You are currently viewing Landesweite MAV: Zum ersten Mal wurde ein Gesamtausschuss gewählt

Landesweite MAV: Zum ersten Mal wurde ein Gesamtausschuss gewählt

Für die Evangelische Kirche im Rheinland und ihre Diakonie gibt es künftig einen Gesamtausschuss der Mitarbeitervertretungen. Das wurde auf der Landessynode 2011 beschlossen. Was bedeutet das? Mitarbeitervertretungen haben so die Möglichkeit, ihre Positionen – etwa bei Gesetzgebungen – auf landeskirchlicher Ebene auszudrücken. Schon lange wurde ein solcher Gesamtausschuss gefordert von den rheinischen MAVen. Zur Begründung dieser Neuregelung verwies die Landessynode auch auf die Einrichtung einer Pfarrervertretung im Jahr 2009. In der Synodenvorlage heißt es: "Es ist konsequent, den Mitarbeitervertretungen ein vergleichbares Mitwirkungsrecht auf gesamtkirchlicher Ebene zu geben".

Eine die sich über lange Jahre für den Gesamtausschuss eingesetzt hat, und die sich auch am 30. September zur Wahl gestellt hat, ist Hannelore Morgenstern. Sie gehört bereits zu den 15 gewählten Mitglieder. Am 26. Oktober wird sich der Gesamtausschuss konstituieren. Hier ein Interview mit ihr.

Früher gab es einen Beirat für MAV-Fortbildung. Am 30. September 2011 war in Bonn die Wahl des ERSTEN Gesamtausschusses in der Evangelischen Kirche im Rheinland. Was ändert sich? Nur die Begrifflichkeit?
Hannelore Morgenstern-Przygoda:
Der Gesamtausschuss ist das Sprachrohr und der „Anwalt“ für die 87.200 Beschäftigten bei Kirche und Diakonie gegenüber der Landessynode und ihrer Geschäftsführung in allen Fragen, die die Beschäftigten in Verbindung mit der Mitbestimmung betreffen. Zudem ist er die Vernetzungszentrale für die Mitarbeitervertretungen/MAV in 755 Gemeinden, Kirchenkreisen, Verbänden und in ca. 2.000 diakonischen Einrichtungen. Bei zukünftigen Äußerungen des Gesamtausschuss' wird er hoffentlich nicht mehr in die Schranken von begrenzter Zuständigkeit verwiesen, auch wenn er Grundsätze und Entwicklungen im Arbeitsrecht kommentiert. Denn wer sonst kann für die Gesamtheit der Beschäftigten sprechen?

Was kann denn so ein Gesamtausschuss entscheiden bzw. bewirken?
Hannelore Morgenstern-Przygoda:
Als Aufgaben nennt das Mitarbeitervertretungsgesetz Beratung, Unterstützung und Information der MAV bei ihrer Aufgabenerfüllung sowie Förderung des Informations- und Erfahrungsaustausches zwischen MAV sowie die Förderung von MAV-Fortbildung. Das zeigt, dass der Gesamtausschuss wenig entscheidet. Er wird beraten, Gehör verschaffen und die Aktiven jeden Tag ein bisschen fitter machen. Über die Vergabe der Fördermittel für MAV-Schulungen und Tagungen und die Schulungen in Eigenregie entscheidet auch der Gesamtausschuss. Auch die Vertretung in anderen Gremien gehört dazu: wie die EKD-weiten MAV-Zusammenschlüsse, der landeskirchliche Arbeitsschutzausschuss. Der Gesamtausschuss wird eintreten für das Vorschlagsrecht zur Besetzung der MAV-Schlichtungsstelle. Er wird auch fragen, ob die Versicherten im Verwaltungs- und Aufsichtsrat der Kirchlichen Zusatzversorgungskasse zukünftig auch vom Gesamtausschuss vertreten werden können.

Was erhoffen Sie sich persönlich von dieser Neuerung?
Hannelore Morgenstern-Przygoda:
Ich erwarte, dass eines Tages, die Leitung(en) – hier speziell die Landessynode – ihre MAV wirklich als mitleitendes Organ anerkennen und zu Rate ziehen; dazu wäre das Gastrecht und gelegentliche Rederecht notwendig. Ich hoffe, dass es dem Gesamtausschuss gelingen wird, sich in die großen Veränderungsprozesse so einzumischen, dass allmählich die Beteiligungskultur für den Diskurs mit Großgruppen eine wird, die diesen Namen verdient. Derzeit laufen die Einführung des neuen Kirchlichen Finanzwesens, die Diskussion über „Kirchliche Personalplanung auf Kirchenkreisebene“ und Verwaltungsstrukturreform an den Beschäftigten vorbei – obwohl sie, die sie die tägliche Arbeit leisten, hautnah betroffen sind. Bessere Beteiligung verursacht zweifelsohne mehr Arbeit; als Erfolg winkt jedoch größere Identifikation.

Wie halten es denn die anderen Landeskirchen? Gibt es dort auch Gesamtausschüsse?
Hannelore Morgenstern-Przygoda:
Die „Mutter“ aller Mitarbeitervertretungsgesetze, also das MVG-EKD, sieht die Bildung eines Gesamtausschusses schon immer vor. Allein einige Gliedkirchen entschieden anders. Ab Herbst 2011 wird es noch drei Landeskirchen (Bayern, Lippe, Westfalen) ohne Gesamtausschuss geben.

Wenn Sie jemandem das Wort „Mitarbeitervertretung“ erklären müssen, was sagen Sie dann?
Hannelore Morgenstern-Przygoda:
Mitbestimmung macht aus Betroffenen Beteiligte – zu dem Fazit kam Professor Heinz Briam, Leiter der Mitbestimmungskommission der Bertelsmann- und Böckler-Stiftung 1998. Sie ist also genuiner Bestandteil unserer Struktur auf Gegenseitigkeit, wie die Autoren Beyer und Nutzinger das Konzept der Dienstgemeinschaft charakterisierten. Die MAV achtet darauf, dass Kolleginnen und Kollegen durch die Leitungen und Vorgesetzten nach Recht und Billigkeit behandelt werden und dass die Beschäftigten ihren vertraglichen Pflichten nachkommen. Die sorgfältige Umsetzung der Mitbestimmungs- und Arbeitsrechte weist ihr dabei den Weg. Und außerdem: Erinnere Dich an Deine Wünsche nach Beteiligung seit Schülerzeiten.

Wie hat sich die Arbeit in der Mitarbeitervertretung im Laufe der Zeit verändert? Gab es früher andere Schwerpunkte?
Hannelore Morgenstern-Przygoda:
Das ist schwer und nur differenziert zu beantworten. Bei der verfassten Kirche trifft man immer noch auf die MAV, der elementare Rechte vorenthalten werden (Fachbücher, Internetzugang, ein fremder Gastredner bei der Mitarbeiterversammlung). Andererseits lässt manche MAV die Dinge laufen, auch um der vermeindlich guten Beziehungen zum Vorgesetzten willen; auf die notwendige Zeit für Fortbildung besteht sie nicht. Wohl alle MAV-Mitglieder kennen inzwischen Worte wie „Betriebsübergang“ oder „Leiharbeit“. Die Zahl der Gemeinden ohne MAV nimmt zu, nachdem die Kindertagesstätten ausgegliedert wurden.
Die MAV in der Diakonie haben ihre blauen Wunder erlebt durch die Ökonomisierung des Sozialen Sektors, der auch auf Kosten der Beschäftigten von statten geht. Sie haben gelernt, Wirtschaftsfragen mit zu bedenken; sie mussten befristeten Gehaltskürzungen zustimmen. Allerdings steht immer noch die große Gemeinschaftsaktion von Leitungen und Beschäftigten bei Kirche und Diakonie aus, womit menschenwürdige Konditionen für das Arbeiten und die Fürsorge wieder hergestellt werden.
Auf landeskirchlicher Ebene haben die Beratungen über das Arbeitsrecht zugenommen; zunächst geht es dabei ums Verstehen; dann ums Vermitteln und schließlich die Diskussion zur Meinungsbildung in der Breite der MAV. Die Mehrzahl der derzeit Aktiven spricht sich inzwischen für einen Tarifvertrag anstelle der kicheneigenen Arbeitsrechtssetzung aus, nicht in der Hoffnung auf mehr Gehalt, sondern auf mehr Unabhängigkeit und gleiche Rechte, wie sie in der sonstigen Arbeitswelt gelten.

Was sollte jeder und jede über eine Mitarbeitervertretung wissen?
Hannelore Morgenstern-Przygoda:
Alle sollten die Kontaktdaten der MAV immer zur Hand haben; eigentlich gehören sie auf die Telefonlisten. Die MAV ist nach allem zu fragen, was Mitbestimmungs- und Arbeitsrechte betrifft; die Antwortsuche macht alle Beteiligten schlauer. Im Falle von Veränderungen in den Abläufen und Anforderungen ist ein Gang zur MAV angesagt, um Recht und Billigkeit zu klären. „Nicht ohne meine MAV!“, ist die Devise.

Text: knap
Foto(s): privat