeffer findet am Samstag, 18. März, 20 Uhr, in der Antoniterkirche, Schildergasse 57, eine „Lesung mit Orgelmusik vor Barlachs Schwebendem“ statt. Pastor Mathias Bonhoeffer, Schülerinnen und Schüler lesen, Günter Leitner informiert über die Historie, Kantor Johannes Quack spielt Orgel. Der Eintritt ist frei.

Am Donnerstag, 6. April, 15.30 bis 18 Uhr, geht es im Schulreferat im Haus der Evangelischen Kirche, Kartäusergasse 9 (Anmeldung bis 27. März unter Telefon 0221/3382-278 erforderlich, Kosten: 4 Euro), um „Bonhoeffer im Religionsunterricht der Sekundarstufe II“.

An gleicher Stelle steht am Donnerstag, 11. Mai, 13.30 bis 18.30 Uhr (Anmeldung bis 3. Mai, 8 Euro unter Telefon 0221/3382-278) das Seminar „´Soll ich meinen Mund auftun?´ – Dietrich Bonhoeffer in Schule und Unterricht“ an.

Tipp: Mehr Termine und Material zu Bonhoeffer
Auch  Gemeinden des Evangelischen Kirchenverbands Köln und Region bieten Veranstanstaltungen zu Bonhoeffers 100. Geburtstag an, etwa die nach ihm benannte evangelische Kirche in Junkersdorf, nachzulesen hier, gemeinsam mit den anderen Weidener Bezirken auch Musikalisches und eine Lesung aus Bonhoeffers Brautbriefen. Oder die Evangelische Kirchengemeinde Rodenkirchen, mehr darüber hier.

Unsere Landeskirche hat eine LIste aller Bonhoeffer-Veranstaltungen hier eingestellt.

Unter der Adresse: http://www.dietrichbonhoeffer.de/ hat die EKD-Online-Redaktion ein Bonhoeffer-Spezial zusammengestellt.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich