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Kunst „visualisiert, führt zu Begegnungen“ – die Lutherkirche in der Kölner Südstadt zeigt in ihrem Turm Arbeiten der Beuys-Meisterschülerin Ulrike Rosenbach

Video- und Foto-Arbeiten sowie Performances sind heute selbstverständlich anerkannte Ausdrucksmittel der Kunst. Vor Jahrzehnten war das noch anders. Ulrike Rosenbach, Jahrgang 1943, hat sich früh dieser Kunstformen bedient. Prägend waren und sind insbesondere ihre Video-Arbeiten, zweimal war die Joseph-Beuys-Meisterschülerin auch auf der Kasseler documenta vertreten – das zeigt ihre herausragende Stellung in der Kunstwelt . Nun gastiert sie mit ihrer Ausstellung „Verrückter Tanz“ im Turm der evangelischen Lutherkirche in der Kölner Südstadt.



Die Künstlerin in der Kirche
Darin behandelt Rosenbach ein zentrales, Kultur übergreifendes Thema: Transformation und Vergänglichkeit. Ein Thema, zu dem sie sich immer wieder äußert. Es geht um Anfang und Ende. Um den Kreislauf von Geburt und Sterben. Um den Wechsel von einem Seinszustand in einen anderen. Das kann auch eine (einfache) Bewusstseinänderung meinen. Ekstase und Entrückung – hervorgerufen etwa durch einen „verrückten“, an das Drehen der Derwische erinnernden Tanz, wie ihn Rosenbach in ihrem Video „Center of Cyclon“ (1988) vollzieht.
Ihre auf die verschiedenen, übereinander liegenden Turmebenen verteilten Beiträge sind unterschiedlicher Art. Doch die Installationen, Video- und Foto-Arbeiten, die teilweise auf bestehenden Werken fußen, greifen aspektreich ineinander. Rosenbach operiert mit Betonungen. Mit Verbindungen innerhalb der einzelnen Arbeiten. Mit Verweisen auf christliche Bildsprache oder buddhistische Philosophie, Mythologisches, Mystisches und Historisches. Sie setzt, zumindest bildlich, die Elemente Wasser und Feuer ein, bedient sich aussagekräftiger Naturmaterialien wie beispielsweise dem Salz. Damit bannt die bei Köln lebende Künstlerin und Professorin an der Hochschule für Bildende Kunst Saar die Gefahr einer einfach nur losen Aneinanderreihung von Arbeiten. Statt dessen wartet sie mit einem dichten Geflecht auf. Das besteht aus bewegten und stehenden Bildern, Geräuschen, Klängen und Stimmen.

Raum eins
Im Erdgeschoss empfängt die Besucherinnen und Besucher die Installation „Herzpendel“ von 1990, die Rosenbach eigens für diese Ausstellung überarbeitet hat: Nah über einem direkt auf dem Boden ausgelegten Kreis aus Salz baumelt oder ruht in einer langen, roten Schlaufe ein bronzenes Herz. Buchautorin und Einführungsrednerin dieser Ausstellung, Petra Richter, kontstatierte, dass Rosenbach hier „den Gedanken buddhistischer Philosophie von der Unbeständigkeit fester Formen mit der Vorstellung ständigen Wandels und Fließens der Dinge“ verbunden habe.

Raum zwei
Der Ausstellungstitel „Verrückter Tanz“ geht auf ein gleichnamiges Fotoobjekt im zweiten Raum zurück. Es besteht aus zwölf Standfotos, die einem 1987 entstandenen Video entnommen und auf dem Boden in einer ausladenden Kreuzform angeordnet sind. In deren Zentrum befindet sich der in Blau-Grün getauchte Ausschnitt eines Grabkreuzes mit Corpus. In den umgebenden Foto-Segmenten dominiert die Farbe Rot. Rot ist das Kleid, das die Künstlerin in ihrem Video trägt. Es zeigt sie bei einer Tanz-Performance. Der Eindruck von Bewegung geht auch in der neuen Zusammensetzung der abfotografierten Sequenzen nicht verloren.

Raum drei
Im dritten Turmzimmer präsentiert die Teilnehmerin an der documenta 6 und 8 eine Video-Arbeit und drei daraus fotografierte Standbilder mit dem Titel „Über den Tod“ (2007). Akkustisch unterlegt mit (fast stetigen) Trommelschlägen und leise von Rosenbach gesprochenen Zitaten aus dem Tibetischen Buch vom Leben und Sterben (Sogyal Rinpoche), lässt die Künstlerin hier vor einer Trommel ein Schlangenskelett kreisen. Ein Totenschädel und Haare kommen dazu, ein (Uhr)Zeiger beschreibt einen Halbkreis. Wolkenartige Gebilde strömen umher, werden in eine vermeintliche Mitte gesogen, verschwinden. An anderer Stelle treten neue Schemen hervor.

Raum vier
Das Motiv des rotierenden Schlangenskeletts, nun geformt wie eine Endlosschleife, wiederholt Rosenbach im obersten Raum. Dort lockt die ebenfalls eigens für diesen Ausstellungsort entwickelte Bild- und Klanginstallation „Longchen Wasser“. Aus der Deckenöffnung zum darüber befindlichen Glockenstuhl projiziert Rosenbach eine berückende Bildfolge auf den Boden. Sie fällt, wiederum, auf einen am Boden ausgelegten Salz-Kreis. Die Projektion suggeriert eine blaue Wasserfläche, in der sich das Schlangenskelett spiegelt. Sternartige Blitze gesellen sich hinzu, gehen auf, erlöschen. Dann wird die Sicht für einen kurzen Moment verschleiert, Farben und Motive verschwinden unter grauem Dunst. Der bildlichen Abfolge von Werden und Vergehen fügt Rosenbach auch hier eine hörbare Komponente hinzu: litaneiähnlich monoton intoniert eine Stimme ein Mantra aus Konsonanten.

Der Pfarrer und der Kunstbeauftragte
Die Lutherkirche ist eins von mehreren Gemeindezentren der Evangelischen Gemeinde Köln. Hier fanden schon viele bemerkenswerte Ausstellungen, Installationen, Performances statt. Hermann Vogel, Kunstbeauftragter der Lutherkirche, hat diesen Ort mit großer Ausdauer zu einem bei Künstlern beliebten, von Gästen immer wieder gern besuchten Kunst-Ort gemacht. Und er ist froh über jede weitere Ausstellung im Turm der Kirche: „Unsere Kunst-Projekte sind ein schwieriges Unternehmen. Denn deren Finanzierung lastet allein auf dem Bezirk Lutherkirche.“

„Wir machen das jetzt über 15 Jahre“, sagt Hans Mörtter, Pfarrer der Lutherkirche. Selbstverständlich würden die Präsentationen fortgesetzt. „Wenn dafür mal kein Geld da ist, müssen wir uns eben welches besorgen“, zeigt er sich entschlossen.
Über die Zusage der renommierten Medienkünstlerin Rosenbach hat sich Vogel gefreut. Ihre Beiträge hält er für außerordentlich geglückt. Der kirchliche Ort sei gerade richtig für Rosenbachs metaphysische Beschäftigung mit Transformation. „Wichtig ist dabei: Ihr geht es nicht um Formalismus, sondern um Inhalte.“

Laut Mörtter gehören Kunst und Kirche zusammen. Wie die Kirche stelle die Kunst immer wieder neue Fragen. „Wer sind wir, was sind wir?“ Die Kunst setze Impulse, reibe sich an Erscheinungen der Zeit. Sie visualisiere, führe zu Begegnungen. Und sie beunruhige – bis hin zur Provokation. Die Rosenbach-Ausstellung „passt ganz phantastisch hierher“, urteilt Mörtter. „Leben und Tod. Das sind auch unsere großen, wichtigen Themen.“

Öffnungszeiten
Geöffnet ist die Ausstellung im Turm der Lutherkirche, Martin-Luther-Platz 2-4, bis 30. November: donnerstags bis samstags von 16 bis 19 Uhr, sonntags von 11 bis 14 Uhr.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Broich