Nicht nur Hilfsempfänger sein. Etwas für andere tun, Teil der Stadtgesellschaft sein: Das war Hussein Diranis Motivation, am siebten Barcamp des Forums Willkommenskultur in der Melanchthon-Akademie am vergangenen Samstag teilzunehmen. „Wir möchten ja nicht herumsitzen und warten“, sagte der Libanese, der vor zwei Jahren nach Köln gekommen ist. Dirani leitete eine der acht „Sessions“ des jüngsten Barcamps „Willkommenskultur in Köln“. Etwa 60 in der Flüchtlingsarbeit aktive Bürgerinnen und Bürger versammelten sich bei dem Treffen, knapp ein Drittel davon waren Geflüchtete.
Die direkt Betroffenen spielen eine zunehmend aktive Rolle in der Flüchtlingsarbeit, und das ist nicht die erste Veränderung in der Thematik, mit der sich die Institutionen auseinandersetzen müssen. „Zum Phänomen der Flucht und ihren Ursachen bietet die Melanchthon-Akademie schon lange Veranstaltungen an, auch den Kölner Flüchtlingsrat gibt es schon seit 1984“, erklärte Joachim Ziefle, stellvertretender Leiter der Akademie. „Aber 2013/2014, war plötzlich alles anders. Da hatten sich Bürger an den unterschiedlichsten Orten ganz von selbst zusammengetan, um Flüchtlingen zu helfen, hatten auch schon Netzwerke gebildet. Mit den klassischen Formaten der Bildungsarbeit – etwa Informationen bereitstellen – kamen wir da nicht weiter. Wir wollten diesen Prozess organisieren und moderieren.“
Erstes Treffen mit Henriette Reker
Die Melanchthon-Akademie unterstützt daher das Forum für Willkommenskultur, eine Kooperation zwischen Flüchtlingsrat und Kölner Freiwilligen Agentur, das im November 2014 zu seinem ersten Netzwerktreffen in den Räumlichkeiten am Kartäuserwall zusammenkam. Zu Gast waren rund 100 Mitglieder von zwölf Initiativen, auch Henriette Reker, damals noch Sozialdezernentin der Stadt, war dabei. „,Flüchtlingsinitiative‘ ist ja kein definierter Begriff, das kann von größeren Gruppen bis zu Einzelkämpfern gehen. Wir schätzen, dass es inzwischen 60 bis 80 stadtweit gibt“, sagte Gabi Klein, Leiterin der Freiwilligen Agentur. Es komme darauf an, einen Austausch von Erfahrungen zu ermöglichen, auch die Vergrößerung der Netzwerke, damit die erworbenen Kompetenzen möglichst vielen ehrenamtlich Engagierten zugutekommen.
Keine Tagungsordnung „von oben“
Auch bei der Kölner Freiwilligen Agentur gingen nicht mehr so „exorbitant“ viele Anmeldungen von Menschen ein, die Geflüchteten helfen möchten wie noch vor fünf Jahren, berichtete Klein. Das habe auch mit dem drastischen Rückgang der Zahl der Neuankömmlinge zu tun. Aber die Initiativen seien stabil, deshalb werde in der Kölner Melanchthon-Akademie nach wie vor vierteljährlich ein Netzwerktreffen veranstaltet. Inzwischen würden auch eigene Treffen im Rechtsrheinischen angeboten, im Bürgerhaus Mütze oder bei der Evangelischen Gemeinde Kalk etwa, erzählte Ziefle. In diesem Zusammenhang seien eigenständige Strukturen geschaffen worden, wie die AG Politik, die in Flüchtlingsfragen bei der Stadt mit am Tisch sitze. Daneben greife man immer häufiger auf das offenere Format des Barcamps zurück, zu dem auch Menschen eingeladen sind, die noch keine Erfahrungen in der Flüchtlingsarbeit gesammelt haben.
Die Veranstalter geben dann keine Tagesordnung „von oben“ vor. Sie lassen die Teilnehmenden entscheiden, worüber sie sprechen wollen. Denn oft sind sie die Experten. Sie wissen am besten, welche Fragestellungen gerade in der Praxis akut sind. Themen bekannt machen, den Austausch ermöglichen, eine Kontaktbörse sein, das ist der Sinn der Barcamps. So wurden beim jüngsten Barcamp Themen wie „Wohnen“, „Politisch aktiv werden“ und „Ehrenamtler gewinnen“ angesetzt.
Themen heute: Wohnungsvermittlung und Arbeitssuche
Angelika Wuttke von der Initiative „hallo in sülz“, in der auch die Evangelische Kirchengemeinde Köln-Klettenberg sehr aktiv ist, berichtete von den Anfängen der basisdemokratisch organisierten Arbeit im Jahre 2014 mit Ämterbegleitung, Nachhilfe, Sprach- und Schwimmkursen. Diese Phase sei aber vorbei, die Angebote würden fortgeführt, nun seien aber verstärkt Wohnungsvermittlung oder Arbeitssuche die großen Themen. Und je nach Aufenthaltsstatus seien da sehr dicke Bretter zu bohren: „Das ist ein Bürokratie-Dschungel, durch den man erst einmal hindurch finden muss“, sagte Wuttke. Diese neuen Aufgabenstellungen forderten wiederum entsprechende Änderungen bei der Betreuung von Ehrenamtlern, um Frustrationen zu vermeiden, meinte Daniel Wyszecki, Teamleiter Freiwilligenarbeit beim Kölner Flüchtlingsrat: „Wir müssen das permanent durch Supervisionen reflektieren und auch klar machen, dass es nicht der Fehler des Ehrenamtlers ist, wenn etwas nicht funktioniert. Die Erwartungen müssen bei solchen Fragen heruntergeschraubt werden“
Insgesamt, meinte Joachim Ziefle, habe in den vergangenen Jahren aber auch ein Mentalitätswandel bei der Stadtverwaltung eingesetzt. „Die sind mittlerweile sehr kooperativ, kommen auf uns zu und fragen uns, was wir brauchen. So wurde etwa eine Wohnungsbroschüre in einfacher Sprache erstellt, die sehr hilfreich ist.“
Eigene Sprachkenntnisse verbessern
Doch nicht alles läuft reibungslos ab, und das betreffe auch lange bekannte Problembereiche: „Es gibt jetzt mehr Sprachkurse als noch vor zwei Jahren, aber es sind immer noch nicht genug“, erzählte Hussein Dirani. Er hatte selbst im Libanon mit Flüchtlingen aus Syrien gearbeitet, bevor er nach Deutschland flüchten musste und kennt daher die Probleme von Geflüchteten. „Es ist sehr anstrengend“, sagte er. So habe er zunächst keinen Deutschkurs finden können, blieb aber beharrlich und fand immerhin einen Platz in einem B-Kurs, für Fortgeschrittene also. „Deshalb fehlen mir jetzt die Grundlagen des A-Kurses“, erklärte er lächelnd und sprach in seiner Session „Gut vorbreitet ins Ehrenamt“ lieber Englisch.
In Fahrradwerkstätten mitarbeiten, Kochkurse leiten, in Seniorenheimen Bewohnern mit Migrationshintergrund vorlesen – da gebe es auch für Neuankömmlinge viele Möglichkeiten, meint Dirani. „Das fördert die Sprachkenntnisse und man kann Kontakte zu knüpfen. Vor allem hat man das Gefühl, Teil einer Gesellschaft zu sein, etwas zu tun.“ Die Interessierten sollten möglichst ihren Neigungen entsprechend arbeiten. Sie sollten vorher festlegen, wie viel Zeit sie investieren wollen und überprüfen, wie weit der Ort der ehrenamtlichen Arbeit vom eigenen Wohnort entfernt liegt. So könnten Enttäuschungen und Überforderung vermieden werden. Zwei Teilnehmerinnen gefiel das Konzept, aber sie kamen aus Gummersbach, und das sei für ihre Klientel zu weit weg von Köln. „Macht nichts, dann komme ich eben nach Gummersbach und mache bei Ihnen eine Session“, bot Hussein Dirani an. Dann wurden Visitenkarten ausgetauscht.
Wer dabei sein möchte, kann sich an die Kölner Melanchthon-Akademie wenden, Telefon 0221/93 18 03-0, www.melanchthon-akademie.de
Foto(s): Hans-Willi Hermans