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Luther, der Medienstar

Wie aktuell ist Luthers Botschaft nach 500 Jahren? Die Produktion „Ich fürchte nichts …“ des Kölner N.N Theaters macht den Reformator zum gesellschaftlichen Thema. Schauspieler und Gemeindeglieder bringen gemeinsam historische Schriften auf die Bühne. In Köln war kürzlich die Uraufführung.

Wie ein Engelschor klingen die Stimmen. Singend folgt die Nonnen-Schola dem Bischof in den Kirchraum. Hinter seinem Rücken zieht eine Nonne ein graues Papier heraus. Luthers Schriften, gedruckt mit Guttenbergs Lettern. Sie haben es bis auf die Altarstufen geschafft.
Doch der Bischof ertappt die Nonne. Rasch muss sie das Papier loswerden, isst es kurzerhand. Es folgt ein Erstickungsanfall. Andere Schwestern eilen herbei. Plötzlich herrscht großer Tumult. Die Ensemblemitglieder des N.N Theaters stehen Kopf, wie die Glaubenssätze der Kirche zu Luthers Zeit.

Teils drastische Inszenierung
Mit gekonnter Akrobatik und sprachlich virtuos nehmen die Schauspielerinnen und Schauspieler ihr Publikum mit hinein in Luthers Zeit. Derb ist die Wortwahl, drastisch die Inszenierung. So kommen die Zuschauer der Person Luther sehr nah. Bis in intimste Vorgänge folgt das Stück dem großen Reformator. Luther sinnt über die Freiheit eines Christenmenschen nach: Seelendruck gleichgesetzt mit Verstopfung. Der Versucher begegnet Luther auf dem Lokus.

Seitenblick der Kulturschaffenden
Der frische Umgang mit dem Menschen Martin Luther und seinem Werk kommt im kirchlichen Kontext unerwartet. „Mit ‚Ich fürchte nichts …‘ wollen wir die ganze Ambivalenz dieser Person und der Nutzung dessen, was er geschaffen hat, zeigen“, erläutert Regisseur Gregor Höppner vom N.N Theater. Das Theaterstück blickt wie durch ein Kaleidoskop auf Luthers Lebensweg. Es zeigt ihn auch als Medienstar. Hier zieht das Stück Vergleiche mit der Gegenwart. „Was aktuell passiert in der Welt, dürfen wir als Theater nicht aussparen“, so Gregor Höppner.
„Wir wünschen uns den Seitenblick der Kulturschaffenden auf die Ereignisse von 1517“, sagt Pfarrer Martin Engels, Beauftragter der Evangelischen Kirche im Rheinland für das Reformationsjubiläum. Neu ist, dass Gemeindeglieder gemeinsam mit der Theatertruppe die Geschichte Luthers aufrollen. Zusammen mit dem Ensemble ziehen zu Beginn Chormitglieder in den Bühnenraum. Im Verlauf des Stücks haben sie musikalische, aber auch szenische Auftritte.
„Teilweise müssen sie ohne Noten singen“, beschreibt Musiker und Chorleiter Bernd Kaftan vom N.N Theater die größte Herausforderung. Er koordiniert die Vorbereitung mit den Ortsgemeinden. Kirchenmusiker üben die Chorstücke mit Projektchören. Nach nur zwei Proben gestalten das Ensemble und die Gemeindeglieder gemeinsam den Theaterabend.

Kein Kirchentheater
Durch ihre Beteiligung an der Inszenierung setzen sich die Vertreterinnen und Vertreter aus den Gemeinden aktiv mit dem Stück „Ich fürchte nichts …“ und seinem Inhalt auseinander. Genau das ist gewünscht. Regisseur Gregor Höppner: „Luther erzählt uns heute das, was wir heute in Luther sehen wollen.“ Über die Jahrhunderte hinweg wurden der Reformator und seine Schriften von wechselnden Standpunkten aus interpretiert. Religiöse oder politische Strömungen nahmen sich, „was ihnen in den Kram passt“, so Gregor Höppner.
Bei „Ich fürchte nichts …“ steht aber keine offizielle Position der Landeskirche im Vordergrund. „Das Theaterstück ist kein Kirchentheater. Es ist im Gegenteil eine echte Graswurzelbewegung“, so Pfarrer Martin Engels. Ein Bonner Gemeindeglied hatte ihn angesprochen. Die Presbyterin wünschte sich einen gesellschaftlichen Beitrag zum Reformationsjubiläum vom Ensemble des N.N Theaters.
Pfarrer Martin Engels: „Luther hat den Glauben streitbar gemacht. Das bedeutet, der Glaube wird diskutierbar. Dafür bietet das Theaterstück reichlich Grundlage.“ Die Schauspielerinnen und Schauspieler des N.N Theaters freuen sich ebenfalls auf Rückfragen aus dem Publikum.

Worte für den Glauben
Der Text, geschrieben von George Isherwood, übersetzt abstrakte Glaubensinhalte in konkrete Sprachbilder. Der Ablassprediger in Augsburg beschreibt plastisch die Qualen des Fegefeuers. Luther hält dagegen. Gott sei wie ein Vater, der seiner Familie aus Liebe zugetan ist. „So wie ihr euren Kindern im Winter warme Wämse macht“, ruft er den Augsburgern zu. Gerade die Sprache macht die Reformation für junge Zuschauerinnen und Zuschauern oder Menschen ohne theologisches Hintergrundwissen verständlich.
Das ist wichtig, weil das Stück nicht nur in Kirchengemeinden aufgeführt wird. Auch die Bürgerhalle im Landtag von Nordrhein-Westfalen, eine Klinik und zwei Justizvollzugsanstalten stehen auf dem Tour-Plan. „Aus Sicht der Evangelischen Kirche im Rheinland ist das Reformationsjubiläum ein Thema für die ganze Gesellschaft.“, bestätigt Pfarrer Engels.

Text: EKIR
Foto(s): EKIR