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„Klarheit und gute Nachbarschaft – Bundesminister a.D., Jürgen Schmude, referierte vor dem Stiftungsforum Frechen über „Christen und Muslime in Deutschland“

Zum Auftakt des Stiftungsforums im März, der neuen Veranstaltungsreihe der Stiftung „Türen zum Nächsten“ der Evangelischen Kirchengemeinde Frechen, hatte Dr. Thomas Hübner, Superintendent des Kirchenkreises Köln-Süd, referiert. „Mit der Resonanz waren wir sehr zufrieden, weil das Echo der Gäste groß war“, so Dr. Evelyn Plamper, erste stellvertretende Vorsitzende des Stiftungsrates. So sei bereits die anschließende, rund neunzigminütige Diskussion sehr angerend und vertiefend verlaufen. Im Nachklang hätten sich zahlreiche Gäste, zumeist Gemeindeglieder, ausdrücklich für das neue Angebot bedankt. Dies wird sich nach dem zweiten Themenabend des Stiftungsforums nicht ändern. Erneut kamen rund vierzig Menschen in den Gemeindesaal der evangelischen Kirche. Erneut stellte sich der Referent bereitwillig und ausdauernd den zahlreichen Fragen. Bevor der ehemalige Bundesminister verschiedener Ressorts, Dr. Jürgen Schmude, über „Klarheit und gute Nachbarschaft – Christen und Muslime in Deutschland“ sprach, informierte Stiftungsratsvorsitzende Pfarrerin Almuth Koch-Torjuul noch einmal über Sinn und Zweck der „neuen und jungen Erscheinung Stiftungsforum in Frechen: „Wir wollen uns einmischen in Glaube und Gesellschaft. Damit ist es uns ernst.“ Glaube brauche das Gespräch, die Vertiefung, die genaues Hinschauen erforderten. „Wir wollen dazu einladen, mit uns aktuelle Fragen aufzuwerfen, die alle betreffen.“



„Klarheit und gute Nachbarschaft – Christen und Muslime in Deutschland“
Der Vortrag von Schmude – er amtierte von 1985 bis 2003 als Präses der Synode und Ratsmitglied der Evangelischen Kirche in Deutschland – ist gleichlautend mit dem Titel der 2006 maßgeblich von ihm mit erarbeiteten Handreichung der EKD. Nach deren Erscheinen sei es sofort losgegangen mit Lob und Kritik, auch und gerade innerhalb der Kirche. „Warum nimmt sich die Kirche dieses Themas an?“ Die Schrift sei Ausdruck einer langjährigen Entwicklung. Seit Jahrzehnten wende die Kirche sich auf verschiedenen Ebenen, in Gemeindeforen wie in Gespräche mit Verbandsvertretern den Muslimen zu. Bei diesen und anderen Veranstaltungen gehe es insbesondere darum, was die Religionsgemeinschaft und ihre Glieder für das Zusammenleben beitragen könnten. Es gelte, Probleme gemeinsam anzugehen. Der Dialog zur Verständigung müsse weiter geführt werden. Christen sollten sich weiterhin für Muslime einsetzen, wie sie es bereits etwa in Asylrechts-, Aufenthalts- und Bildungsfragen tun. Dieser Einsatz für andere folge der Einsicht, dass es für ein friedliches Zusammenleben keine Alternative gebe. „Das Miteinander ist oberstes Ziel.“



„Warum denn jetzt die Handreichung?“
Der Islam sei aufgrund verschiedener Anlässe ungebrochen Gegenstand der öffentlichen Diskussion. Gleichwohl ließen die muslimischen Verbände in Deutschland ihrerseits eine Vertiefung vermissen. „Aber es dient dem Zusammenleben nicht, offene Fragen ruhen zu lassen.“ So stehe eine abschließende Antwort auf die Frage etwa nach dem islamischen Ziel in Deutschland, dem muslimischen Rechtsverständnis noch aus. Es höre sich gut an, wenn Vertreter beider Seiten sagten, der Dialog sei auf einem guten Weg. Aber Fragen würden immer wieder vertagt. Es sei erforderlich, Marken zu setzen. Dies leiste die Handreichung der EKD. Sie beziehe deutlich Position, versuche Klarheit zu schaffen. Dass die Veröffentlichung von Menschen in der Kirche kritisch aufgenommen werde, führe aber auch zu weiterem Klärungsbedarf gegenüber den eigenen Gliedern und Teilen der Öffentlichkeit.



„Dass die Religionsfreiheit für alle gelten muss, ist evangelische Überzeugung.“ So trete die evangelische Kirche nachdrücklich dafür ein, dass Muslime Moscheen für Gottesdienst und Gebet bauen können. Also für Bauvorhaben, die fast überall umstritten seien. Andererseits könnten Christen erwarten, dass Muslime in islamischen Ländern, in denen Christen und Andersgläubige die Religionsfreiheit verweigert werde, ihren Einfluss ausüben. Die in Deutschland zunehmenden Beschränkungen, ob sie nun den islamischen Gebetsruf oder kirchliches Glockengeläut beträfen, so Schmude, könnten schließlich auf eine ganz andere Weise zur Erfüllung des Gleichheitsgrundsatzes führen. Nämlich, dass allen Religionsgemeinschaften hierzulande etwas genommen werde. Eigentlich aber sei die gelegentlich von kirchlicher Seite geäußerte Konkurrenzangst gegenstandslos. „Beide großen christlichen Kirchen sprechen sich dafür aus, einen Religionsunterricht für Muslime einzuführen“, sagte Schmude. Aber dafür bedürfe es einer Religionsgemeinschaft, und nicht allein eines (islamischen) Interessenverbandes. Die Handreichung verschweige ebenso wenig Irrwege und schuldhaftes Versagen der christlichen Kirche gegenüber dem Islam, von den Kreuzzügen bis in die Gegenwart. „Dies gilt es kritisch aufzuarbeiten.“



„Abstriche vom Verfassungsgebot der Gleichberechtigung darf es nicht geben“,
ging Schmude auf die Stellung der Frau im Islam ein. Zugleich müssten wir uns fragen lassen, wie es in der Praxis mit der Gleichberechtigung bei uns aussehe. Fragen, von welcher Seite auch immer, dürften nicht als ungehörig beurteilt werden. Sie spiegelten eine ganze Reihe von Bedenken, die man zwischen Partnern unbedingt äußern dürfe und müsse. Zur Schaffung von Rahmenbedingungen sei der Dialog unerlässlich. Ziel sei die Integration der Migranten in die Gesellschaft. Dabei dürften keine Abstriche gemacht werden. „Die Migranten haben sich dieses Land gewählt. Sie haben sich für ein christlich geprägtes Land entschieden“, sprach Schmude den christlichen Ursprung des Wertebestandes in Deutschland und anderen europäischen Staaten an. Kirchen oder Christen besäßen deswegen kein Vorrecht. Vielmehr müssten sie sich wie alle anderen an der Entwicklung beteiligen. Die evangelische Kirche strebe gemeinsam mit den Muslimen ein Eintreten für die Gesellschaft an und fordere die eindeutige Bejahung des Staates.




In der Diskussions- und Fragerunde
ging es zunächst um Schmudes Bewertung des Karikaturenstreits und der „Kopftuch“-Diskussion. Auch um das Problem einer „schleichenden Unterwanderung durch den Islam“, wie sie ein Besucher befürchtete. „Wenn wir in unsere Gesellschaft schauen, droht dort keine Gefahr von der Breite der Muslime“, so Schmude. „Was es da an Einzelfällen gibt, darf man nicht verallgemeinern.“ In Deutschland hätten muslimische Verbände den Koordinierungsrat gebildet. Es seien religiöse, konservativ einzustufende, gewaltfrei agierende Verbände. „Aber wen vertreten sie?“ Höchstens dreißig Prozent der Muslime hierzulande stünden mit diesen Verbänden in Kontakt. Die Mehrheit der Muslime halte sich von diesen Verbänden fern. Sie seien längst bei uns angekommen, hätten viel zu verlieren. „Nein. Unterwanderung haben wir nicht.“

Auf die Frage nach der Form einer Diakonie, eines diakonischen Ansatzes bei den Muslimen, antwortete Schmude, dass vergleichbare organisatorischen Strukturen im Islam nicht vorhanden, er also auf diesem Gebiet nicht handlungsfähig seien. Es sei auch von deren Seite nicht versucht worden, solche aufzubauen.
Von den Gästen wurde noch einmal das unterschiedliche Gottesverständnis im Islam und Christentum betont. Schmude wiederholte, dass es bei diesem Thema nichts schön zu reden gäbe.

Weiter schilderten Besuchende ihre persönlichen Erfahrungen mit der fehlenden Gleichberechtigung der muslimischen Frau. Was sei zu tun? Schmudes Reaktion: Man dürfe nicht aufgeben. Selbst dann nicht, wenn von der anderen Seite Gespräche darüber abgeblockt würden.

Einige Fragen hatten konkreten lokalen Bezug. So ging es etwa darum, ob die Errichtung einer Moschee mitten in Frechen eine Bedrohung darstellen oder sie in fünfzig Jahren zu einem selbstverständlichen Bestandteil der Tradition erwachsen sein könne. Nein, eine Moschee sei gewiss keine Bedrohung, sagte Schmude entschieden. Ein Moscheebau alleine mache aber auch keine Tradition, er sei viel mehr eine Verpackung. Wichtig sei, was daraus erwachse.



Ausblick
Der dritte Themenabend in der Reihe findet statt am Montag, 21. Mai, 20 Uhr. Dann referiert im Gemeindesaal der evangelischen Kirche Frechen, Hauptstraße 209, der Hamburger Journalist Thomas Bastar über „Schärft ein Kirchentag das soziale Gewissen?“.




Text: Engelbert Broich
Foto(s): Broich