„Weil ich so gerne rausgucke.“ Roswita Waechters Begründung ist so einfach wie einleuchtend. Demnach interessiert sie bei ihren „Fenster-Bildern“ nicht vorrangig die bloße Fortschreibung und Variation eines ihr wohlbekannten klassischen Themas der Kunst. Sie gibt in der Regel das wieder, was sie beim Blick aus verschiedenen Fenstern ihres Ateliers wahrnimmt. Dieses Atelier, in dem sie gemeinsam mit ihrem ebenfalls malenden Mann Michael Mohr arbeitet, befindet sich im Kölner Süden, im Dachgeschoss einer ehemaligen Volksschule. Das erklärt, weshalb einige ihrer Gemälde (liegende) Dachfenster zeigen, aus denen man durch die Augen der Malerin einen Blick in die Umgebung wie Weite werfen kann. So geraten hohe Bäume ins Sichtfeld, die Dächer kleinerer Architekturen, Fassaden anderer Häuser, Gebäude und Hof einer gegenüber stehenden Grundschule. Und immer wieder Elemente der lokalen/regionalen Natur- respektive Kultur-Landschaft. Der nahe Rheinstrom „fließt“ durchs Bild, in der Ferne „thront“ das Siebengebirge und das Spiel der Wolken bietet ungezählte Varianten der Himmelsschilderung.
Sie möchte „Licht verbreiten“
„Lichtblicke“ nennt Waechter ihre neun Gemälde umfassende Präsentation im Café des „Gulliver„, der „Überlebensstation für Obdachlose“ im Bahnbogen 1 der Kölner Hohenzollernbrücke. Die mittelgroßen Arbeiten in Eitempera auf Leinwand stammen aus den Jahren 1997 bis 2007. Entstanden sind die Hochformate durchweg in Sommermonaten. „Ich zeige hier Ansichten entsprechend der aktuellen Jahreszeit“, erklärt Waechter. Den Titel für die Ausstellung wiederum möchte sie bewusst auf den Ort und seine Besuchenden gemünzt wissen. „´Lichtblick´ deshalb, weil das Fenster und vor allen Dingen das geöffnete Fenster für die meisten Menschen schon immer einen großen Symbolcharakter hatte. Und weil ich hoffe, mit diesem Titel in der Überlebensstation etwas von dem Licht verbreiten zu können, das jeder Mensch zum Überleben benötigt.“
Anlaufstelle für Wohnungs-, Arbeits- und Mittellose
„Gulliver“ wurde im Januar 2001 als Projekt des Kölner Arbeitslosenzentrums (KALZ) e.V. eröffnet. Gefördert durch Kirche, Politik und Wirtschaft, mitgetragen von bürgerschaftlichem Engagement, dient die Einrichtung seit nun elf Jahren als wichtige Anlaufstelle für Wohnungs-, Arbeits- und Mittellose. Mit vielfältigen Angeboten für das körperliche, seelische und geistige Wohl. Dort finden Menschen ohne Wohnsitz unter anderem Duschen, Toiletten und Waschmaschinen vor. Es gibt ein Tagesschlafraum und eine Kleiderkammer, Beratungs- und Gruppenangebote. Im Café werden Frühstück, Abendessen und andere kleinere Mahlzeiten serviert. Ebenso werden dort kulturelle Veranstaltungen, darunter Kunstpräsentationen, organisiert. Sie sollen seit Bestehen des „Gulliver“ mit dazu beitragen, die Einrichtung als Begegnungsort in der Stadtgesellschaft zu verankern.
Ein „spannender Raum“
Waechter, Jahrgang1939, gebürtig aus Danzig, empfindet „Gulliver“ als einen spannenden Raum für Kunstpräsentationen. Tatsächlich spannungsvoll ist der Kontrast, den ihre „Fenster-Bilder“ im dortigen Café bewirken. In einer relativen Hektik vermögen sie als Ruhepole zu fungieren. Wer in eine konzentrierte Betrachtung „investiert“, den kann es durchaus hinweg tragen – „hinaus“ oder „hinein“ in beschauliche Welten. Es handelt sich um stille, meditative Arbeiten. Naturalistisch-sachlich gemalt, mit einer beträchtlichen räumlichen Tiefenwirkung. Waechter findet Befriedigung im behutsam-sorgfältigen Malen. Die rasche Umsetzung eines Motivs, wie sie Otto Gerster, ihr erster Lehrer an der FH Kunst und Design in Köln, empfahl, liegt ihr nicht. Eher die Akribie eines Dieter Kraemer, bei dem sie 1984 als Meisterschülerin ihr Studium der Freien Malerei abschloss.
„Bilder im Gesehenen“
„Als Jugendliche war Zeichnen und Malen für mich ´die Welt´, in der ich leben wollte, um mich in ihr zu entwickeln“, formulierte Waechter im Frühjahr 2009. So besuchte sie 1956 bis 1958 die Muthesius-Werkschule in Kiel. „Es kam jedoch gegenteilig. Nach behandelter Jugendpsychose lehnte ich das Malen und Zeichnen ab“, erinnert sie sich. Stattdessen ließ sie sich zur Arzthelferin ausbilden und arbeitete später als Sekretärin in pharmazeutischen Unternehmen. Seit 1972 lebt Waechter in Köln, wo sie drei Jahre später ihr Studium an der FH am Ubierring aufnahm: „Ich entdeckte Bilder im Gesehenen.“ Unverändert sieht sie sich um. „Was mich interessiert, möchte ich malen.“ Das könnten auch Fotografien aus der Kindheit und Jugend sein, um etwas aufleben zu lassen. Entsprechend viele Gattungen umfasst ihr Oeuvre: Stillleben, Interieur (insbesondere Atelierblicke), Landschaft und Portrait (Selbstportraits, Bildnisse von Nahestehenden, häufig von ihrem Mann).
„Spiel“ mit Innen und Außen
In ihren „Fenster-Bildern“ legt Waechter nicht allein Wert auf das draußen Erblickte. Es geht ihr nicht nur um das „Protokollieren“ aus häufig ähnlich anmutenden, gleichwohl leicht veränderten Perspektiven heraus. Sie würdigt auch die Mauer- beziehungsweise Dachöffnungen selbst. Die treten in mehrfacher Funktion auf. Als Teil des Bildes rahmen sie zugleich den gewählten Ausschnitt der Außenwelt ein. Zudem dienen die Sprossen und Kreuze der Fenster als ordnende Elemente. Dass Waechter deren Zahl schon mal reduziert und vereinzelt auch andere reale Gegebenheiten freier umsetzt, hat gestalterische Gründe. So verdeckt sie hier mit einem fiktiven Baum eine fehlgeschlagene Fassadengestaltung, verändert dort Wolkenformationen oder rückt das Siebengebirge näher ins Geschehen… Nicht selten begegnen wir in Waechters „Licht-Blicken“ geschlossenen Fenstern, auf deren Scheiben und Rahmen sich etwa Naturlichtstimmungen ablesen lassen und deren schmales Fensterbrett Topfblumen schmücken. Diese Schilderung lässt eine Verbindung mit dem jeweiligen Innenraum, aus dem herausgeschaut wird, mehr oder weniger stark spürbar werden. Eine Darstellung, in der sich womöglich ein „Insichgekehrtseins“ der Malerin ausdrückt? Deutlich tritt das „Spiel“ mit Innen und Außen im Werk „Im Vogelsberg“ von 1997 zutage. So sehr das geöffnete Fenster den Blick hin zum ländlichen Idyll des hessischen Mittelgebirges führt, dominiert doch das spartanisch ausgestattete Zimmer. Es handelt sich um den Arbeitsraum ihres 2005 verstorbenen Bruders F(riedrich) K(arl) Waechter, Zeichner und Autor, Karikaturist und Cartoonist. In eben diesem Zimmer sitzt auf einem niedrigen Möbel eine Frau. Es ist Waechter selbst, dargestellt in jüngeren Jahren, versunken in eine Zeichenarbeit. Auffallend ist, dass sich innerhalb der Ausstellung nur in diesem Gemälde eine menschliche Figur integriert findet. Auch Tiere, selbst Vögel, sucht man vergeblich. „Stimmt, aber darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht“, spricht Waechter von einem nicht bewussten Verzicht.
Weitere Infos und Hilfe
Geöffnet ist die Ausstellung „Lichtblicke“ im „Gulliver“, Trankgasse (Bahnbogen 1 der Hohenzollernbrücke), bis einschließlich 12. August 2012: montags bis freitags von 6 bis 13 und 15 bis 22 Uhr, samstags, sonntags und feiertags von 10 bis 18 Uhr.
Und übrigens: Wer die Arbeit des Gulliver unterstützen möchte, sollte sich an der diesjährigen Diakoniespende des Evangelischen Kirchenverbands Köln und Region beteiligen. Das Besondere an der Aktion: Jeder gespendete Euro wird vom Kirchenverband verdoppelt. Spenden werden erbeten auf das Konto 4404 des Evangelischen Kirchenverbandes Köln bei der Kreissparkasse Köln, Bankleitzahl: 370 502 99.
Foto(s): Broich