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Kleine Schritte bringen mehr als große Worte: Mikroökonomie in Entwicklungsländern. Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus beim Kirchentag

Mit stehenden Ovationen begrüßt und gefeiert wie ein Popstar war er einer der Stars des 31. Deutschen Evangelischen Kirchentages: Professor Muhammad Yunus aus Dhaka in Bangladesh, Gründer der „Grameen Bank“, Vorreiter der Mikroökonomie in Entwicklungsländern und Friedensnobelpreisträger 2006. Unter dem Titel „Keine leeren Versprechungen“ schilderte der freundliche kleine Mann mit Visionen den erfolgreichen Aufbau eines funktionierenden Wirtschaftssystems in seinem Land und diskutierte über den Stand der Dinge bei der Erreichung der „Milleniums-Ziele“, die der G8-Gipfel an der Schwelle des neuen Jahrtausends vollmundig formuliert hatte.

Kredite ohne Verträge und Sicherheiten
„Ich bin der Mann, der eine Bank gründete, ohne Ahnung zu haben, wie eine Bank funktioniert“, begann er seinen Vortrag. Das war 1976. Er überredete ein paar gut betuchte Menschen in seiner Umgebung, ihr Geld bei ihm anzulegen. Das verlieh er dann weiter an arme Menschen. Kleine Summen, „15, 20, vielleicht 30 Dollar“, aber sie halfen, eine neue Existenz aufzubauen. Die Kreditnehmer züchteten Hühner, flochten Körbe und verkauften ihre Produkte. Das verschaffte ihnen ein Einkommen. Und sie zahlten ihre Kredite zurück. Mit Zinsen. „Es gab weder richtige Verträge noch so etwas wie Sicherheiten. Aber es funktionierte.“ Heute hat seine Bank sieben Millionen Kunden, 97 Prozent davon Frauen. „Geld, an Frauen verliehen, bringt der Familie mehr Nutzen als Geld, das an Männer verliehen wird“, so Yunus‘ Erkenntnis. Und: Alle Kinder von den Menschen, die bei der Bank über Kleinkredite eine neue Existenz aufgebaut haben, gehen zur Schule. „Es wächst eine neue Generation von gebildeten jungen Menschen heran.“ Das, so Yundus, sei der größte Profit seiner Mikroökonomie.

Schöne Worte ohne Taten
Ist das Wundermittel gegen die globale Armut also gefunden? Wohl kaum, denn auch Muhamad Yunus musste einschränken, dass die Strukturen der Weltwirtschaft immer noch so sind, dass Armut nur partiell erfolgreich bekämpft werden kann. Und da kommen die G8, die großen Industrienationen, ins Spiel. Bis 2015 wollen sie die Armut weltweit halbieren. Das ist eines der großen „Milleniums-Ziele“. Davon ist man aber noch Lichtjahre entfernt, wie die Holländerin Eveline Herfkens, UN-Sonderbeauftragte für die „Milleniums-Ziele“, unumwunden zugab. „Die Staatschefs der G8 haben schöne Worte gesagt. Dann aber haben sie die Verantwortung an die Entwicklungsländer weiter geschoben.“ Diese sollten erst die Korruption bekämpfen, ein Gesundheitswesen aufbauen oder andere Voraussetzungen erfüllen, bevor geholfen werden könne. Und schlimmer noch: „Sie haben gelogen. Noch 2005 kündigten sie eine jährliche Erhöhung der Entwicklungshilfe an. Tatsächlich sind die Ausgaben in den USA, in Italien, in Japan und in Kanada zurückgegangen. In Deutschland haben sie stagniert.“ Auf die Politik setzt die burschikose UN-Sonderbeauftragte deshalb nicht. „Sie als Bürger eines G8-Staates müssen Druck machen“, appellierte sie an die deutschen Zuhörer im gut gefüllten Saal. „2015, wenn die Ziele erreicht sein sollen, hat Deutschland erneut den G8-Vorsitz!“

Es funktioniert alles über Vertrauen
Ähnliche Erfahrungen wie Muhammad Yundus in Bangladesh hat auch Bischof Mvume Dandala in Nairobi, Kenia, gemacht. Er ist Mitbegründer der „Equity Bank“, der am schnellsten wachsenden Kleinkreditbank in Afrika. „Wir haben Einlagen in Höhe von 450 Millionen Dollar, das sind ungefähr sechs Prozent aller Geldeinlagen in Kenia.“ Die Kunden, vor allem Landwirte und Kleinstbetriebe, zahlen ein bis 1,5 Prozent Zinsen, und auch die „Equity Bank“ hat die Vorteile von Frauen als Kunden für die sozialen Ziele erkannt. Sicherheiten? „Es funktioniert alles über Vertrauen.“

Armut hat immer auch politische Ursachen
Geld ist sicherlich ein Mittel, um die Armut in der Dritten Welt zu bekämpfen, „Armut hat aber immer auch politische Ursachen“, stellte Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin, fest. Menschenrechte, Demokratie, gewerkschaftliche Rechte, all das müsse in vielen Ländern erst noch erreicht werden. Und auch da seien die großen Industrienationen nicht gerade eifrig dabei, diese Ziele zu verwirklichen. Es kann aber funktionieren, stellte Eveline Herfkens fest. „In Ländern, in denen die Regierungsstrukturen einigermaßen funktionieren und die in Gesundheit oder Bildung investieren, sind die ,Milleniums-Ziele‘ fast erreicht. Warum machen dann die G8-Regierungen nicht ihre Hausaufgaben?“

Entwicklungsländer nicht bevormunden
Diese Hausaufgaben sollten aber nicht in reinen Aktionismus ausarten, schränkte Herfkens ein. „Es müssen immer die Entwicklungsländer sein, die ihre individuellen Schwerpunkte festsetzen. Es darf nicht sein, dass sie von uns bevormundet und auf bestimmte Vorgehensweisen festgelegt werden.“ Entwicklungshilfe dürfe nicht zur globalen Sozialhilfe verkommen, die armen Länder müssten eigene Strukturen und Systeme aufbauen können, um ihren Menschen ein lebenswertes Leben zu ermöglichen. Denn Armut, so Muhammad Yunus, „ist ein Zustand, der es unmöglich macht, den Schatz zu finden, den jeder in sich trägt.“

Tipp
Mit dem Yunus-Zitat „Armut ist künstlich gemacht“ hat auch die rheinische Landeskirche über den Auftritt des Friedensnobelpreisträgers beim Evangelischen Kirchentag berichtet, nachzulesen hier.

Text: Jörg Fleischer
Foto(s): Fleischer