Wenn in der sogenannten Street Photography Obdachlosigkeit thematisiert wird, dann oft in einer ästhetisierenden Weise, die das Elend irgendwie „dekorativ“ ins Bild setzt. Wohnungs- bzw. Obdachlose dienen dann höchstens dazu, der Urbanität einen edgy touch zu verleihen. Doch was geschieht, wenn Wohnungslose von Objekten zu kreativen Subjekten werden? Ein Projekt der Diakonie und der Melanchthon-Akademie, unterstützt von der Aktion Mensch, hat genau das möglich gemacht.
Im Februar 2022 begannen Klienten und Klientinnen der Wohnungsnotfallhilfe der Diakonie mit Einwegkameras zu fotografieren. Thematische Vorgaben gab es nicht, vielmehr haben die Teilnehmenden „ihr“ Thema gefunden. Jeden Monat wurden die 100 besten Fotos ausgewählt. Einige davon sind in der Ausstellung „Die Stadt aus meiner Perspektive“ zu sehen, die am 2. Februar in der Melanchthonkirche (Breniger Straße 18) in Zollstock eröffnet wurde.
„Wir möchten sichtbar machen, ermächtigen und beteiligen!“

Die Aufnahmen erzählen aus dem Alltag der Wohnungslosen, sind manchmal schwer zu ertragen, aber dennoch respektvoll und voller Kraft. „Es werden Blickwinkel sichtbar, die sonst nicht sichtbar sind“, erklärt Lena Felde, Studienleiterin der Melanchthon-Akademie. Was das Projekt bewirken soll, fasst sie prägnant in drei Stichpunkten zusammen: „Wir möchten sichtbar machen, ermächtigen und beteiligen!“
Einer der Fotografen und Fotografinnen (Künstlername „Ẑ“) war ein Jahr lang mit der Kamera in Köln unterwegs. Er wolle „den Menschen zeigen“, sagt er, und gibt zu, dass seine Aufnahmen bisweilen „brutal“ seien. Es gehe ihm um „körperliche Dinge“ und während seiner fotografischen Streifzüge seien bei ihm „viele Fragezeichen aufgetaucht“. Worauf es ihm bei seinen Bildern ankomme, sei „die Verbindung zwischen Mensch und Motiv“. Vieles erschließe sich erst auf den zweiten Blick. Dass seine Fotos nun Teil einer Ausstellung sind, sieht er eher gelassen: „Ich will immer alles gut machen. Das ist mein Anspruch. Dann bin ich happy!“
„In was für einer Gesellschaft leben wir eigentlich?“
Offiziell eröffnet wurde die Ausstellung von Studienleiterin Lena Felde und Michael Lampa. Lena Felde erinnerte sich zunächst daran, wie sie vor 15 Jahren, während ihres Studiums in Hamburg, zum ersten Mal mit dem Begriff „defensive Architektur“ in Berührung gekommen sei. Dabei handelt es sich um ein spezielles Design, das „unerwünschten Personengruppen“ den Aufenthalt an bestimmten Orten so unbequem wie möglich machen soll. „In was für einer Gesellschaft leben wir eigentlich?“, habe sie sich damals gefragt. Wer aus der Leistungsgesellschaft herausfalle, werde vertrieben und im Stadtbild unsichtbar gemacht. „Heute bin ich froh, dass ich für Organisationen arbeite, die das anders sehen!“, erklärte Lena Felde.
„Schonungslos und dennoch sensibel, und dabei absolut kraftvoll!“
Wichtig sei bei der Konzeption des Projektes gewesen, die Teilnehmenden „ihre Geschichte selber erzählen zu lassen“. Während des einen Jahres seien circa 1000 Fotos entstanden. Diese seien „schonungslos und dennoch sensibel, und dabei absolut kraftvoll!“

Fachdienstleiter Michael Lampa berichtete vom Betreuten Wohnen im Diakoniehaus Salierring, in dem bis zu sechs Personen Unterkunft finden können, und der Wohnungsnotfallhilfe. Das Diakoniehaus Salierring stellt insgesamt 23 möblierte Einzelzimmer für wohnungslose oder von Wohnungslosigkeit bedrohte Frauen und Männer zwischen 21 und 65 Jahren zur Verfügung. „Ich ärgere mich immer, wenn ich in öffentlichen Darstellungen klischeehafte Abbildungen sehe!“, monierte Lampa und wies darauf hin, dass Obdachlosigkeit kein Randgruppenphänomen sei, sondern „ein großes Thema, dass viele Menschen betrifft“. In Köln gebe es etwa 10.000 Wohnungslose und etwa 500 Menschen (hier ist es schwer, an verlässliche Zahlen zu kommen) übernachten im Freien.
Für das Thema Wohnungs- bzw. Obdachlosigkeit zu sensibilisieren, dazu möchte auch die Ausstellung „Die Stadt aus meiner Perspektive“ beitragen. Lena Felde wünscht sich, dass es nicht bei der einen Präsentation bleibt, sondern aus den Exponaten eine Wanderausstellung wird und auf weiteren Stationen noch mehr der während des Projektes entstandenen Bilder zu sehen sein werden. Im Februar lohnt sich jedenfalls noch ein Besuch in der Melanchthonkirche in Zollstock. Sowohl die Aufnahmen (Materialpreis + 50%) als auch Kalender in verschiedenen Größen und Ausführungen können erworben werden. Der Erlös kommt der Wohnungslosenhilfe der Diakonie zugute. Wer einem der Fotos in der eigenen Wohnung einen Ehrenplatz an der Wand einräumen möchte, kann sich, am besten mit einer Angabe zur gewünschten Größe des Abzuges, an Lena Felde (felde@melanchthon-akademie.de) wenden.
Foto(s): Priska Mielke