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Präses Dr. Latzel sprach mit Betroffenen der Hochwasserkatastrophe in Erftstadt.

„Leid kennt keine Konfession“ Präses Thorsten Latzel und Stadtsuperintendent Bernhard Seiger besuchten Blessem – Hilfe in vielfältiger Form zugesagt

Es liegt eine beklemmende Stille über Blessem an diesem frühen Samstagmorgen. Nur hin und wieder durchbrochen von dem durchdringenden Stakkato der Pressluft- und den Druckluft-Meißelhämmern. Es werden immer noch Putz und Estrich weggestemmt in dem von der Flut stark betroffenen Stadtteil von Erftstadt. Auf zahlreichen Fassaden sind rote Kreise mit Kreuzen aus Sprühkreide zu sehen. Statiker haben diese Häuser geprüft und entschieden: Die dürfen stehen bleiben.

Es ist neun Uhr und im Info-Point der Johanniter vor der katholischen Kirche St. Michael geht es noch beschaulich zu. Hier werden die Helfereinsätze koordiniert. Gegen Mittag wird es belebter werden. Dann geben die Helferinnen und Helfer innerhalb von drei Stunden 150 Essen heraus. Immer noch sind viele Haushalte ohne Strom und Gas. Es hat sich Besuch angekündigt.

Besuch des Präses

Dr. Thorsten Latzel, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, und Bernhard Seiger, Superintendent des Kirchenkreises Köln-Süd, zu dem Erftstadt-Blessem gehört, wollen sich vor Ort knapp acht Wochen nach der Katastrophe ein Bild machen. Sie werden empfangen von den Lechenicher Pfarrerinnen Friederike Schädlich und Sabine Pankoke sowie Pfarrerin Andrea Dörer aus Liblar.  Ebenfalls im Empfangskomitee vertreten sind die Presbyterin Sabine Finster sowie Birgit Bartmann, katholische Gemeindereferentin aus Blessem.

Die Einwohnerinnen und Einwohner haben Übermenschliches geleistet, nachdem die Flut am 14. Juli den Ort überspült hat. Die Radmacherstraße und die Frauenthaler Straße sind vom Flutmüll gesäubert. Äußerlich wirkt alles fast wie immer. Wären da nicht die offenen Fenster, aus denen das Summen der Trocknungsautomaten zu hören ist. Ein Blick ins Innere der Häuser offenbart die Wahrheit. Nirgends mehr Putz an den Wänden, kein Estrich auf den Böden. Es riecht modrig. Reger Verkehr herrscht an der Hundeschule am Ende des Elisabethenwegs. Dort ist der zentrale Flutmüllplatz von Blessem. Meterhoch liegt da auf einer Strecke von 30 Metern alles, was die Flutopfer mal ihr Eigen nannten. Und noch immer kommen Leute und liefern Sperrmüll ab.

„Was brauchen Sie und wie können wir Sie unterstützen?“

Präses Latzel hat auch schon das Ahrtal besucht.  Ihn bewegen rund acht Wochen nach der Katastrophe zwei zentrale Fragen: „Was brauchen Sie? Wie können wir Sie unterstützen?“ Eigentlich habe die Pandemie als Plage schon genug Unheil angestiftet. Und jetzt auch noch das Wasser. „Viele haben in dieser Zeit den Glauben an die Menschheit zurückgewonnen“, verweist der Präses auf die positiven Seiten der Solidarität, die viele mit den Flutopfern geübt hätten.

„Geld ist momentan nicht unser größtes Problem. Es geht eher darum: Wie kriegen wir die Verteilung koordiniert?“ Vertreter der Landeskirche hätten sich von Experten aus Sachsen beraten lassen, die beim Elbhochwasser Erfahrungen gesammelt hätten. „Bis alles wieder so ist wie vorher, werden fünf bis sechs Jahre vergehen, sagen die.“ Es gebe große Dankbarkeit in der Bevölkerung für die professionellen Rettungskräfte und ihre ehrenamtlichen Helfer, sagte Pfarrerin Schädlich bei einem Rundgang durch den Ort.

Viele Blessemer sind bei Verwandten und Freunden untergekommen. Seiger wies auf einen weiteren Aspekt hin: „Vielen stellt sich jetzt die Frage, wo sie im Winter ein Dach über dem Kopf haben werden.“ Es fehlen Handwerkerinnen und Handwerker, die Hausanschlüsse für die Stromversorgung legen und Heizungen einbauen. Und die müssen bezahlt werden.

„Zuerst müssen die Versicherungen zahlen, dann der Bund und die Länder, und danach wir.“

Latzel benannte die Reihenfolge: „Zuerst müssen die Versicherungen zahlen, dann der Bund und die Länder, und danach wir.“ Es müsse unbedingt vermieden werden, dass die Menschen sich „nackt“ machen müssten, um Spendengelder zu erhalten. Allerdings: „Wir müssen den Spagat hinbekomme, die Spendengelder unbürokratisch und transparent zu verteilen.“

Seiger ergänzte: „Es ist ganz wichtig, dass wir das Vertrauen hochhalten.“ Latzel möchte das Wissen Mitarbeitender vor Ort nutzen. „Sie können natürlich keine Einzelprüfungen machen. Aber Sie kennen die Leute und können gut einschätzen, wo Hilfe gebraucht wird.“ Die Kirchenleitung unterstützt die Gründung von Diakonie-Teams, die in nächster Zeit für die Beratung der Flutopfer bereitstehen werden.

Stadtsuperintendent Seiger fragte den Präses, ob die Gemeinden vor Ort Unterstützung aus Düsseldorf bekommen könnten. „Die Gemeindearbeit geht in den Flutgebieten ja weiter. Die Unterstützung muss aber dauerhaft sein. Man könnte eine Pfarrerin oder ein Pfarrer für ein Jahr zur Entlastung nach Lechenich schicken. Das funktioniert natürlich nur, wenn die Gemeinde das möchte.“

Latzel möchte nach Möglichkeiten suchen, Ehrenamtliche für die Hilfe bei Traumatisierungen zu qualifizieren. Gemeindereferentin Birgit Bartmann brachte einen weiteren Aspekt ein: „Wir müssen das alles  größer und ökumenischer denken. Den Leuten ist es letztlich egal, ob da jemand von der Diakonie oder der Caritas vor ihnen sitzt.“ Da war sich die Runde einig, und Latzel fasste zusammen: „Leid kennt keine Konfession. Überall, wo wir Partner finden, werden wir zusammenarbeiten.“

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Stefan Rahmann