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Offener Gottesdienst mit Jazz an der Reformationskirche

„Leben mit Einsamkeit“ – Offener Gottesdienst mit Jazz im Park der Reformationskirche in Köln-Marienburg

„Morgenlicht leuchtet, rein wie am Anfang“ – passend zum Ambiente eröffnete die Evangelische Kirchengemeinde Köln-Bayenthal am NRW-Wahlsonntag ihren Offenen Gottesdienst mit Jazz mit der deutschen Übertragung des englischen Lied-Klassikers „Morning has broken“: Sonnenlicht flutete den Kirchpark an der Reformationskirche in Köln-Marienburg. Auf der ausgedehnten Wiese verteilten sich gut achtzig Besucherinnen und Besucher auf die in größeren Abständen positionierten Bänke und Stühle. Und ein niedriges Podium unweit des Altartisches nahm die vortrefflichen Musiker des Heiner Wiberny-Quartetts auf.

Wieder miteinander singen

„Aus guten Gründen“ habe man den Gottesdienst, der unter dem Thema „Leben mit Einsamkeit“ stehe, nach draußen verlegt, zeigte sich Pfarrer Bernhard Seiger in seiner Begrüßung froh über die einladende Freiluftfläche. So könne man einander und die umgebende Natur besser wahrnehmen; aber vor allem wieder miteinander singen.

Die Form des Gottesdienstes mit Jazz-Musik hat Seiger schon 1999 an der Reformationskirche eingeführt, kurze Zeit nach Antritt seiner Pfarrstelle in der Bayenthaler Gemeinde. Seitdem gastieren dort zweimal jährlich wechselnde Jazz-Formationen. „So können wir die unterschiedlichen Stilrichtungen des Jazz berücksichtigen“, erläutert Seiger im Gespräch. „Und wenn es geht, sehr gerne draußen auf dem Kirchplatz oder im Park.“

Die Künstler

Diesmal demonstrierten Saxophonist und Flötist Heiner Wiberny, Pianist Tobias Weindorf, Kontrabassist Paul G. Ulrich und Drummer Benny Mokross ihr breites, variantenreiches Können. Nach dem zum Ausgang interpretierten, von Wiberny komponierten lebensbejahenden Stück „Ulla in Africa“ wurden die Instrumente noch nicht eingepackt. Der renommierte Musiker Wiberny, der lange als Lead-Altist etwa in der WDR-Bigband Köln wirkte, und seine Kollegen setzten ihr klangfarbenreiches Spiel auch während des anschließenden Umtrunks fort.

Einsamkeit

Einsamkeit sei ein ernstes Thema, stellte Seiger fest. Und der Stadtsuperintendent fragte, ob es gut oder schwer sei mit Einsamkeit zu leben, gerade auch mit Blick auf die besonderen Erfahrungen seit dem Shut- bzw. Lockdown. Die starken Einschränkungen des öffentlichen Lebens führten neben wirtschaftlichen, zu gravierenden sozialen Nachteilen. Corona habe manches aufgedeckt und verschärft. In der Telefonseelsorge wisse man, dass die Anrufe seit März stark zugenommen hätten. Und von vielen Einsamkeiten in unserer nächsten Umgebung wüssten wir gar nicht.

Die Gemeinde dankte Gott für Vieles, „was wir sonst so selbstverständlich hinnehmen“. Als die Corona-Krise Deutschland erreicht habe und eine starke Einschränkung des öffentlichen Lebens beschlossen worden sei, seien wir aus unserem Rhythmus gerissen worden. Schüler hätten allein zuhause gelernt, Arbeitskontakte seien abgerissen, Treffen mit Freunden nicht mehr möglich gewesen. Dabei seien wir soziale Wesen und bräuchten einander. Viele hätten die Familie und Partnerschaft noch einmal ganz anders schätzen gelernt, benannte Seiger ebenso positive Aspekte.

Predigt

Natürlich sei auch Jesus mit dem Thema Einsamkeit umgegangen, betonte Seiger zu Beginn seiner mit dem ehemaligen Presbyter Stefan Seemann dialogisch gehaltenen Predigt. Jesus sei immer gerne in der Begegnung und im Gespräch mit Menschen gewesen. „Aber er zog sich auch zurück, um Dinge zu verarbeiten. Wenn es ´Dicke´ kommt, sucht er die Einsamkeit“, sagte Seiger.

Seemann rief die Geschichte des Propheten Elia in Erinnerung, der vor der Königsgemahlin Isebel in die Wüste geflohen sei, wo ihn ein Engel gestärkt habe. In Elia sähen wir einen verloren scheinenden, schließlich geretteten Menschen. Auch wir hätten in den letzten Monaten Einsamkeit erfahren. Normalerweise würden wir Grenzsituationen individuell erleben, sagte Seemann. Durch die Pandemie sei diese Grenzsituation zur Massenerscheinung geworden: „Alles steht zur Disposition.“

Nachdem Wiberny mit eindrücklichem Saxophon-Spiel, das mit differenziert gesetzten Tönen zuweilen wie ein Sprechen mit Worten anmutete, die Frage nach seinem Umgang mit Einsamkeit musikalisch beantwortet hatte, sinnierte Seiger: „Wie ist das mit Einsamkeit und Stille?“ Der Philosoph Michel Eyquem de Montaigne habe sie gesucht und für sich gefunden. Andere erlebten das ganz anders. „Es gibt nicht einen Weg, sondern immer wieder neue.“ Jesus sei auf den See Genezareth gefahren, andere gingen in die Berge, in den Garten, schrieben Briefe, Tagebuch oder würden kochen. „Frei gewählte Einsamkeit kann eine Kraftquelle sein“, betonte der Pfarrer. Andere benötigten als Kraftquelle die Gemeinschaft, leitete er über zum biblischen Prediger-Wort „Alles hat seine Zeit“. Also auch die Einsamkeit und die Gemeinschaft, betonte Seiger. „Es geht um die Balance.“

Alles hat seine Zeit

Einsamkeit und Gemeinschaft gehörten zusammen, las Seiger ebenso aus der Feststellung des evangelischen Theologen und ermordeten Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer: „Wer nicht allein sein kann, der hüte sich vor der Gemeinschaft. Wer nicht in der Gemeinschaft steht, der hüte sich vor dem Alleinsein.“ Bonhoeffer sei aufgrund seiner Inhaftierung nicht freiwillig auf sich zurückgeworfen worden. Jedoch habe ihn diese gezwungene Einsamkeit zu in Briefen und Aufzeichnungen fixierten Haltungen und Gefühlen geführt. Einsamkeit könne man als Ort begreifen, um sich selbst zu finden, so Seiger. Als Ort, um zu spüren, dass da noch ein anderer sei, in dem ich mich wiederfinden könne, als ein Kind Gottes. „Nichts ist Gott fremd. Diese Zusage mag uns Halt geben, wenn wir allein sind.“ Es sei gut, sich immer wieder zu unterbrechen und auf die Stille und die Stimme zu hören, die zu uns spreche, ermutigte Seiger.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich