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Marie Vandendorpe mit ihrer aktuellen Präsentation: Fotografie, Video, Installation

Der Turm der Lutherkirche, ein Ort, der herausfordert. Ein stiller Ort, der jedoch nicht stumm bleiben muss. Immer wieder bringen ihn Menschen zum Sprechen. Mit ihrer Kunst. Auch mit solcher, die explizit das Wesen der Stille und Vergänglichkeit erforscht, die beides „greifbar“ und zum Gegenstand vielfältiger Assoziationen macht. Häufig experimentell, mit scheinbar einfachen Mitteln. Zu diesen Künstlerinnen zählt Marie Vandendorpe. Die gebürtige Französin stellt zum dritten Mal im Turm der Lutherkirche in der Kölner Südstadt aus.

Sichtbarmachung

„Quell“ nennt sie ihre aktuelle Präsentation. In fünf Räumen will sie mittels Installationen, Fotografien und einem Video „die Zeit, die Bewegung, Masse und Leichtigkeit durch flüchtige Elemente wie den Hauch, die Luft, das Wasser, das Eis, der Schatten der Nacht oder das Tageslicht, sichtbar“ machen, erläutert die Wahlkölnerin.

„Herausfließen“ und „aufquellen“

Ihre Inszenierung einer Quelle im obersten Turmraum überrascht. Aus einer Öffnung zum Glockenstuhl „ergießt“ sich ein Strom in Gestalt einer speziellen Folie. Leicht und widerstandsfähig, wird diese insbesondere für die Hüllen von heliumgefüllten Forschungsballons verwendet, die Wissenschaftler in die Stratosphäre steigen lassen. Mit „Quellen“ trägt die Arbeit einen Titel, der mindestens auf die zwei Verb-Bedeutungen „herausfließen“ und „aufquellen“ verweist. Und beim Stichwort „anschwellen“ auch das Element Luft ins Spiel springt. „Ich liebe Wörter, das Spiel mit verschiedenen Bedeutungen, so Vandendorpe. Ebenso den Umgang mit sich ergänzenden oder unvereinbaren Gegensätzen und deren Verbindung: Dichte gegenüber Durchlässigkeit, Licht und Schatten, Bewegung gegenüber Erstarrung, Ruhe und Spannung.

Tuch als Leinwand aller Möglichkeiten
Häufig greift sie zu einem weißen Tuch, „als die Leinwand aller Möglichkeiten, aus dessen Fläche eine skulpturale Form auftaucht“, formuliert Vandendorpe. So hängen im zweiten Raum zwei vergrößerte, digitale S/W-Pigmentdrucke. Ihnen liegen Fotografien zugrunde, die mittels einer von ihr angefertigten Lochkamera entstanden sind. In „Träges Tuch“ zeigt sie ihren Blick auf ein weißes Tuch, das auf einem Geländer eines Treppenhauses hängend bereits einen Bodenabschnitt vereinnahmt hat. Die Szene vermittelt den Eindruck, als werde das Tuch weiter Raum greifen; als breite es sich ähnlich einer zähflüssigen Masse allmählich weiter aus. Im Gegensatz zu dieser „Schwere“ darf das „schwebende“ Tuch in der benachbarten Fotografie als luftiges wie zeitlich unbestimmtes Motiv gelten – und mindestens so geheimnisvoll.

Das Thema Bewegung
Neben Tüchern, die etwa verdreht, gewrungen, zusammengerollt werden, zählt Papier zu ihrem bevorzugten Material. Es wird beispielsweise gefaltet, geknäuelt, zum Einwickeln und Verbergen genutzt, bis an die Grenze des Reißens beansprucht. Und damit in eine Form gebracht, die zwischen zweidimensionalem Bild und Skulptur angesiedelt werden kann. Sich selbst überlassen, behalten Tuch und Papier nicht immer ihre neue Form. Es wird deutlich: Vandendorpe thematisiert ebenso Bewegung und zielt häufig auf die Darstellung von Veränderung. Ein Beleg ist die Foto-Installation „Am Ufer des Tuches“, die zwei Triptychen mit digitalen Fotografien beinhaltet. Deren Aufeinanderfolge ist gewiss nicht statisch.

Tuch im Wasser
Bereits auf den Stufen zum vierten Raum sind Geräusche wahrzunehmen: Brandung, Wasser. Ton und Bild des Videos „Schimmerndes Wasser“ bestätigen die Vermutung. Zu sehen ist ein kleines weißes Tuch, umschmiegt von Meerwasser. Vandendorpe verfolgt mit der Kamera, wie das Stück Stoff in Ufernähe scheinbar passiv dem Nass ausgeliefert ist. Es wird fort- und zurückgetragen, unter- und überspült, mal leicht eingefaltet, dann wieder entfaltet. Ein „unendliches“ Spiel. Gleichwohl kann ein Perspektivwechsel den Eindruck vermitteln, der Stoff bediene sich der flüssigen Umgebung, um seinerseits Möglichkeiten der Entfaltung und Verwandlung auszutesten. Rasch steht die Frage der Abhängigkeit im Raum, die schließlich zum Thema Freiheit führt, über das Vandendorpe schon lange arbeitet.

Entwicklungen?
Hintergründig wartet auch die Bodeninstallation im selben Raum auf. Sie besteht aus klassischen Plastikwannen für die Entwicklung analoger Filme. In ihnen und um sie herum liegt klein- und großformatiges Papier, unterschiedlich gefaltet beziehungsweise geknäuelt. Ein „unbehandeltes“ flaches befindet sich darunter. Man darf gespannt sein, ob und wie es sich „entwickelt“, und welchen Prozess die bereits „geformten“ durchlaufen werden.

Die Ausstellung „Quell“ im Turm der Lutherkirche, Martin-Luther-Platz, Köln-Südstadt, ist bis zum 27. September geöffnet: donnerstags bis samstags von 16 bis 19 Uhr, sonntags von 11 bis 15 Uhr.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich