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„Köln hat einen guten Boden für Hospizarbeit“

Jährlich veranstalten das Palliativ- und Hospiznetzwerk Köln e.V., die Hospiz- und Palliativarbeitsgemeinschaft Köln und das Katholische Bildungswerk Köln gemeinsam den Hospiz- und Palliativtag im Domforum. In diesem Jahr prägten die Auseinandersetzung mit Endlichkeit, Tod, Verlust und Trauer in Film und Literatur das Veranstaltungsprogramm. Moderatorin Renate Hofer betonte auch die vergleichsweise gute Versorgungslage mit Hospizdiensten in Köln. „Es ist eine schöne Tradition, dass wir im Domforum zu Gast sein dürfen“, eröffnete Renate Hofer, Koordinatorin des Palliativ- und Hospiznetzwerks Köln e.V., das Programm zum Hospiztag, der unter dem Motto „wenn sich alles umstülpt im Leben“ stand.

Ein Gefühl der Geborgenheit vermitteln
Der Stadtdechant Robert Kleine war der Erste, der ein Grußwort sprach und darin den Einsatz der rund 400 ehrenamtlichen Helfer würdigte, die in Köln in Hospizdiensten Schwerkranke und Sterbende betreuen. „Sie sind diejenigen, die im besten Fall den Exitus zum Transitus werden lassen, ein Gefühl der Geborgenheit vermitteln“, bezog er sich dabei auf die christliche Sicht.

Der Glaube wird umgestülpt
„Wenn sich alles umstülpt im Leben“ – das aktuelle Motto des Hospiztages hatte das Interesse von Stadtsuperintendent Rolf Doming geweckt. Die Tageslosung, Psalm 77, 10, „hat Gott vergessen, gnädig zu sein“, bot da einen guten Anknüpfungspunkt und spiegelt die Gefühle derer, die die verhängnisvolle Diagnose bekommen, wider. „Wir wissen natürlich, dass unser Leben endlich ist, bei Konfrontation damit wird auch der Glaube umgestülpt und es tauchen Fragen auf, die ich nicht einfach beantworten kann“, betonte Domning.

Gute Versorgung in Köln
Die Bürgermeisterin Angela Spizig als städtische Vertreterin nahm erstmals Bezug auf den Schwerpunkt des Hospiztages in Literatur und Film: Sie zitierte die Calvinistin Emily Dickinson, die mit dem Bild vom „höflichen Tod“, der die von ihm Umworbenen abholt und seine Unausweichlichkeit heraufbeschwor. „In vergangenen Jahrhunderten waren Menschen oft viel weiter, was die Integration des Todes in das Leben angeht“, schloss sie ihren Ausblick. Renate Hofer, Moderatorin und Koordinatorin des Palliativnetzwerks, nutzte die Gelegenheit, auf die vergleichsweise reiche Versorgung mit Hospizdiensten in Köln zu verweisen: „Wir wissen alle, dass wir endlich sind, aber es ist gut, dabei in Köln zu leben“. Damit dies kein Kölner Phänomen bleibt, konnten Besucher die „Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland“ unterschreiben.

Das Thema von allen Seiten angehen
Der Programmschwerpunkt auf Literatur und Film kam bei den Besuchern gut an: „Es ist sehr wichtig, dass es nicht nur ernste Themen sind, sondern dass das Thema von allen Seiten angegangen wird“, betonte Marita Meye, Ehrenamtlerin beim Hospizdienst Dellbrück-Holweide e.V. Ihr Begleiter Franz Wiethoff bestätigte die gute Kölner Versorgung: „Im Ruhrgebiet, wo ich herkomme, wird das Thema eher stiefmütterlich behandelt“

Tod und Trauer in der Literatur
Einen Rundumschlag durch die Literatur bot der Vortrag von Dr. Gabriele von Siegroth-Nellessen, beginnend beim Gilgamesch-Epos, in dem der Held seinen Freund Enkidu betrauert. Der Tod im Altertum war einfach allgegenwärtig: „Wer den Tod ablehnt, lehnt das Leben ab“, zitierte sie den Philosophen Seneca. Auch im Mittelalter ist der Tod immer präsent, das Leben wurde profanisiert, weil das eigentliche Leben erst im Jenseits beginnt. Erst im Spätmittelalter erscheint der Tod in der Gestalt des Knochenmanns, der keine Heilsbotschaft sondern die physische Vernichtung ankündigt.

"In der Literatur war der Tod immer da"
Die Aufklärung wiederum orientiert sich lieber am antiken Bild des Todes als Genius mit verlöschender Fackel – das Bild des Sensenmanns wird problematisch, weil unästhetisch. Gleichzeitig verschwindet die christliche Sicht des Todes als Hoffnung auf Auferstehung im Jenseits. Zum „Skandalon“ wurde der Tod erst recht im technikbegeisterten 19. Jahrhundert, eine intensivere Auseinandersetzung findet erst wieder mit der Entwicklung der Palliativmedizin und Hospizbewegung im 20. Jahrhundert statt. „In der Literatur war der Tod immer da“, ist von Siegroth-Nellessens These, und die Dichter standen vor dem Problem, etwas darzustellen, was sie nicht kennen“. Philip Roth, der unerbittliche Analyst der US-Gesellschaft, erhielt viel Raum in ihrem Vortrag mit seinem Werk „Jedermann“, dessen namenlose Hauptfigur auf ihr Leben zurückblickt. „Kühl aber doch bewegend erzählt“, so von Siegroth-Nellessen, analysiert er die Bedeutung von Sterben und Tod ohne religiösen Hintergrund mit dem Satz „Ich ging ins Nichts, ohne es zu merken“.

Abschiede und Trauer
Ging es Roth um die Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit, so konzentrierte sich die Referentin im Mittelteil vor allem auf die literarische Verarbeitung oft autobiographischer Abschieds- und Verlusterfahrungen. Gleich fünf Abschiede muss die Hauptfigur in Judith Herrmanns Roman „Alice“ verarbeiten, erzählt in mehreren Episoden. Zu schaffen macht ihr die Leere, die der Tod hinterlässt, und ist ein „eher stilles Buch“. In eine Krise stürzt die Protagonistin in Ulla Lenzes Roman „Der kleine Rest des Todes“, als sie vom grausigen Unfalltod ihres Vaters hört. Nachdem die Fassungslosigkeit angesichts des Verlustes sie bis zur Verwahrlosung führt, fängt sie sich erst durch die Konfrontation mit dem Unfallort wieder. Gleich zweimal musste die Niederländerin den Tod ihres Lebenspartners verkraften: In „Ischa Meijer – In Margine – In Memoriam“ setzt sie sich Jahre später mit dem Tod ihres Partners, des Journalisten, Moderators und Schriftstellers Ischa Meijer, auseinander. Hier steht die Rückbesinnung auf die eigene Person am Schlusspunkt: Ich bin mehr als das, was nicht da ist“. In „Logbuch eines unbarmherzigen Jahres“ verarbeitete sie den damals erst wenige Wochen zurückliegenden Tod ihres Partners, des Politikers Hans van Mierlo. Hier stehen die Sehnsucht und der Schmerz über weitere Verluste wie der Tod der Tochter ihres Mannes im Mittelpunkt. Zurück ins Leben findet die Hauptfigur in Michael Köhlmeiers „Idylle mit ertrinkendem Hund“ (Buch für die Stadt) nach dem Tod der Tochter erst durch neue Aktivität: Die Rettung des Vierbeiners bedeutet für ihn die Überwindung der Lebensangst, symbolisiert durch das Wasser.

Die Arbeit der Engel
Das Handeln stand im Mittelpunkt von von Siegroth-Nellessens letztem Literaturbeispiel, Christoph Ransmayrs „Atlas eines ängstlichen Mannes“. Sie schilderte eine Episode in einem tschechischen Dorf, in dem ein alter Mann die „Arbeit der Engel“ tut und sich eines verfallenen jüdischen Friedhofs annimmt. „Wo waren die Engel auf dem Weg nach Theresienstadt?“, fragt die Hauptfigur, und kommt zu dem Schluss: „Vielleicht war es den Sterblichen aufgegeben, die Arbeit der Engel zu tun“, gleichzeitig der Appell der Referentin an ihr Publikum, das überwiegend aus Ehrenamtlern und Fachkräften im Alter von fünfzig aufwärts bestand. Eine der wenigen Ausnahmen war der 22-jährige Tobias Klicker: „Dieses Thema ist wichtig für uns“, betonte der angehende Altenpfleger, der von der Veranstaltung nur „durch Zufall“ erfahren hatte.

Wiedergefundene Gefühle
Eher für die Bildästhetik jüngerer Zielgruppen geeignet war der Film „A Lost and Found Box of Human Sensation“ aus dem Jahre 2010. In dem preisgekrönten Kurzfilm zeigen Stefan Leuchtenberg und Martin Wallner den Weg eines jungen Mannes, der den plötzlichen Krebstod seines Vaters verarbeitet. Trauer, Betäubung durch Sex und Alkohol, völlige Gefühllosigkeit und Lethargie, neuer Aufbruch und eine neue Liebe sind die Stationen, die in rasanten Schnitten und surrealen Bildern erzählt werden. Auch wenn am Ende die neue Liebe scheitert – es ist immer noch besser als nichts zu fühlen“, schließt die Erzählung.
Literaturfans durften sich noch auf eine Lesung aus Diane Broeckhovens „Ein Tag mit Herrn Jules“ freuen, vorgetragen von der Rezitatorin Ingeborg Semmelroth. Der Kurzfilm „Kafarnaum“ von Jasco Viefhues stellt die pflegenden Angehörigen in den Mittelpunkt: Eine junge Frau pflegt ihre krebskranke Mutter und gönnt sich gelegentliche Fluchten aus dem Alltag.

Informationen
Die „Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland“ wurde 2010 von der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, der Bundesärztekammer und dem Deutschen Hospiz- und Palliativverband verabschiedet. Ihr Text kann gegen eine Schutzgebühr von 1,50 Euro telefonisch unter 030/ 81826764 bestellt werden. Weitere Informationen und die Möglichkeit zur Unterzeichnung unter http://charta-zur-betreuung-sterbender.de
Ökumenischer Hospizdienst Köln -Dellbrück/Holweide: www.hospizdienst-koeln-dellbrueck-holweide.de/
Ökumenischer Hospizdienst im Kölner Westen: www.hospiz-koeln-west.de/Hospiz-Koeln-West
Ambulanter Hospizdienst für die Innenstadt: http://www.hospiz-koeln.de/

Text: Annette von Czarnowski
Foto(s): Annette von Czarnowski