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Kirche ein zeitgemäßes Gesicht geben

Am Vorabend der 41. Missionale in Köln hat im Solution Space am Dom das Missionale-Atelier Premiere gefeiert. Zeitlich und räumlich getrennt, war es dennoch eng verknüpft mit der zentralen Veranstaltung in der koelnmesse. Dort ging es unter dem Motto „… weil es weiter geht" um Aufbruch, Stärkung, Hoffnung, Veränderung und Ermutigung zu missionarischer Gemeindearbeit. Die Idee zum Atelier-Angebot mit dem Titel „Wie hältst Du´s mit der Frustration?“ entstand innerhalb eines Teams aus Mitgliedern und Beratern des Leitungskreises der Missionale, darunter auch die Pfarrer Sebastian Baer-Henney und Johannes Heun.

„Wir haben darüber nachgedacht, wie die Missionale entstanden ist – um Menschen im Aufbruch zusammenzubringen“, erklärte Baer-Henney die Motivation. Man habe Menschen, „die heute an ihren Orten Aufbrüche ganz konkret und innovativ voranbringen“, die aber bei der Missionale nicht „auftauchen“, ansprechen und mitnehmen wollen, so der Pfarrer aus dem Evangelischen Kirchenkreis Köln-Rechtsrheinisch. Zudem ist er mit dem Aufbau des Gemeindegründungsprojekts „Die Beymeister“ betraut. „Was ist die Ur-Idee? Wie kann man andere Menschen dazu holen? Wie bekommt man die innovativen Potentiale in die Missionale hinein, als alternatives Modell?“, fragte Landespfarrer Christoph Nötzel, Leiter des Amtes für Gemeindeentwicklung und missionarische Dienste (gmd) der Evangelischen Kirche im Rheinland.

„Es geht um gemeinsame Gestaltungsformen von Glauben, von Gemeinschaft“, so der Missionale-Pastor Nötzel. Wie das Gemeindefestival wurde auch das Atelier ökumenisch durchgeführt. So kamen im Solution Space rund sechzig haupt- und ehrenamtliche Mitarbeitende, darunter Gemeindepädagoginnen und -pädagogen, Pfarrerinnen und Pfarrer, aus evangelischen, katholischen und freikirchlichen Gemeinden aus allen Richtungen der Republik zusammen. „Zu teilen, was uns trägt“, nannte Baer-Henney das Grundverständnis der Teilnehmenden. „Sie – Pioniere des Neuanfangs – verbindet das gemeinsame Interesse, Kirche ein zeitgemäßes Gesicht zu geben, der Wunsch, Kirche für Gott und die Menschen zu gestalten.“ Und dass „der Glaube in seiner befreienden Wirkung spürbar wird“.

„Wir sind hier, um uns gegenseitig klug zu machen und voneinander zu lernen“, begrüßte Baer-Henney die Teilnehmerinnen und Teilnehmer. In der Veranstaltung solle es auch um den Freiraum gehen, um die Entfaltung, die Erprobung von Kreativität. „Wer in der Kirche aufbricht, stößt immer wieder auf Frustmomente“, vermutete der Pfarrer die Existenz einer systemischen Frustrationsautomatik. Dem wollen man nachspüren, leitete er zum Vortrag von Dr. Frank Berzbach über. Berzbach, Jahrgang 1971, Katholik, unterrichtet Psychologie an der ecosign Akademie für Gestaltung sowie Kulturpädagogik an der Technischen Hochschule Köln. „Die Kunst ein kreatives Leben zu führen“ lautet eines der Bücher des Autors.

In seinem ausführlichen, mit humorigen Formulierungen gespickten Vortrag spürte Berzbach insbesondere der Verbindung von Kreativität und Frustration nach. Er erzählte von seinem individuellen Umgang mit dem Thema, seinem Versuch einer Wahrnehmungsbeschränkung „für mich als Autor“. Er versuche ein zufriedener Außenseiter zu sein, in seiner Nische sei er frei. Ein allgemeingültiges Rezept wollte und konnte er aber nicht ausstellen. Alles, was Kreative tun würden, sei Vorbereitung für das Schöpferische. Kreativität sei ganz einfach: „Ideen haben wir alle. Die Realisierung ist das Problem. Daran scheitern die meisten.“ Es gelte, im Prozess der Realisierung eine gesunde Intoleranz gegenüber Bremsern und Bedenkenträgern zu entwickeln, ohne zum Hassprediger zu werden. Frustration als elementarer Teil von Kreativität drohe von innen wie außen. Frustration habe stets etwas mit enttäuschter Erwartung an sich selbst zu tun, sagte der Autor. „Unsere Verhaltensmuster sind relativ stabil.“ Frustration von außen verband Berzbach mit Schuldzuweisungen an andere, beispielsweise an große Institutionen und Organisationen wie es auch Kirchen seien. Dabei ziele ein systemisches Eigenleben von Organisationen auf den Erhalt der Strukturen.

„Wir können die Strukturen kaum erkennen oder wir sind Störenfriede.“ Man wolle ein Ziel erreichen, tue es nicht, aber könne den Grund nicht ausmachen, erzählte Berzbach von so genannten „bodennah gespannten Fallstricken“. Die Infrastruktur von Organisationen, von Kirchen, Parteien, Universitäten oder Konzernen schränkt Freiheiten oft ein. „Sie modernisiert sich nicht von selbst“, sagte der Wissenschaftler. Bestenfalls schütze sie vor albernen Moden. Im schlechtesten Fall erkenne sie nicht die „neue Zeit“. Menschen stellen aus seiner Sicht Sinnfragen, Strukturen hingegen nicht. Diese zu verändern, bedeute eine lebenslange Herausforderung. „Wir sehen viele Veränderungen nicht“, riet Berzbach, stärker auf sich selbst und die Umgebung zu achten. Wer auf den Fallstricken zu balancieren versuche, komme nicht so oft zu Fall.

Das Missionale-Atelier als Erprobungsabend und Modernisierung der Missionale war nicht nur geprägt von dem anregenden Vortrag Berzbachs. Insbesondere diente es dem intensiven Austausch, der gegenseitigen Inspiration und Stärkung. „Gegen den Frust für die Kreativität und eine Kirche von morgen“, wie Baer-Henney formulierte. Gespräche mit bekannten und neuen Gesichtern wurden geführt, etwa über den Glauben, über Arbeitsfelder und -bedingungen, über geplante und bereits entwickelte Projekte. „Entscheidendes passiert im Austausch“, blickte Nötzel auf die kleineren wie größeren Grüppchen, die sich bei untermalender Musik von Janik Lill in wechselnder Zusammensetzung unterhielten. „Kreativität spielt sich in der Begegnung ab.“ Aufbruch in der Kirche benötige Ermutigung, betonte Nötzel. „Es wird deutlich: ich bin nicht allein, das wird von anderen mitgetragen. Ermutigung und Vernetzung sind ganz zentral und wichtig.“

Es brauche solche Orte der Ermutigung, damit die Aufbrechenden Energie tanken könnten, bekräftigte Baer-Henney. Treffen wie diese „schaffen und befördern Netzwerke für die Herausforderungen, vor denen wir stehen“. Zahlreich wurde das Angebot einer konkreten Praxis-Beratung durch Bob und Mary Hopkins wahrgenommen. Baer-Henney stellte sie als die englischen Pioniere der „Anglican Church Planting Initiatives“ vor, als ausgewiesene Experten für Gemeindegründungs-Initiativen und neue Gemeindeformen. Seit dreißig Jahren seien sie in „kirchlicher Erneuerung“ unterwegs. Gespannt zeigte sich Baer-Henney darauf, wie das Missionale-Atelier im Nachklang in den innovativen Kreisen weiter wirkt.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich