Das Fazit des ersten Kneipengottesdienstes der Christuskirche seit vier Jahren: Liebe ist zwar nichts für Anfänger, Profis sind ihr aber auch nicht immer gewachsen – und Kirche sollte genauso selbstverständlich zu den Menschen kommen wie umgekehrt. Für die letzten der mehr als 60 Gäste in der „Umleitung“ am Stadtgarten gab es nur noch Stehplätze an der Tür.
Liebe ist… auch nichts für Profis?
Das Thema fasst jeden an, auch das Paar, das am ersten Mai-Sonntag zufällig sein erstes Date über „Tinder“ in der Innenstadtkneipe hatte und sich in einem romantischen Gottesdienst wiederfand. Sie blieben. Schließlich ist das Leben unberechenbar, auch wenn Parship als Paradebeispiele angeblich kalkulierbarer Liebe das Gegenteil verspricht: Verliebt sich alle elf Minuten ein Single über die Online-Partnervermittlung (wohlgemerkt einer, nicht zwei!), „bist du bei rund 5 Millionen Mitgliedern nach etwa 8,5 Jahren an der Reihe“, rechnete Pfarrer Christoph Rollbühler vor. „Es scheint also komplizierter zu sein mit der Liebe“, stellte er fest. „Und man sollte meinen, das sei Absicht.“
Er zählte auf, was sie alles kann (die Liebe, nicht die Partnervermittlung), und die mitgebrachten Briefe bestätigten ihre Vielfalt: von schüchtern über glühend und hinreißend originell war alles dabei. „Sie verleiht Flügel, verletzt, bleibt manchmal nur eine Sehnsucht, kann ganz leicht sein oder auch kompliziert“, fasste Christoph Rollbühler zusammen, was wahrscheinlich fast jeder aus eigener Erfahrung kannte. „Vernünftig ist das nicht“, schloss er. „Und egal wie alt man ist – man liebt immer gleich.“
Die Hoffnung macht das Licht aus
„Gekriegt hat er mich mit dem Satz: ,Du bist der Keks im Knäckebrotkorb‘“, kommentierte Diana einen der Briefe ihres späteren Mannes, die sie kistenweise aufbewahrt hat. Ihre Lieblingsstellen las sie mit seiner Erlaubnis laut vor, und wer dabei nicht lächeln musste, war wohl noch nie verliebt. Mariles Briefe aus den 60er Jahren klangen dagegen trauriger und sehnsuchtsvoll. Den Absender, einen jungen Mann auf Langeoog, hat sie nie wiedergesehen. Ihn zu suchen hat sie sich bis jetzt nicht getraut. „Man will ja nicht stören“, sagt sie. „Der hat ja jetzt sicher auch sein Leben.“ Als ihre Enkelin Liebeskummer hatte, holte sie die alten Briefe aus dem kleinen Karton, um ihr zu zeigen: „Das geht alles wieder weg und das Leben weiter!“ Das tut es wohl. Marile hatte beim Lesen aber immer noch Tränen in den Augen und musste Pausen machen.
King of Uncool
Wenn es heikel wird, ist es gut, Profis an Bord zu haben. Sängerin Daniela Bosenius übernahm deshalb den musikalischen Teil mit Liedern von Kurt Tucholsky und Georg Kreissler und Stand-up-Melancholiker „King of Uncool“ Alexander Bach den poetischen. Um auf den Punkt zu bringen, weshalb Krisen so sehr Nerven kosten und was Liebenden nach Trennungen zu schaffen macht, muss er nicht unbedingt auf wahre Geschichten zurückgreifen. Er beobachtet gut. „Die Hoffnung macht das Licht aus“ und „… was bedrückt, ist nicht die Einsamkeit – es sind die Gemeinsamkeiten, die man nicht mehr teilen kann“, las er aus dem Brief an seine Traumfrau.
Das klingt nach Schwere, entspricht aber gar nicht der optimistisch-gerührten Stimmung in der Kirche außerhalb der Kirche. Der ungewöhnliche Gottesdienst erinnerte am Ende eher an „Loss mer singe“-Abende, hat verbunden und gutgetan. „Man kann das Leben nicht mehr feiern als wenn man liebt“, betonte Pfarrer Christoph Rollbühler und setzte nach: „Was mich glücklich gemacht hat war, dass neue Gemeinde zusammengekommen ist.“ Das Konzept stimmte, und die „Umleitung“, in der inmitten der Lichtbilder an der Wand die Christuskirche zu sehen ist, „… war genau die richtige Stelle dafür. So soll Kirche sein.“
„Schreibt Liebesbriefe!“
„Schreibt also Liebesbriefe! Die Umschläge haben wir schon vorbereitet“, lautete die Aufforderung zum Abschluss. Außerdem die Erkenntnis, dass die Bibel der dickste Liebesbrief von allen ist, beginnend mit der Schöpfungsgeschichte. „Kompliziert wurde es erst mit dem Griff zum falschen Apfel“, schloss Christoph Rollbühler. Es liegt also nur am Menschen, der verkompliziert, was einfach sein kann. Ein Plädoyer dafür, sich zu trauen und zu vertrauen: „Bei allem, was ihr tut und fühlt: Wenn ihr Liebe wagt, ist Gott auf eurer Seite.“
Foto(s): Claudia Keller