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Kirchentag: Großrabbiner und ehemaliger Mufti ermahnten, den Dialog zwischen Juden und Muslimen im Sinne des Friedens nicht abreißen zu lassen

Es war eine Hommage an den Dialog und die Begegnung. Die Podiumsdiskussion zwischen Soheib Bencheikh, ehemaliger Mufti von Marseille und Albert Guigui, Großrabbiner aus Brüssel, war von Harmonie geprägt. Die Männer wurden nicht müde zu betonen, wie wichtig es ist, einander zu begegnen und versuchen zu verstehen, benannten aber auch deutlich Schwierigkeiten, die es zwischen den beiden Religionen gibt.

„Wir brauchen nicht immer Christen als Vermittler und Schiedsrichter“
Guigui glaubt, die Ursache für das erste Verbrechen der Menschheit sei der fehlende Dialog gewesen. „Deshalb ist es wichtig, dass wir miteinander sprechen. Nur dann haben wir eine Chance, uns zu verstehen.“ Selbst wenn zurzeit noch kein Ergebnis abzusehen sei, so sei doch eine Saat gesät worden, „irgendwann wird sie aufgehen.“
Bencheikh pflichtete ihm bei. Bis er 23 Jahre alt war, habe er keinen einzigen Juden gesehen. Erst in Frankreich traf er einen. Das sei so neu für ihn gewesen, dass er ihn fast berührt hätte, um sich zu überzeugen, dass er echt sei. Es spreche vieles dafür, sich mit Juden zu treffen, es gebe auch viele Gemeinsamkeiten. Schließlich seien der Islam und das Judentum beide monotheistische Religionen und interpretierten ihre Texte mit der „Intelligenz des Herzens“. „Wir brauchen nicht immer Christen als Vermittler und Schiedsrichter“, betonte Bencheikh. Und er sprach sich gegen einen „interreligiösen Tourismus“ aus. Nicht immer der selbe Kreis solle miteinander sprechen, vielmehr sei ein Dialog auf breiter Basis nötig. Der ehemalige Mufti hatte das Publikum im gut besuchten Saal des Zentrums für Juden und Christen in Gürzenich auf seiner Seite, als er sagte: „Jeder sollte Botschafter seiner Gemeinschaft sein, in dem Bestreben, friedlich auf diesem schönen Planeten zu leben.“

„Dialog fortsetzen!“
Allerdings befürworten offenbar nicht alle Anhänger des Judentums den interreligiösen Dialog, sagte Guigui. Einige lehnten ihn ab, um nicht Zeit zu verschwenden und sich auf die eigene Glaubensgemeinschaft zu konzentrieren. Der Großrabbiner sprach sich aber deutlich dafür aus, den Dialog fortzusetzen. „Wir entdecken uns dabei selbst. Es ist eine persönliche Bereicherung für mich und für die Gesellschaft.“ Schließlich seien Juden und Muslime beide Menschen, die dasselbe bei Glück und Unglück empfänden, stimmte Bencheikh zu.

Hintergründe
So viel Eintracht und Harmonie war dem Publikum dann doch zu seicht. Die Besucher wollten wissen, warum es eigentlich zu Problemen und Konflikten zwischen Muslimen und Juden komme. Das habe theologisch-historische und politische Gründe, sagte Bencheikh. Die Texte im Koran erwähnten Christentum und Judentum. In der hebräischen Schrift indes gebe es keinen Hinweis auf den Koran. „Die Texte aller Religionen müssen neu gelesen werden.“
Die Differenzen politischer Natur beträfen meistens die Probleme im Nahen Osten. „Für mich als arabischen Muslimen gibt es Beherrschte und Beherrscher, Besatzer und Besetzte“, erklärte Bencheikh. Menschen jüdischen Glaubens sähen das anders.

„Es geht nicht darum, einen Friedhofsfrieden herzustellen“
Guigui entgegnete, er fühle mit beiden Religionen im Nahen Osten, wenn sie Verluste erleiden. Es sei wichtig, die Schwierigkeiten zu benennen. „Es geht nicht darum, einen Friedhofsfrieden herzustellen, wo jeder für sich ruht, sondern jeder sollte seine eigene Werte kennen und die des anderen anerkennen“, sagte Guigui und zog den Vergleich mit einem Gemälde. Ein einfarbiges Gemälde sei langweilig. Viel schöner sei ein Gemälde mit verschiedenen Farben, die miteinander harmonierten. „Wenn wir Achtung und Respekt voreinander haben, können wir ein solches Meisterwerk erstellen.“ Am Ende sprachen beide ihre Bewunderung füreinander aus. „Herr Guigui ist ein furchterregender Mensch“, witzelte Bencheikh. „Wenn ich noch eine Stunde mit ihm hier verbringe, werde ich mich noch zum Judentum bekennen.“

Diesen Worten schloss sich eine Podiumsdiskussion an, die sich ebenso um den interreligiösen Dialog drehte. Bekir Alboga, Beauftragter für den interreligiösen Dialog von der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib), Barbara Rudolph, Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen aus Frankfurt und Netanel Teitelbaum, Rabbiner von der Synagogengemeinde Köln, stellten das Projekt „Weißt du, wer ich bin?“ vor.

„Weißt du, wer ich bin?“
Erklärtes Ziel des Projektes sei, dass an 100 Orten 100 Menschen 100 Tage miteinander über den Glauben sprächen. Nur so könnten auch unbequeme Fragen gestellt werden. Die Teilnehmer der Debatte, die von Günther Bernd Ginzel moderiert wurde, räumten aber auch ein, dass es immer noch Blockaden gebe. Den Gästen brannten vor allem aktuelle Themen unter den Nägeln, etwa die Aussage des jüdischen Schriftstellers Ralf Giordano, der eine voll verschleierte muslimische Frau als „menschlichen Pinguin“ bezeichnet hatte. Zu beleidigen und nicht inhaltlich zu diskutieren, sei wenig förderlich, sagte Teitelbaum. „Wenn wir in Frieden leben wollen, müssen wir uns vielleicht nicht akzeptieren, aber mindestens respektieren.“

Text: Bianca Wilkens
Foto(s): Wilkens