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Eine Andacht aus der Kartäuserkirche Köln - Mathias Bonhoeffer und Thomas Frerichs am Klavier

„laetare“ – Eine Andacht aus der Kartäuserkirche Köln von Pfarrer Mathias Bonhoeffer

Mathias Bonhoeffer steht in einer leeren Kirche in der Kölner Südstadt. Es ist Sonntag, der 23. März 2020. Unter anderen Umständen wäre die Kartäuserkirche  stark besucht, denn dieser Sonntag war eigentlich ganz anders geplant. Es wäre ein ganz besonderer Sonntag geworden. „Es war jedes Mal ein bewegender Moment“, so Bonhoeffer, wenn er die neuen Presbyterinnen und Presbyter in ihr neues Amt einführte. Zeitgleich hätte die Gemeinde Gelegenheit gehabt, sich würdig von ihrem scheidenden Presbyterium zu verabschieden und sich bei ihm für die jahrelange Arbeit zu bedanken. Das ist heute nicht möglich.

„Glücklich sein“

„Laetare“ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet übersetzt so viel wie „glücklich sein“. Doch der Pfarrer, der seine Andacht unter diese Überschrift stellt, wirkt alles andere als glücklich. „Sehr Vieles gefällt mir in diesen Tagen nicht“ äußert er nachdenklich. „Wir werden durch das Virus SARS-CoV-2 in unsere Grenzen verwiesen, von denen wir glaubten, dass wir sie nicht haben.“ Zum ersten Mal haben wir dieser unsichtbaren Gefahr nichts entgegenzusetzen, schlussfolgert er. Selbst Gottesdienste, zu denen man sich gerade in Krisenzeiten versammelte, stehen uns heute nicht zur Verfügung.

Quarantäne und Angst

Mathias Bonhoeffer blickt auf zwei Wochen Quarantäne zurück. In dieser Zeit lernte er, was es heißt, isoliert zu sein. Und doch ging es ihm dabei verhältnismäßig gut. „Ich bin absolut privilegiert“, offenbart er mit Blick auf seine Isolation in seinem Pfarrhaus mit Garten. Denn er weiß auch von Familien, die sich teilweise zu viert in einer 60 Quadratmeter Wohnung in Quarantäne befinden. Was das bedeutet, kann man sich mit ein wenig Fantasie vorstellen.

„Wir schlafen mitunter schlecht und schrecken in diesen Tagen auf, aus Angst“, weiß Bonhoeffer. Im 16. Kapitel des Johannes-Evangeliums heißt es: „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Jesus hat die Welt überwunden. „Zwar sind damit Schmerz und Leid nicht ausgeschlossen, doch gehören diese ebenso zum Leben, wie Freude und Glück“, erklärt der Pfarrer.

In drei Wochen ist Ostern. Hier feiern wir den Sieg über den Tod. Ob und in welcher Form der Ostergottesdienst stattfinden wird, weiß Bonhoeffer noch nicht. Die nächsten Tage werden es zeigen.

Immerhin, ganz alleine war Bonhoeffer bei seiner Video-Andacht nicht. Kirchenmusiker Thomas Frerichs stand ihm zur Seite und zusammen gestalteten sie auch dieses Mal einen bewegenden Moment, den sicher so schnell niemand vergessen wird.

Hier der gesamte Text des Videos zum Nachlesen.

Dreimal durfte ich schon Presbyterinnen und Presbyter in ihr Amt einführen, beziehungsweise an ihr Gelübde erinnern und die ausscheidenden Presbyterinnen und Presbyter verabschieden. Es war jedes Mal ein bewegender Moment. Das ist nicht in einem Gottesdienst geschehen heute. Viel mehr habe ich per E-Mail ein Word-Dokument versandt, dass die Presbyterrinnen und Presbyter auszufüllen haben und mir im Laufe des Sonntags zurückschicken. Profaner als die von der Kirchenleitung gewählte Form, wird es wohl nicht mehr werden können. Das ist der Situation geschuldet. Auch wenn es mir nicht gefällt. Sehr vieles gefällt mir in diesen Tagen nicht.

Die Tageslosung für den Samstag, den 21. März steht im dritten Buch Mose im 26. Kapitel, Vers 6: „Ich will Frieden geben in eurem Land, dass ihr schlaft und niemand aufschrecke“ Und als neutestamentlicher Text steht in den Losungen jener Vers, den zumindest ich sehr gerne als Abschluss der Predigt wähle: „Der Friede Gottes, welcher ist höher als all unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus“, Philipper 4 Vers 7

Seit 75 Jahren herrscht in unserem Land kein Krieg und, Dank der EU, auch in den ihr angeschlossenen Ländern. Ein großartiges Stück gemeinsamer Arbeit und Anstrengung in dieser Region der Welt, Frieden zu schaffen. Wir müssen innerhalb der EU nicht aufschrecken aus Angst vor Bomben und Granaten, oder aus Angst vor Soldaten. Aber wir schlafen mitunter schlecht und schrecken in diesen Tagen auf, aus Angst vor einer unsichtbaren Gefahr, der wir zwar einen Namen gegeben haben, der wir aber nicht wirklich etwas entgegenzusetzen haben; bei Licht betrachtet: Nichts entgegen zu setzen haben.

Das ist neu. Wir werden durch das Virus SARS-CoV-2 in unsere Grenzen verwiesen, von denen wir glaubten, dass wir sie nicht haben. Schmerzhaft wird unsere Hybris aufgedeckt zu glauben, unser Leben in der Hand zu haben. Im Moment gibt es keine öffentlichen Gottesdienste. Dabei war das Gebet und der Gottesdienst immer der Ort, an dem man sich gerade in Krisenzeiten versammelte. Wir haben Gemeinschaft gesucht und gefunden. Jetzt wird Vereinzelung verordnet, freiwillig gelebt und unter dem Stichwort „Verantwortung“ gefordert, eingefordert und im Zweifel Vereinsamung gefunden.

Ich weiß von Menschen, die mit zwei Kindern in einer 60 Quadratmeterwohnung wohnen und in Quarantäne sind. Der Rest lässt sich mit ein wenig Fantasie vorstellen. Ich selbst habe zwei Wochen Quarantäne hinter mir. Ich bin absolut privilegiert: Ich bin verbeamtet, mein Gehalt wird weiter gezahlt werden, ich lebe in einem Pfarrhaus mit großem Garten, und – wer einen Garten hat, weiß – dass er niemals fertig wird.

„In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden“, so steht es im Johannesevangelium im 16. Kapitel: „Jesus als der Christus hat die Welt überwunden.“ Also auch die Angst. Jesus macht ernst mit dem Vers aus Psalm 27: „Gott ist mein Licht und mein Heil. Vor wem sollte ich mich fürchten? Gott ist meines Lebens Kraft. Vor wem sollte mir grauen?“

Um hier keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Schmerz und Leid sind damit nicht ausgeschlossen. Schmerz und Leid gehören zum Leben, genauso wie Freude und Glück. Aber Jesus hat eben die Angst – die Angst vor dem was kommen wird – aufgehoben. Und das schließt die Erkenntnis ein, dass Gott auch aus den Bösesten Gutes schaffen kann und will. Ich habe keine Angst vor dem Tod. Ich werde, so Gott will und ich lebe, 62. Und seit dem ich denken kann, seit dem ich ihn erlebt habe, seit ungefähr 54 Jahren, lebe ich mit dem Tod und er mit mir.

In drei Wochen ist Ostern. Bei der derzeitigen Stimmungslage sehe ich nicht, dass es Ostergottesdienste geben wird. Auch das wird neu sein: Kein Gottesdienst, kein Ostergottesdienst. Der Osterruf „Christus ist erstanden wird nicht erscheinen. Zumindest nicht öffentlich. Dabei feiern wir doch Ostern gerade die Auferstehung. Feiern den Sieg über den Tod. Das heißt, eigentlich die Angst vor dem Tod und die Gewissheit, dass da noch etwas ist. Dass das, was es hier gab, nicht alles gewesen ist, gewesen sein kann, gewesen sein darf.

Es ist schon Ironie des Schicksals dass die Oberammergauer Festspiele, die entstanden sind aus dem Gelübde von der Pest verschont zu werden, jetzt angesichts von 19 auf 20 auf 22 verschoben wurden. Seien Sie gegrüßt und behütet. Gott segne Sie!

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Text: Andy Ebels
Foto(s): Thorsten Levin