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Konfessionslos glücklich?

Warum beschäftigt sich eine evangelische Stadt-Akademie mit dem Glück der Konfessionslosen? Pfarrer Dr. Martin Bock, Leiter der Kölner Melanchthon-Akademie, begrüßte die zahlreichen und diskussionsfreudigen Gäste zu einem „ungewöhnlichen Thema“.

Jenseits vom Garten Eden
Bock fragte: „Haben wir im Blick auf Religion und Konfession inzwischen vom Baum der Erkenntnis gegessen?" Wie, mit welchen Argumenten, welchem Verständnis, welcher Empathie, kommt die Kirche mit Menschen ins Gespräch, für die Religion und Konfession schon lange kein reizvoller Aufenthaltsort mehr sei? Mit diesem Thema beschäftige sich Professor Dr. Hans-Martin Barth, emeritierter Professor für Systematische Theologie und Religionsphilosophie in Marburg, in seinem „provozierenden“ Buch mit dem Titel „Konfessionslos glücklich“.

Orientierung an den anderen
Barth stellte gleich zu Beginn seines Vortrages fest, er wolle nicht zum Kirchenaustritt auffordern, sondern vielmehr „die verstehen lernen, denen ein Kirchenaustritt naheliegt oder ihn schon vollzogen haben“. Man müsse fragen, wie man sich Kirchendistanzierten, Areligiösen und Agnostikern zuwenden könne. Sein Buch versteht er als einen Beitrag, „damit sich unsere Kirche in diese Richtung stärker öffnet“. In der Theologie löse "eine Mode die andere ab", bevor Dinge wirklich "durchgeklärt" würden. Heute spreche man von 35 bis 36 Prozent Konfessionslosen. In den neuen Bundesländern sei dies noch deutlicher. Diese Entwicklung einer „Entkirchlichung“ zeichne sich schon seit dem 19. Jahrhundert ab und müsse "sehr ernst genommen" werden.

Religion mit Räucherstäbchen?
Barth zitierte Dietrich Bonhoeffer, der einmal gesagt habe „Die Zeit der Religion ist vorbei“. Dies wurde, so Barth, gerade in den letzten Jahren immer wieder in Frage gestellt mit dem Argument, Religion sei immer präsent, „mit Räucherstäbchen und anderen schönen Dingen“. Dieses sogenannte „Comeback der Religionen“ sei allenfalls ein mediales Ereignis. Wenn von einem „Comeback der Religionen“ die Rede sei, müsse man sich vor allem die politische Seite ansehen. Führe sie zu Auseinandersetzungen, müsse man sich fragen, "ob es in der Welt nicht ohne Religionen viel besser wäre“. Religion also als „Störfaktor für eine friedliche Gesellschaft“?

Religiöse Unmusikalität
Schon der Soziologe Max Weber habe vor knapp 100 Jahren vom „religiös unmusikalischen Menschen“ gesprochen. Diese „Unmusikalität“ in religiösen Dingen habe zugenommen. Dies belegte er mit einem Beispiel von Eberhard Tiefensee, katholischer Priester und Philosoph, der Jugendliche befragte, ob sie katholisch oder evangelisch seien. Die Jugendlichen antworteten: „Weder, noch. Halt normal!“. Genau diese „Normalität“ machte Barth neugierig: „Wie kommt es, dass etwas, das mich so elementar beschäftigt, für andere Menschen so uninteressant ist?“ Ihm gehe es hier nicht ums Missionieren, vielmehr wolle er verstehen lernen.

Den Vater im Himmel nicht denken können
Was bedeutet überhaupt religionslos? Barth beschreibt einen Trend in der Theologie: „Alles ist doch Religion oder religiös besetzt – Sport, Sexualität usw.“. Diese Definition will er aber nicht übernehmen, denn wenn alles Religiosität sei, könne er den Fokus nicht auf die Gruppe richten, die ihn interessiere, nämlich „die Leute, die mit klassischer Religion nichts mehr anfangen können, ebenso wie mit dem Begriff Transzendenz, die sich einen Vater im Himmel nicht denken können oder irgendwelche Akteure im Jenseits.“

In die Kirche nur, wenn sie leer ist
Barth begegne immer wieder Menschen, die „religionslos völlig zufrieden sind, denen nichts fehlt“. Eberhard Tiefensee spreche mit Blick auf die DDR von einem „Volksatheismus“. Die Soziologin Monika Wohlrab-Sahr rede von „sozialer Vererbung der Religionslosigkeit“. Schmunzelnd erwähnte Barth den „Religionsmonitor“ mit dessen Hilfe man im Internet herausfinden könne, wie religiös man sei. In den Ergebnissen einer Auswertung werde zum Beispiel von einem Mann berichtet, der gerne in die Kirche gehe – allerdings nur, wenn sie leer sei. „Ist das noch Religiosität? Oder Kulturbeflissenheit, touristisches Interesse?“, fragte Barth.

Religion und Hirnforschung
In der Hirnforschung habe man ein Hirnareal gefunden, dem religiöse Gefühle zugeordnet werden könnten. "Ist die Religion charakteristisch für die Menschwerdung des Menschen?" Dafür gebe es keine schriftlichen Quellen, so der Theologe. Barth warnte davor, immer sofort an das Religiöse zu denken. Er vermute vielmehr, dass es immer schon Menschen gegeben habe, die religiösen Glauben abgelehnt hätten. „Ein religiöses a priori lässt sich nicht ohne Weiteres als für den Menschen konstitutiv nachweisen, wenngleich uns Religion in vielfältigen Formen im Lauf der Menschheitsgeschichte begegnet“. Einen gemeinsamen Grund dafür, dass ein Mensch religiös werden kann oder areligiös leben kann, sieht Barth eher in der Sozialisation. „Beides ist möglich und beides kann zum Menschen gehören. Wir dürfen den areligiösen Menschen nicht immer unterstellen, dass ihnen etwas fehlt.“ Zwischen den Jahren 1900 und 2000 sei die Zahl der Agnostiker, Atheisten und Areligiösen von geschätzten 5 Millionen auf 900 Millionen weltweit gestiegen, informierte er.

Theologische Herausforderung
„Wenn es stimmt, dass ein guter Teil der Menschheit gut ohne Religion leben kann, dann frage ich mich als Christ: Heißt das, dass das Evangelium fortan begrenzt ist auf die Religiösen oder muss man die Areligiösen zur Religiosität bekehren?“. „Nein!“, sagt Barth, man müsse die, die so anders sind als wir, in den Blick nehmen. „Die Entwicklung zur Säkularisierung, zur Entkirchlichung muss auch etwas mit dem Walten Gottes zu tun haben. Diese Erkenntnis macht die Frage noch dringender, wie wir als Christen darauf reagieren.“

Kirche mit durchlässigen Grenzen
Barth fasste zusammen: „Wir brauchen eine Kirche mit durchlässigen Grenzen“ und forderte „Sympathiezonen, wo man freundlich der Kirche gegenüberstehen könnte, ohne sich gleich total damit zu identifizieren" und die ganze Dogmatik übernehmen zu müssen. Eine offenere Kirche erwecke nicht den Eindruck, dass sie nur um ihre Selbsterhaltung kämpfe, sondern, dass es um etwas anderes geht – "um die Hilfe für den Menschen.“ Auch Sakramente seien nicht automatisch hilfreiche Rituale, sondern müssten nüchtern auch als "Hemmschwellen für Menschen, die in den Gottesdienst zu gehen“ wahrgenommen werden. So müsse man die Gestaltung von Liturgien noch ernster nehmen als bisher geschehen.

Was folgt daraus?
„Ich möchte meinen säkularen Mitmenschen, Freunden und Verwandten sagen: Lasst doch das mit Gott sein, wie es sein mag! Stoß dich nicht an traditionellen Bildern und Vorstellungen, an der Dogmatik und der Kirche. In einer vitalen Beziehung zu Jesus aus Nazareth, der Bergpredigt, oder dem ‚Kommt her zu mir, die ihr mühselig und beladen seid’ – daraus ergibt sich eine Perspektive für euer Leben, egal ob ihr an Gott glaubt oder nicht. Das ist ein Angebot, auf das man sich einlassen kann. Fangt mit dem an, was euch einleuchtet, nicht mit den Schwierigkeiten!“ Als Symbol des Vertrauens nennt der das Kruzifix mit den weit geöffneten Armen. „Ich suche einen Glauben, der nichts als Glaube ist, der Religion und Religionslosigkeit transzendiert, der sich durch die Religion nicht stören lässt, und der keine Religion braucht.“

Text: Susanne Hermanns
Foto(s): Susanne Hermanns