You are currently viewing Kirche mal ganz anders: „Licht-Nacht“ in der Christuskirche mit Gespräch, Musik, Lesung und Lichtshow
Vikar Simon Manderla (l.) im Gespräch mit Ex-Wise-Guys-Sänger Clemens Tewinkel.

Kirche mal ganz anders: „Licht-Nacht“ in der Christuskirche mit Gespräch, Musik, Lesung und Lichtshow

Einen besonderen Abend, eine besondere Nacht erlebten insgesamt gut hundert Besuchern und Besucherinnen in der Christuskirche in Köln-Dellbrück. „Es ist hier heute alles anders“, stellte Vikar Simon Manderla in seiner Begrüßung ein „tolles Programm“ unter dem Titel „Licht-Nacht“ in Aussicht. Sprechen über und hören von Licht, Schatten und Dunkelheit. Und die Christuskirche selbst „als einen Ort voller Licht und Leben“ erfahren. „Licht und Nacht“, so Manderla, das Thema passe ganz gut in diese wechselhafte Zeit mit positiven bis hin zu schrecklichen Nachrichten. „Es geht darum, ein bisschen Licht in die Dunkelheit zu bringen, vielleicht auch in die Welt.“

Den vielen Zuhörenden und Zuschauenden jedenfalls sagte der Mix aus Gespräch, Musik, Lesung und Lichtshow sehr zu. Deren Rückmeldungen fielen durchweg positiv aus. Toll, großartig, professionell lauteten nur einige der Kommentare. Mit stimmungsvoll bis einzigartig wurde die Atmosphäre charakterisiert. Schon zu Beginn war den Machern und Macherinnen mit stürmischem Applaus gedankt worden. Laut Manderla haben ein knappes halbes Jahr die Küsterin, Presbytern und Presbyterinnen, Jugendliche und andere Mitglieder der Evangelischen Kirchengemeinde Köln-Dellbrück/Holweide diese Veranstaltung vorbereitet. „Noch viel mehr gemacht“ hätten sechs junge Menschen, nannte der Vikar und Projektleiter die Namen Emely, Felix, Mats, Nora, Rafael und Simon. Fünfmal habe sich das Kernteam getroffen und überlegt, wie das Vorhaben insgesamt und im Detail gestaltet werden solle – „etwa wann wo welche Lichtfarbe zu sehen ist“. Dafür hätten die Jugendlichen unter anderem am PC 3D-Modelle zur Computersteuerung erstellt.

Zum Auftakt interpretierte der Jugendchor Singaholics unter Leitung und mit Klavierbegleitung von Kantorin Mechthild Brand unter anderem das Gewinnerlied des Eurovision Song Contest 1997 „Love Shine A Light“ von Katrina and The Waves. Zudem brachte sich eine Kerze ins Spiel. Aus einem Karton befreit, bat sie, dass man sie anzünde und ihr zu festgelegten Zeiten zuhöre. Und so sprach die erleuchtete und zudem mit einem Lichtkegel inszenierte Kerze mit weiblicher Stimme jeweils ruhig und klar fast meditative Worte wie beispielsweise: „Ich bin die Kerze und leuchte in der Nacht. Ich bin anders, als elektrisches Licht, manchmal erscheint mein Licht wärmer… Du brauchst nur ein Streichholz. Wann hast du zuletzt ein Streichholz angezündet… Meine Aufgabe ist es, in dein Leben zu leuchten.“

Ein zauberhaftes Gute-Nacht-Lied

Dann lud Manderla Clemens Tewinkel zum Gespräch. Der Mitbegründer des sehr erfolgreichen Kölner A-cappella-Ensembles Wise Guys gab sich authentisch, offen, erfrischend humorvoll – und auch musikalisch voll auf der Höhe. Einleitend interpretierte er, sich am Klavier begleitend, einen Song über einen „richtig fiesen Nerd“, der unterm Sternenhimmel wissenschaftlich ambitioniert eine romantische Zweisamkeit sprengt. Zum Ausgang sang er als „Weltpremiere“ ein zauberhaftes Gute-Nacht-Lied.

Tewinkel, Jahrgang 1970, verließ die 2017 aufgelöste Vokal-Gruppe bereits Ende 2008. In der Christuskirche blickte er auf die Anfänge der Wise Guys als Schülerband am Hildegard von Bingen-Gymnasium zurück. Er schilderte seine Erfahrungen mit dem Erfolg und seine Überlegungen rund um seinen Ausstieg. Durch eine Folge von kuriosen Zufällen sei man zur bundesweit erfolgreichsten A-cappella-Band geworden. Zwar sei schon bei einem frühen Schulkonzert ein A-cappella-Stück gut angekommen. Aber es habe eine Weile gedauert, „bis wir die Instrumente nach und nach weggelegt haben“. Dass mit den Jahren dann alles so groß geworden sei, sei nicht geplant gewesen.

Entgegen der Vermutung Manderlas habe es nicht den einen Durchbruch-Moment gegeben, so Tewinkel. „Vielmehr hatten wir jedes Jahr zwanzig Prozent mehr Besucher.“ Der Podiumsgast erinnerte unter anderem den Moment, als er mit seiner Frau, damals Wise Guys-Managerin mit abgeschlossenem Musikstudium, über die Deutzer Brücke mit Dom- und Museumsblick fuhr und zu ihr sagte: „Wenn das so weitergeht, könnten wir erfolgreich werden. Vielleicht singen wir mal in der Philharmonie“. Sie habe ihn schallend ausgelacht. „Jahre später hat sie den Vertrag unterschrieben für unser Konzert in der Philharmonie.“ „Und es wurde immer mehr. Dabei habe ich nie vorgehabt, das hauptberuflich zu machen.“ Gymnasiallehrer habe er werden wollen. Zudem sei er wirklich ein ganz schlimmer Nerd. „Das ist mein Ding.“ An der Uni Köln studierte Tewinkel Physik und Mathematik, an der Kölner Musik-Hochschule Schulmusik für die Sekundarstufe I und II. „Tatsächlich habe ich in den Lehrerberuf kurz reingeschnuppert und dann entschieden, doch kein Lehrer zu werden.“ Noch in der Zeit bei den Wise Guys hängte er ein Informatikstudium an der Fernuni Hagen dran. Das habe super funktioniert, weil es auf Tourneen relativ viel „tote“ Zeit gebe.

Tewinkel: „Ich habe mich dann durchgerungen zu gehen“

Aber irgendwann sei die Frage aufgekommen, was er beruflich weitermachen solle. Die Wise Guys seien immer erfolgreicher geworden und wahrscheinlich, so seine Gedanken, „werde ich nie wieder in einem Beruf so viel Geld verdienen“. So habe er sich entschieden, erst mal im Vollzeitjob als Musiker weiterzumachen. Ob ihm das Singen nicht langweilig geworden sei, fragte Manderla. „Nein, das Singen war schon toll.“ Und man könne schon fragen, weshalb er denn mit fast 39 Jahren aufgehört habe. Trotz des Erfolges habe er Torschlusspanik bekommen, nannte er das Hauptargument. Mitgründer Eddi (Edzard Hüneke) habe immer gesagt, „er macht das auf keinen Fall ein Leben lang. Daniel Dickopf, der die ganzen tollen Sachen geschrieben hat, sagte, wenn Eddi aufhört, höre ich auch auf“, verglich er die Situation mit einer „tickenden Zeitbombe“. Leider sei sein Vorschlag abgelehnt worden, statt 170 Konzerte im Jahr „irgendwie nebenher“ nur noch dreißig bis fünfzig zu singen. „Ich habe mich dann durchgerungen zu gehen.“ Dies seien aber nur zehn Prozent der ganzen Geschichte, relativierte Tewinkel. „Es war viel komplizierter.“

Selbstverständlich sei es ein Schock für die Gruppe gewesen. Denn der Erfolg der Wise Guys habe darauf basiert, „dass wir als Gruppe so gut funktioniert haben“. Er beschrieb das Ensemble als eine Ehe zu Fünft. Da gehe eine Trennung nicht ohne Schmerzen ab. Trotz des angespannten Verhältnisses und trotz der Reduzierung persönlicher Kontakte mit den ehemaligen Kollegen über Jahre, habe er den Fortgang des Ensembles verfolgt. Im Oktober wolle er mit Eddi sogar wieder auf die Bühne gehen.

Wie fühlt es sich an, wenn so viele Menschen einen bejubeln, wollte Manderla wissen. „Das ist natürlich toll, aber auch anstrengend.“ In jedem Fall sei es ein interessantes Phänomen. Und je mehr Menschen, desto anstrengender, zumindest für ihn. Ein Beispiel: Nach Ende des Konzerts mit 70.000 Besuchenden während des Deutschen Evangelischen Kirchentages 2007 in Köln auf den Poller Rheinwiesen seien seine Kollegen zehn Zentimeter über dem Boden geschwebt. Er habe vor allen Dingen Erleichterung verspürt. „Ich habe das immer nüchtern behandelt.“ Und er sei froh gewesen, dass dieses Open-Air-Konzert, das eine fragile akustische Angelegenheit dargestellt habe, so gut über die Bühne gegangen sei. Tewinkel sprach auch über die Routine im Musikeralltag. „Natürlich immer mit der Herausforderung, die Leute zum Toben zu bringen. Wir haben es fast immer geschafft, die Leute zum Aufstehen zu bewegen.“ Das habe die Gruppe als sportliche Herausforderung betrachtet.

Nein, so wirklich gelitten habe er nicht unter dem Tourleben, bekannte Tewinkel. Als eine potentielle Schattenseite beschrieb er jedoch die Gefahr, dass einem der Erfolg zu Kopf steige. Er habe erlebt, dass dieser die Leute verändere, nicht unbedingt zum Besseren. Es sei schwer, sich dem zu entziehen. Wenn man dem widerstehen könne, gebe es nicht so viele Schattenseiten. „Es war schon richtig geil“, konnte Tewinkel glaubhaft versichern.

„Ich würde im Rückblick auf die Zeit bei den Wise Guys nicht viel anders machen“, erwiderte Tewinkel nach längerem Nachdenken auf Manderlas entsprechende Frage. Es gebe zwar ein paar Dinge, aber darüber wolle er nicht reden. Seinen Abschied betreffend habe er den richtigen Zeitpunkt gewählt. Heute arbeitet der dreifache Vater hauptberuflich bei einer Kölner IT-Firma. Nebenberuflich, quasi als Hobby, bietet er Workshops für Chöre und kleinere Ensembles. „Nicht, damit sie besser singen, das können die meisten sehr gut.“ Vielmehr arbeite er mit ihnen an deren Bühnen-Präsenz, daran, bei Auftritten besser auszusehen.

Lichtshow „Ein Licht in uns“

Auf das erhellende Eröffnungsgespräch folgte nach einer Stärkungs- und Erfrischungspause Musik vom Duo Margo. Nina Ruchatz (Stimme, Klavier) und Holger Ruchatz (Stimme, Gitarre) zogen die Gäste mit Jazz und Pop in ihren Bann. Nach der gerne genutzten Möglichkeit, die dunkle Christuskirche mit Schwarzlichtlampen auf eigene Faust zu erkunden und vom Kirchturm auf das Veedel zu schauen, las der vielseitige Kölner Autor und Drehbuchschreiber Christian Schnalke Passagen aus seinem berührenden wie ermutigenden aktuellen Roman „Louma“. Zudem ging Schnalke, Jahrgang 1965, ausführlich ein auf Fragen aus dem Publikum zur Entstehung und Motivwahl seines Buches über eine von Licht und Schatten geprägte Familienbande. Den Abschluss bildete die von Felix konzipierte musikalische Lichtshow „Ein Licht in uns“. In dieser tanzten ab Mitternacht für etliche Minuten bunte Lichter über die weißen Innenwände, und bildete sie mit ihren Farben einen deutlichen Kontrast zum nächtlichen Dunkel. Zum Schluss schmückte ein Sternenhimmel das Gewölbe. Minutenlang honorierten die Besuchenden mit „stehenden Ovationen“ diese phänomenale Darbietung. Einige von ihnen nutzen bis zur Schließung der Kirche gegen halb eins die einkehrende Stille.

Resümee: „Richtig zufrieden“

„Richtig zufrieden“ zeigte sich Manderla in seinem Resümee über die Veranstaltung im August. „Ich bin positiv überrascht, wie gut alles gelaufen ist“, dankte er insbesondere dem engagierten, ehrenamtlichen Team aus jungen Erwachsenen. Gefreut hat ihn sehr, dass zwei der Jugendlichen, die ursprünglich früher zu einem Geburtstag wechseln wollten, trotzdem bis zum Schluss geblieben sind. Und bei dem zum Ende der Nacht morgens um halb sechs gestarteten Gottesdienst zählte Manderla inklusive der Choralschola-Mitglieder einen kleinen Kreis von dreißig Personen.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich