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„Lange Nacht des Melatenfriedhofs“ der AntoniterCityTours

Friedhöfe zeugen vom Umgang der Lebenden mit den Verstorbenen. Grabmale dokumentieren Formen des Erinnerns und Gedenkens. In der Regel über viele Generationen hinweg. Der Melatenfriedhof an der Aachener Straße in Köln ist dafür ein sprechendes Beispiel. 1810 eingesegnet, besteht er heuer 200 Jahre. Führungen auch über diesen ersten kommunalen Kölner Friedhof gehören zum „Standard“ der AntoniterCityTours, dem Stadtführungsprogramm der Evangelischen Gemeinde Köln. In dessen Rahmen sind im Laufe der Jahre unterschiedliche Rundgänge zu Melaten konzipiert worden. Auf ihnen werden allgemeine historische Überblicke geliefert oder über einzelne Aspekte wie Engel, Frauen, Protestanten oder Karnevalisten informiert. Das 200-jährige Bestehen des Melatenfriedhofs veranlasste die AntoniterCityTours zu einer besonderen Würdigung: Führungen wurden angeboten, die letzte findet Sonntag, 12. Dezember, um 14 Uhr, statt, „Engel auf Melaten“, heißt sie, Treffpunkt ist am Eingang Piusstraße. Eine Broschüre wurde herausgegeben: „Melaten erzählt von protestantischem Leben. Ein Rundgang“, erhältlich zum Preis von 9,90 Euro in der Antoniterkirche, Schildergaasse 57, oder im Buchhandel . Schließlich veranstalteten die AntoniterCityTours in Kooperation mit dem Evangelischen Kirchenverband Köln und Region in der Antoniterkirche die „Lange Nacht des Melatenfriedhofs“. Nach der Premiere im Juni folgte nun die zweite, inhaltlich erweiterte Veranstaltung diesen Titels.

Vorträge, Lesungen, Interviews, Orgelmusik…
In der Antoniterkirche sitzen und auf dem Melatenfriedhof „wandeln“? Klingt paradox – aber die „Lange Nacht“ machte es möglich. Nach der 10-Minuten-Andacht und einem 50-minütigen Konzert von Kantor Johannes Quack in der Reihe „KirchenTöne“ begrüßte Annette Scholl als Gesamtleiterin der Veranstaltung zu drei Stunden Programm. Darin wechselten bebilderte Vorträge, Lesungen, Interviews und Orgelmusik einander ab. Die Besuchenden, insgesamt wohl achtzig, die mal zu-, mal abwanderten, wurden eingeführt in die Historie des Ortes und die Grabmalsymbolik. Sie vernahmen von Stadtführer Günter Leitner mundartliche Sequenzen von Kölner Autoren und Dichtern, darunter Jupp Blank und Heinrich Roggendorf, über das Hinscheiden, den „letzten Weg“ und das Nachdenken über den Tod im Allgemeinen sowie über Melaten im Besonderen.

Grabstätte vieler protestantischer „Promis“
„Der Friedhof Melaten ist das Gedächtnis unserer Stadt, er schildert das Leben in allen Facetten“, erläuterte Leitner. Auf ihm begegneten wir namhaften Familien, die über die Geschichte Kölns „erzählten“. Und er berichte vom Umgang mit Themen „wie Tod und Trauer in Kirche und Gesellschaft“ – einst und heute. Angelegt ist Melaten an einem Ort, der mindestens seit dem 12. Jahrhundert der Abschottung von Leprösen diente. Die von der chronischen, hochinfektiösen Lepra (Aussatz) Befallenen wurden außerhalb der Stadtmauern untergebracht. Nahe dem Areal, Höhe Kreuzung Clarenbach-/Lortzingstraße, bestand eine Hinrichtungsstätte. Dort ließen 1529 mit Adolf Clarenbach und Peter Fliesteden die ersten zwei „evangelischen Märtyrer“ ihr Leben – als Ketzer, allein wegen ihres protestantischen Glaubens hingerichtet. Ein Gedenkstein auf Melaten trägt beider Namen. Leitner erinnerte daran, dass die Vorgeschichte des Ortes in der Kölner Bevölkerung zunächst zu einer „Komplettverweigerung“ der Idee geführt habe, dort einen Friedhof anzulegen. Erst das mit der Gestaltung beauftragte „Kölner Alphatier“ Ferdinand Franz Wallraf habe ein Umdenken bewirken können. Anfangs sei Melaten nur Katholiken vorbehalten gewesen. Aufgrund des „Beerdigungs-Reglements“ von März 1829 finden dort seitdem auch Protestanten ihre letzte Ruhe. Erster in einer langen Reihe war der im November 1829 beigesetzte Mülheimer Kaufmann Johann Christian Rhodius. Ihm folgten, beispielsweise, der Dombaumeister Ernst Friedrich Zwirner, Carl Jatho, ehemals Pfarrer an der Christuskirche, sowie Laura von Oelbermann. Die äußerst vermögende Witwe stiftete größere Beträge für verschiedene soziale Stiftungen in Köln. Sie finanzierte auch den Bau des Evangelischen Krankenhauses Weyertal.

„Denkmalgeschützt und denkmalwert“
Nach sieben Erweiterungen umfasst der Melatenfriedhof, der 1980 als nicht veränderbares Denkmal eingestuft wurde, heute 45 Hektar und 55.000 Grabstätten. Davon sind 2.421 denkmalgeschützt, 160 denkmalwert. Leitner informierte über die (früheren) Bestattungsklassen I bis III, über einfache Gräber in den Fluren, über Grüfte, also unterirdisch angelegte Begräbnisplätze am Hauptweg. Das „kollektive Gedächtnis“ stehe jedem Besuchenden offen, so Leitner. Und wer nach seinem Ableben dort ruhen möchte, muss nicht (mehr) bis zu seinem Tod in der Innenstadt gewohnt haben. Von Ausnahmen abgesehen, sei das „bis vor zehn Jahre so gewesen, aber durch die Freigabe der Bestattungsbezirke nicht mehr reglementiert“. „Melaten zeichnet sich aus durch eine Vielzahl verschiedener Stilrichtungen und Materialien“, betonte Leitner. Man finde hier alles an Form und Symbolsprache, was die Kunstgeschichte kenne. „Es verlangt der Friedhof ein aufmerksames Auge“, lud er zum Entdecken ein.

Vielfältige Symbole
Bei der Grabmal-Gestaltung auf Melaten finde das Kreuz die häufigste Verwendung, betonte Manfred Loevenich in seinem Vortrag über Symbole. „Das Kreuz steht für die Erlösung durch den Tod Christi.“ Aber auch Herz- und Anker-Formen als Zeichen der Liebe und Hoffnung seien verbreitet. Gemeinsam mit dem durch das Kreuz repräsentierten Glauben stellten sie die zentralen Tugenden dar, „die Christen im Leben Halt und im Sterben eine Zukunft geben sollen“. Geflügelte Stundengläser verwiesen auf die Vergänglichkeit des Menschen, dessen irdische Zeit „wie im Fluge“ vergehe. Als „memento mori“ – gedenke Mensch, dass Du sterben musst – rücke es den Tod in das Leben hinein. Grabstelen verstorbener Protestanten trügen häufig einen Bibelvers, so Loevenich. Damit werde der Christ ermahnt, das diesseitige, vergängliche Leben nicht als absolut zu betrachten. Gräber schmückende Schmetterlinge versinnbildlichten die unsterbliche Seele und, ebenso wie das Motiv der Mohnkapsel, die Auferstehung. Das immergrüne Efeu als Zeichen der Unsterblichkeit stehe für Treue, die Rose seit der Antike für Liebe und Zuneigung. Unter etlichen weiteren Symbolen beschrieb Loevenich auch den Ouroboros, die mythische Schlange, die sich den Schwanz beißt und unaufhörlich selbst verspeist. Das archetypische Bild der ewigen Wiederkehr, die antiker Metapher wurde laut Loevenich von der klassizistischen Grabkunst adaptiert und auch auf Melaten als Zeichen des Sieges über den Tod gedeutet.

Engel und Genien
Ein häufig auf Melaten anzutreffendes Symbol sind Engel. Allein 500 der 2.500 denkmalgeschützten und -werten Grabmale zieren Engel-Darstellungen. Ihnen widmete Leitner einen eigenen ausführlichen Beitrag. Darin klärte der Kunsthistoriker eingangs den Unterschied zwischen Genien und Engeln. „Ein Genius ist ein Schutzgeist, der in uns wirkmächtig ist. Er ist bei uns Tag für Tag bis zum Tod. Er verlässt den Leib und bewacht den Begräbnisplatz.“ An Gräbern werde er mit über Kreuz gestellten Füßen dargestellt, als Zeichen seiner Ortsgebundenheit: „Er kann nicht fortlaufen.“ Dagegen träten in der christlichen Tradition Engel und engelhafte Wesen in unterschiedlichen Stufen beispielsweise als Boten des Himmels auf. „Sie machen bestimmte Botschaften fassbar.“ Engel würden weiter dargestellt als Verkünder, Streiter oder Tröster. Als trauernde, musizierende, auch Blumen tragende Engel, die hinwiesen auf den paradiesischen Garten. „Engel spielen bei vielen Menschen zunehmend eine wichtigere Rolle als die Heilige Schrift“, meinte Leitner. Über diese Boten kontaktierten sie den Himmel direkt. Eine eindrucksvolle Engel-Darstellung bildet auch das Grabmal der 1916 im Alter von zwölf Jahren verstorbenen Maria Dreesmann. Laut Leitner zählt es auf Melaten zu den meist besuchten. Schützend beschirmt der Engel des Herrn, dem der Bildhauer wohl das Antlitz der trauernden Mutter verliehen hat, mit seinen Flügel das Kind.

Fotograf neben Zentrodada
Viele der Grabmale auf Melaten wurden von namhaften Kunsthandwerkern, Künstlern und Architekten gestaltet oder entworfen. Einige, etwa Baumeister Vincenz Statz oder Bildhauer Ludwig Gies, wurden selbst dort zu Grabe getragen. Auf Melaten ruhenden Künstlern widmete die „Lange Nacht“ auch einen Vortrag mit ausgewählten Biographien. Asja Bölke skizzierte Leben, Werk und Wirkung etwa des Fotografen August Sander, der Maler Ernst Wilhelm Nay und Georg Meistermann, der sein Grabmal selbst entworfen hat. Bölke „portraitierte“ ebenso den vielseitigen Künstler Johannes Theodor Baargeld (bürgerlich Alfred Ferdinand Gruenwald). Baargeld, auch Zentrodada genannt, war neben Max Ernst und Hans Arp Mitbegründer der Kölner Dada-Gruppe. Er kam beim Bergsteigen am Mont Blanc ums Leben. Das im Krieg zerstörte originale Grabmal ließ der Kritiker und Publizist Walter Vitt, Pate der Grabstelle, durch einen „dadaistisch inspirierten“ Entwurf des Bildhauers Wolfgang Nestler ersetzen.

Trauerfeier-Gestaltungen
In einer von Scholl moderierten Interviewrunde schilderten der frühere Kölner Stadtsuperintendent Pfarrer i.R. Ernst Fey und Leitner, dass sie den Melatenfriedhof als spirituellen Ort, als Ort der Ruhe und der nachhaltigen Begegnung schätzten. Sie blickten aus protestantischer Perspektive auf Historie und Gegenwart Melatens, stellten Vergleiche zwischen ihm und anderen Friedhöfen Kölns an. So lenkte Leitner den Blick auch auf den evangelischen Geusenfriedhof an der Kerpener Straße und den Evangelischen Friedhof in Mülheim. Thematisiert wurden unter anderem die Trauer- und Bestattungskultur, beispielsweise die Begleitung von Trauernden und Gottesdienste für Unbedachte. Und sie äußerten Wünsche. Fey erhofft sich für den Melatenfriedhof, das er „auch die nächsten 200 Jahre“ nicht in einer Denkmal-Form erstarre, sondern unverändert als Begräbnisstätte wie als Ort der Begegnung dienen möge. Damit angesichts der zunehmenden weltlichen Trauerfeiern die christliche Kasualie, also die „Amtshandlung Bestattung“ nicht verloren gehe, müsse sie über neue Formen der Trauerfeier-Gestaltung nachdenken, schlug Fey vor. In Erinnerung gerufen wurden „große Trauerfeiern“, aber ebenso die Erfahrungen von Pfarrerinnen und Pfarrern, „alleine hinter dem Sarg“ zu gehen, neben den Sargträgern als einzige Menschen einen Verstorbenen auf seinem letzten Weg zu begleiten.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Broich