Bin ich nur ein Staubkorn, das verloren ist im All, oder bin ich ein geliebtes Staubkorn?“ Das ist eine von vielen inspirierenden Fragen, die der im christlichen Glauben verwurzelte Astrophysiker Prof. Dr. Heino Falcke formuliert. „Ein von Gott geliebtes Staubkorn“, lautet seine Antwort. Wir alle dürften uns von Gott geliebt, ermächtigt und trotz unserer Kleinheit als etwas Besonderes fühlen. Zuletzt folgte der 58-Jährige der Einladung des Journalisten und ehemaligen Priesters Joachim Frank in die katholische Karl Rahner Akademie. Nahe des Kölner Neumarkts begrüßt der Chefkorrespondent der DuMont Mediengruppe in der von ihm konzipierten Gesprächsreihe „frank & frei“ des Kölner Stadt-Anzeigers regelmäßig spannende Gäste.
In der letzten Ausgabe des Jahres wurde das Verhältnis von Glaube und Naturwissenschaft behandelt – von Glaube und Astronomie. Selten habe er von einem Thema so wenig verstanden wie von Astronomie, schickte Frank voraus. Ein Eingeständnis, in dem sich etliche Zuhörende im Saal wiedergefunden haben werden. Glücklicherweise schreibe Falcke Bücher, „mit denen man dann doch etwas versteht“, verwies der Journalist auch auf dessen Autorentätigkeit.
„Eine Reise durch den Himmel – zwischen Glaube und Wissenschaft“
Glaube und Astronomie sind für Falcke keine unüberbrückbaren Gegenwelten. „Beide haben es schließlich mit dem Himmel zu tun“, so der Professor für Radioastronomie am Institut für Mathematik, Astronomie und Teilchenphysik der Radboud-Universität im niederländischen Nimwegen. Im Ehrenamt engagiert der gebürtige Kölner sich als Prädikant der rheinischen Landeskirche in der evangelischen Kirchengemeinde seines Wohnortes Frechen. Es ist anzunehmen, dass der Abend mit ihm und Frank vielen Besuchenden länger im Gedächtnis bleiben wird. Sie erlebten in Vortrag und Austausch eine faszinierende kurze Reise zunächst durch die Geschichte der Astronomie.
Dabei überzeugte der Naturwissenschaftler, der seinen Gottesglauben mit „traditionell christlich“ charakterisiert, als anregend erläuternder „Reiseleiter“. Kenntnisreich suchte er auch im Gespräch komplizierte Sachverhalte verständlich zu vermitteln, dabei erhellend Bibelwort und Philosophisches miteinzubeziehen. Er stellte Fragen beispielsweise nach dem Urgrund des Seins und der gesellschaftlichen Relevanz von individuellem Glauben. Und er verdeutlichte, dass trotz des immensen Wissenszuwachses der Menschheit bis heute vieles nach wie vor ungeklärt und unbestimmt geblieben ist. Gewiss ist dagegen, dass 2018 die Internationale Astronomische Union einen Asteroiden nach dem vielfach ausgezeichneten Radioastronom benannt hat.
Erstes Bild eines Schwarzen Lochs
In der einleitenden Vorstellung seines Gesprächspartners ging Frank auch ein auf das 2019 vorgestellte erste Bild eines Schwarzen Lochs im Universum. Die Idee für die Beobachtung des sogenannten Ereignishorizontes am Rand von Schwarzen Löchern mittels rund um die Erde zusammengeschalteten Radioteleskopen geht zurück auf Falcke und zwei seiner Kollegen. Dessen Gefühle beim Erblicken dieses ikonischen Bildes hat laut Frank der Wissenschaftler einmal verglichen mit dem „ersten Kuss in einer langen Liebesbeziehung“. Der mit einem großen Team erreichte astronomische Meilenstein habe Falcke zu einem begeisterten Anhänger von Gemeinschaftsarbeit und -leistungen gemacht.
Der eigene Glaube hat auch große gesellschaftliche Relevanz
„Wo kommt alles her? Mein Glaube und mein Gottesbild bestimmen, wie ich die Welt, die Gesellschaft, mich selber sehe“, sprach Falcke von deren großen Relevanz. Wenn man sich begreife als zufällig zusammengekommene und wieder sich auflösende Sammlung von Protonen, habe man ein anderes Bild, „als wenn ich sage, ich bin ein geliebtes Kind Gottes und jeder Mensch hat einen Wert, der daher kommt“. Trotz der Relevanz unseres Weltbildes redeten wir viel zu selten darüber, was Menschen eigentlich denken über sich, die Welt, über den Anfang und das Ende.
„Das alte mittelalterliche Weltbild haben wir hinter uns gelassen“, sagte Falcke. Trotz leichter Berührungspunkte stünden heute Glaube und Naturwissenschaft als getrennte Domänen, die scheinbar nichts miteinander zu tun hätten. „Aber damit habe ich ein Problem“, so der Radioastronom. Ein Glaube, der die Wissenschaft ignoriere, sei weltfremd und werde scheitern. Es sei für Gläubige essentiell, Wissenschaft ernst zu nehmen und miteinzubeziehen. „Andererseits sagt mir Wissenschaft nicht, wie ich mit dem unbeschreiblichen, unverfügbaren Geheimnis des Lebens umgehen kann.“ Deswegen bietet Wissenschaft alleine für Falcke einen unvollständigen Zugang zur Welt und deren Verständnis. Dieser helfe ihm „phantastisch in vielen Bereichen“. Aber in entscheidenden Lebensfragen reiche er eben doch nicht aus und führe auch nicht zu einem kompletten Weltbild.
„Wir leben nicht in einer berechenbaren Welt“
Naturwissenschaftler wie Kopernikus, Kepler und Galilei hätten „wirklich unsere Welt verändert“. Alle drei seien gläubige Menschen gewesen. „Nicht weil sie mussten, sondern wirklich glaubten.“ Im 19. Jahrhundert hätten Physiker die Meinung vertreten, „eigentlich alles entdeckt“ zu haben. Die Idee, Gott durch die Physik beschreiben zu können, habe zu einem ein sehr mechanistischen Gottesbild geführt. Im 20. Jahrhundert sei tatsächlich unwahrscheinlich viel neue Physik entdeckt worden. Das Entscheidende, findet Falcke, „sind auch die Grenzen unserer Erkenntnisfähigkeit“. Aus fundamentalen Gründen könnten wir bestimmte Dinge nicht wissen. „Nicht weil wir zu dumm sind, sondern weil die Physik inhärent Grenzerkenntnis eingebaut hat. Wir können den Zustand eines physikalischen Systems nicht vollständig bestimmen. Wir leben nicht in einer berechenbaren Welt.“
Galaxien, Sterne gebe es wie Sand am Meer, verwies Falcke auch auf Aufnahmen des James-Webb-Weltraumteleskops. „Jeder dieser Flecken im Bild ist eine einzelne Galaxie, der kleine Ausschnitt ist so groß wie ein gegen den Himmel gehaltenes Nadelöhr. In diesem Nadelöhr, das so groß ist wie ein Sandkorn, sieht man Tausende von Milchstraßen. Und jede Milchstraße hat ein Schwarzes Loch im Zentrum.“
Wir als Krümelchen im unfassbar großen Universum
Dagegen seien wir „Krümelchen im All“, relativierte Falcke. Ihn beeindrucke das Gefühl der alten Propheten für dessen Größe. „Wie man des Himmels Heer nicht zählen, noch den Sand am Meer nicht messen kann“, zitierte er Jeremia (33,22). „Sterne, die er nicht sehen konnte, hat Jeremia in gewisser Weise gespürt, geahnt. Das Gefühl von einer überwältigenden Natur, die sich an diesem Sternenhimmel versteckt.“ Er sieht auch das Geheimnis der Astronomie darin, dass Menschen beim Schauen in den Sternenhimmel intuitiv spürten, dass „da etwa ist, das größer ist als sie selber“.
Angesichts der Größe des Universums habe man schon vor 2500 Jahren im Buch der Psalmen folgenden interessanten Gedanken aufgeschrieben: „Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast: was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst?“ Genau an diesem Punkt stünden wir heute wieder, so Falcke. Die von uns entwickelte Technik gebe uns alle Möglichkeiten und liefere uns fast alle Erklärungen. „Und am Ende stehen wir da und die Technik zeigt uns, wie klein wir eigentlich sind, wie wenig wir wirklich kontrollieren. Das zeigt uns die Grenzen der Erkenntnisfähigkeit“, empfiehlt er Demut als die richtige Haltung. Ein unendliches Universum könne es eigentlich nicht geben, konstatierte Falcke. Was sich dahinter befinde, sei reine Spekulation. „Es ist grundsätzlich nicht messbar. In der Naturwissenschaft besteht das, was nicht messbare ist, eigentlich nicht.“ Aber es bestehe dann doch. „Es muss irgendetwas bestehen. Da kommst du einfach in grundlegende Probleme der Erkenntnisfähigkeit.“
Heute nicht besser beantwortet als vor tausend Jahren
Frank führte den Moment der Religionskritik an, dass der Glaube immer da ansetze, wo die menschliche Erklärung etwa für Naturphänomene jeweils gerade nicht mehr ausreiche. Aber so ganz funktioniere das auch nicht, wandte Falcke ein „Wenn man weiter durchfragt, befindet man sich auf dem naturwissenschaftlichen Erklärungsweg an genau derselben Stelle, an der man vorher gewesen ist.“ Früher hätten Götter die Blitze geschleudert. „Jetzt hast du Naturgesetze. Trotzdem werden Blitze noch nicht hundertprozentig verstanden“, sieht er noch interessante Fragen offen. So könne kein Mensch erklären, was ein Naturgesetz wirklich sei, wo es herkomme. Naturgesetze seien von uns ausgedacht. Man brauche einen Anfangspunkt, einen Urgrund, von dem alles herkomme. „Das ist heute nicht besser beantwortet als vor tausend Jahren. Du hast vielleicht dazwischen die Details besser verstanden, aber die Grundfrage hast du nicht geklärt“, so Falcke.
Und dann komme Gott ins Spiel?, fragte Frank. Das sei zumindest das Unverfügbare, stellte der Wissenschaftler fest. „Du musst dir deine Vorstellung von dem machen, worüber du keine Verfügbarkeit hast.“ Und das sei tatsächlich ein Gottesbild, der Schöpfer, der Urgrund von allem. „Das kann etwas völlig Unpersönliches sein. Oder du hast eben ein christliches Gottesbild. Das ist natürlich ein persönlicher Gott. Also ein Gott, mit dem ich auch heute noch kommunizieren, von dem ich etwas erwarten kann“, verwies Falcke auf die Genesis. Das 1. Buch Mose spreche vom Menschen als Spiegelbild Gottes. So gebe es das Weltbild, dass das, was in uns sei, das widerspiegele, „was vielleicht am Anfang der Schöpfung schon da war“. Das könne man genauso stehen lassen wie die Theorie von einer zufällig aus dem Urknall heraus entstandenen Welt. Aber was einst genau passiert sei, „können wir eigentlich nicht verstehen“.
Moralisches Gesetz und ein Gefühl für Naturgesetze in uns
Falcke glaubt, dass Menschen ein moralisches Gesetz in sich tragen und ein Gefühl für Naturgesetze. „Das ist etwas, was der Schöpfer mir mitgegeben hat.“ Ohne ein Gefühl für Gut und Böse, gäbe es nur Mord und Totschlag. „Man könnte lange drüber reden, ob das nicht noch woanders herkommen kann als von Gott“, wandte Frank ein. Für Falcke gehen alle Naturgesetze, deren Herkunft niemand kenne, letztlich auf Gott zurück. Er habe überhaupt kein Problem mit der Aussage, die Welt sei durch Evolution entstanden, so der Frechener. Aber dann bestünden letztlich immer noch diese wunderbaren Naturgesetze, dieses wunderbare Wort Gottes, was das alles möglich gemacht habe. „Ob es Gott gibt, ist für mich gar keine Diskussion. Gott gibt es“, stellte Falcke fest. „Die Frage ist, wer oder was ist Gott. Das ist viel spannender.“
Spielen im Garten des Vaters
Fragen formulierte auch Teilnehmende der über hundertminütigen Veranstaltung. Man erkundigte sich etwa, wie es Falcke gelinge, „nicht verrückt zu werden in dem Ganzen, was er da so treibe“. Er bewege sich ja in Dimensionen, die nicht im Ansatz fassbar seien. „Ich glaube, ich würde überschnappen, wenn ich jetzt Politikredakteur wäre“, reagierte der Radioastronom. „Ich finde das noch total vernünftig, was wir machen, im Großen und Ganzen.“ Die Dimensionen seien am Ende nur Zahlen. Man abstrahiere natürlich. Aber es sei zutreffend, erwiderte er auf eine Zusatzfrage, dass sein Welt- und Gottesbild ihm auch bei der Bewältigung der beruflichen Herausforderungen helfe. Wobei er sich auch aufgehoben fühle in der Weite, stellte er fest. „Ich bin letztlich ein geliebtes Kind Gottes.“ Eigentlich spiele er im Garten seines Vaters, beschrieb Falcke. Insofern fühle er sich da nicht verloren. Man müsse die abstrakten Zahlen ohne Angst einfach annehmen. „Und groß denken“, schob er nach.
Der Stern von Bethlehem Ergebnis babylonischer Rechenkunst?
Naheliegend befragte Frank seinen Gast zum Geschehen rund um den Stern von Bethlehem: „Was ist an der Weihnachtsgeschichte im Matthäusevangelium historisch und was nicht? Gibt es da astronomische Anknüpfungspunkte?“ Falcke würde es überraschen, „wenn Matthäus sich komplett etwas aus den Fingern saugt“. So vermutet der Naturwissenschaftler einen historischen Kern, eine Grundvoraussetzung. „Die drei Weisen kommen an den Königshof, erzählen von dem Stern, den sie gesehen haben. Und kein Mensch in Jerusalem weiß etwas davon.“ Wenn es sich um einen Kometen, ein UFO oder eine Supernova gehandelt hätte, hätte jeder sie gesehen. „Das wäre Stadtgespräch gewesen.“ Das zeige, dass die Sterndeuter „etwas ´sehen´, was andere nicht sehen“. Das sei möglich gewesen, „wenn sie eben solche Rechenkünstler sind wie die Babylonier es waren“. Diese hätten gar nicht mehr in den Himmel geschaut. „Sie haben Dinge ausgerechnet.“ Das Ergebnis ihrer Simulation habe ihre Wirklichkeit wiedergegeben.
Die jüdischen Schriftgelehrten hätten nicht über diese astronomischen, astrologischen Fähigkeiten aus Babylonien verfügt. Dabei, so Falcke, seien tatsächlich an einem Morgen etwa im Jahr 6 vor Christus sieben Planeten in einer Reihe aufgegangen. Darunter die sich scheinbar begegnenden Jupiter und Saturn. Doch aufgrund der hellen Sonne habe niemand diese besondere Planetenstellung sehen können. Nur anhand der Rechnungen sei diese wie eine Königsprozession erscheinende Konjunktion nachvollziehbar gewesen. „Das ist eine mögliche Interpretation“, stellte Falcke fest.
„Der Komet macht mehr her“
Interessant findet er den Fortgang der Geschichte. Die jüdischen Schriftgelehrten hätten festgestellt, dass in ihren Vorhersagen Bethlehem eine besondere Rolle spiele. „Das ist natürlich das, wo Matthäus hinwill. Er sagt, hier wird die alttestamentarische Prophetie erfüllt.“ Bei vielen in der Geschichte auftauchenden Motiven dachte Falcke zunächst an eine Legende. „Sie passt ja nicht in die Bibel, sie ist so ganz merkwürdig.“ Inzwischen habe er den Eindruck, ihre vielen Elemente „machen durchaus Sinn“. Als sich Frank nach dem Krippenschmuck der Familie Falcke erkundigt – ob nun Planetenkonjunktion oder Stern mit Schweif – muss der Gast kurz überlegen: Er wisse gar nicht, ob er zuhause einen solchen Schmuck habe, aber er finde ihn okay. Schließlich: „Ich glaube, der Komet macht mehr her. Im Endeffekt sollten wir ihn behalten als Bild – wenn wir im Hinterkopf haben, was es auch sein könnte.“
Foto(s): Engelbert Broich