„Meine alte Lehrerin erfindet den Hoffnungsschrank“ – so beschreibt Dorothee Sölle in einem Gedicht den wichtigen Einfluss, den Marie Veit, Wegbegleiterin und ehemalige Religionslehrerin in ihrem Leben gehabt hat. Später schreibt Sölle über Veit, sie gehöre „zu den besten Theologinnen deutscher Sprache“.
Viele von Veits Schülerinnen erinnern sich noch gut an sie, etwa in Klettenberg, wo Marie Veit 1947 bis 1972 am Hildegardis-Lyzeum für Mädchen (damals in der Lotharstraße, heute Hildegard-von-Bingen-Gymnasium in der Leybergstraße) Religionsunterricht und jeden zweiten Donnerstag Schulgottesdienst im Tersteegenhaus der Evangelischen Kirchengemeinde Klettenberg gehalten hat: „Sie war ein Schwarm von uns jungen Mädchen“ berichtet eine ihrer Schülerinnen aus der Gemeinde Sülz-Klettenberg, „sie war sanft, konnte gut zuhören und bot uns sogar an, persönliche Probleme bei ihr zu Hause zu besprechen. Das war in der damaligen Zeit etwas ganz Besonderes.“
Marie Veit, Jahrgang 1921, hat ihre eigene Schulzeit ebenfalls in Köln verbracht. Ab 1947 hat sie an verschiedenen Kölner Schulen als Religionslehrerin gearbeitet, bis sie 1972 an die Justus-Liebig-Universität Gießen ging, wo sie ab 1973 als Professorin für Didaktik der Religionswissenschaften bis zu ihrer Emeritierung im Jahr 1989 lehrte. Sie hat in Marburg, Jena und Halle evangelische Theologie studiert und nach dem zweiten theologischen Examen 1946 bei Rudolf Bultmann promoviert. 1965 wurde sie als Predigthelferin ordiniert, ab 1989 engagierte sie sich auch in den neuen Bundesländern.
Im Evangelischen Stadtkirchenverband Köln hat sie sich als Mitglied des Schulausschusses engagiert, war von 1961 bis 1972 im Kreissynodalvorstand des Kirchenkreises Köln-Nord, von 1964 bis 1972 im Presbyterium der Clarenbachgemeinde Köln-Braunsfeld aktiv. In dieser Gemeinde wurde sie als Predigthelferin ordiniert – denn die rechtliche Gleichstellung für Pfarrerinnen und Pfarrer gibt es erst seit 1975. Und dort, im Clarenbachstift, ist sie am 14. Februar 2004 auch verstorben. Beerdigt wird sie Montag, 8. März 2004, um 14.30 Uhr auf dem Kölner Melatenfriedhof.
Für ein Leben in Würde und Gerechtigkeit
Von den Alltagserfahrungen auszugehen, sie ernst zu nehmen und theologisch zu interpretieren, war eine der Säulen von Marie Veits Theologie der Befreiung. Das Vertrauen, dass „wir an den Menschen glauben können, wie auch Gott es tut, der stärker ist als die arroganten Schicksalsmächte“, beschreibt sie in ihrem Buch „Vom Charme Gottes reden“. Dies mache die Menschen wieder fähig „zu Vertrauen, Utopien und zum Abbau von resignativem Misanthropismus (Menschenverachtung)“.
Sich gegen menschenunwürdige Zustände und arrogante Mächte und für ein Leben in Würde und Gerechtigkeit einzusetzen, gehörte zu ihrem Glauben wie die theologische Reflexion und die Religionspädagogik. So war sie 1968 Mitbegründerin des „Politischen Nachtgebets“ in der Kölner Antoniterkirche und der „Christen für den Sozialismus“, sie engagierte sich unter anderem in der Friedensbewegung, für Nicaragua und Pro Asyl. Neben zahlreicher Buchveröffentlichungen, Vorträgen und Aufsätzen war sie Mitherausgeberin der Zeitschriften „Junge Kirche“ (Bremen) und „Zeichen der Zeit“ (Leipzig).
Für ihr Lebenswerk wurde sie mit dem
Bundesverdienstkreuz
ausgezeichnet. Das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland hat Bundespräsident Johannes Rau der emeritierten Professorin für Didaktik des Religionsunterrichtes, Prof. Dr. Marie Veit, am 9. April 2003 in Köln verliehen. Der Oberbürgermeister der Stadt überreichte ihr außerdem im Rahmen eines Empfangs für verdiente Bürgerinnen und Bürger einen Orden, den Prof. Marie Veit als herausragende Religionspädagogin vor allem darum erhielt, weil sie „sich dadurch auszeichnete, dass sie es verstand, ihr differenziertes theologisches Reflexionsvermögen mit einem nachhaltigen pädagogischen Engagement zu verbinden“.
Ihr besonderes Anliegen sei es gewesen, in Wort und Tat sich gerade um die Menschen zu kümmern, die auf der Schattenseite des Lebens stehen. „Ihr weit gefächertes soziales Engagement in Schule, Kirche und im Zusammenhang der politischen Auseinandersetzung“, hieß es in der Vorschlagsbegründung, habe „zutiefst biblische Wurzeln“ gehabt.
Tipps im Internet
Dorothee Sölle über Marie Veit, Auszug aus: Gegenwind. Erinnerungen. Hamburg 1995. (Hofmann und Campe. ) S. 38-40, CUS Heft 3/2001, Bund der Religiösen Sozialistinnen u. Sozialisten Deutschlands e.V.
„Eine wunderbare Lehrerin, die mir nie mein rotzfreches Geschwätz verbat, mich aber zur Klärung nötigte“ – Dorothee Sölle über ihre Lehrerin Marie Veit.
Paul Gerhard Schoenborn gratuliert in Transparent Marie Veit zum 80. Geburtstag, eine pdf-Datei (zum Lesen notwendig: der kostenlose Acrobat-Reader, hier.)
Darin auch: (ab Seite 2): Marie Veit – Von Bultmann zur Didaktik des Religionsunterrichts. Eine Testamentsvollstreckung. Vortrag in einem Festakt des Fachbereichs Evangelische Theologie der Philipps-Universität Marburg/Lahn aus Anlass der Goldenen Promotion am 18.12.1996
Universität/GH Kassel und Bundesausschuss Friedensratschlag: Wir trauern um Prof. Dr. Marie Veit, die am 14. Februar 2004 im Alter von 82 Jahren gestorben ist.
Eine Predigt von Pfarrer Johannes Taig, die sich unter anderem auf Marie Veits Aufsatz „Umkehr zum Leben- Was heißt heute Gott vertrauen“ bezieht
Zur Verleihung ds Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse für Prof. Dr. Marie Veit am 09.04.2003:
In einer Nachricht der Justus-Liebig-Universität Gießen
In einer Nachricht der Stadt Köln
Vorschlagsbegründung der Stadt Köln für das Große Bundesverdienstkreuz, eine pdf-Datei = Seite 4 (zum Lesen notwendig: der kostenlose Acrobat-Reader, hier.)
Buchbesprechung
Marie Veit – Vom Charme Gottes reden
Foto(s): Marie-Luise Keller, Marburg