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Lutherkirche: Erinnerung an den „wohl letzten Straßenkampf gegen die SA im damaligen Deutschen Reich“ 1933 in der Kölner Elsaßstraße

„Nachttöpfe auf sowieso schon braune Köpfe!“ Mit diesem Satz fasste Pfarrer Hans Mörtter die Ereignisse in der Elsaßstraße vor genau 75 Jahren zusammen. Am 3. März 1933, kurz nach der so genannten „Machtergreifung“ durch Adolf Hitler und die Nationalsozialisten, marschierten SA-Einheiten über die Elsaßstraße, um ihren Anspruch auf Unterdrückung jedweder Opposition darzustellen. Empfangen wurden sie mit einem Hagel von Wurfgeschossen aus den Fenstern und von den Dächern. Die Anwohner warfen mit allem, was sie in die Finger bekamen: Nacht- und Blumentöpfe, Nudelhölzer, Möbel, Mülleimer und und und. Es fielen auch Schüsse. Die SA-Einheiten wurden zunächst zurückgeschlagen, kamen aber später mit Unterstützung von zwei Panzerwagen und der SS zurück. 70 Personen wurden verhaftet.

Das „bunte Volk“ von der Elsaßstraße
Pfarrer Mörtter hatte zu einem Gottesdienst zur Erinnerung an diesen „wohl letzten Straßenkampf gegen die SA im damaligen Deutschen Reich“ in die evangelische Lutherkirche, unweit der Elsaßstraße, geladen. Er erinnerte an das „bunte Volk“, das sich Ende des 19. Jahrhunderts nach dem Abbruch der mittelalterlichen Stadtmauer dort angesiedelt hatte. 1888 wohnten hier in zehn Mietskasernen rund 150 Familien. Jeweils zehn von ihnen teilten sich ein Klo und eine Wasserstelle auf dem Flur. Luxuriös lebte, wer ein Bett nur für sich allein hatte. Kam aber kaum vor. In den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts waren die Häuser, deren Zahl deutlich gestiegen war, immer noch unvorstellbar überfüllt. Das Leben fand auf der Straße statt. Hier wurde musiziert, gelacht, getrunken und gestritten. „Immer schrill und laut“, berichtete Hobby-Historikerin Sabine Eichler, die sich intensiv mit der Geschichte der Elsaßstraße beschäftigt hat. Gefürchtet waren damals die „Kakaoboxer“, Mitglieder des Betriebs-Boxvereins der Stollwerck-Schokoladenfabrik. Viele Kommunisten lebten hier. „Heil Moskau“ war der meistgehörte Gruß. Beliebt und geachtet war das jüdische Schusterehepaar Anna und Simon Oppenheimer, das im Spätherbst 1941 deportiert und ermordet wurde. Zigeuner lebten in der Elsaßstraße zwischen Bonner und Merowingerstraße, aber nur im Winter. Dann bauten sie neue Instrumente und nähten für sich und die Nachbarn. Im Frühjahr gingen sie wieder auf Reisen. Arm waren die Menschen, viele von ihnen arbeitslos. Zu essen gab es Kartoffeln und Kohlsuppe. Manche Jugendlichen aus der Elsaßstraße sprangen regelmäßig von der Südbrücke in den Rhein und ließen sich von den am Ufer flanierenden Schaulustigen dafür bezahlen. „Weihnachten 1932 stand in der Elsaßstraße ein Weihnachtsbaum aus Holz, geschmückt mit leeren Flaschen und alten Schuhen. Davor stand ein einsamer Trompeter und spielte die ,Internationale'“, erzälte Eichler in der Lutherkirche. Dieses Kampflied der Kommunisten wurde beim Gottesdienst ebenso gesungen wie „Die Gedanken sind frei“ und „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ des von den Nazis ermorderten evangelischen Pfarrers Dietrich Bonhoeffer.

Einer der letzten Zeitzeugen berichtete
Franz Lottner war 1933 sechs Jahre alt, hat seine Erinnerungen in eindrucksvollen Bildern gebündelt, und ist einer der letzten Zeitzeugen: „Ich kam mit meiner Mutter aus dem Kolonialwarenladen, da hörten wir Marschmusik in unserer Straße. Dann begann auch schon die Schlacht. Als alles vorbei war und die Polizei mit SS-Männern die Kontrolle übernommen hatte, wurde unsere Wohnungstür aufgebrochen. Ein SS-Mann mit Pistole kam herein und warf den Schrank um, in dem wir auch unser Geschirr aufbewahrten. Vieles zerbrach. Alle Bewohner der Elsaßstraße erhielten drei Tage Hausarrest. Die Kinder durften nicht zur Schule gehen. Wer nichts zu essen im Haus hatte, der hatte Pech gehabt und musste auf die Hilfsbereitschaft der Nachbarn hoffen.“ Die 70 Verhafteten wurden größtenteils in das Polizeigefängnis am Bonner Wall gebracht. Von dort waren bis Anfang März bereits 300 Menschen aus Köln und Umgebung in die neu eingerichteten Konzentrationslager deportiert worden. „Es standen aber nicht alle aus der Elsaßstraße im Widerstand. Es gab auch Anwohner, die Parteimitglieder wurden, weil sie sich Vorteile versprachen.“ Andere entzogen sich der Einberufung durch die Wehrmacht und tauchten unter. Manche zogen weg. Im Mai 1945 waren zwischen der Bonner Straße und der Merowingerstraße noch zwölf Wohnungen bewohnt.

In einer Prozession zogen die Gottesdienstteilnehmer zum Hochbunker in der Elsaßstraße, Klaus der Geiger spielte dazu. Das Graffiti an der Wand des Bunkers, das an die Ereignisse von 1933 erinnert, muss dringend restauriert werden. Dafür sammelt die Gemeinde des Bezirks Lutherkirche Geld. Und an Anna und Simon Oppenheimer sollen zwei „Stolpersteine“ des Kölner Künstlers Gunter Demnig erinnern. Auch dafür wird noch Geld gebraucht.


Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Rahmann