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„Kinder – warum nicht?“ Im „Zentrum Liebe“ suchten Familien- und Erziehungsexperten Antworten darauf, was man gegen sinkende Geburtenrate tun kann

Der ehemalige Bundeskanzler Konrad Adenauer hatte noch behauptet, „Kinder kriegen die Leute immer“. Deshalb sei die Familienpolitik vor Jahren auch eher Nebensache gewesen, sagte Andrea Milz, Vorsitzende des Familienausschusses im Landtag Nordhrein-Westfalen. Doch inzwischen seien Kinder nicht mehr selbstverständlich. In Deutschland liege die Geburtenrate bei 1,3 Kinder und damit im Vergleich mit den wichtigsten Industrienationen am unteren Ende der Skala. Das hänge vielfach mit der heutigen Einstellung zu Kindern zusammen. „Früher wurde gratuliert. Heute heißt es: Behältst Du das Kind?“, sagte Milz.



Der „Bumerang kommt zurück“
Finanzielle und berufliche („die Berufstätigkeit gilt als identitätsstiftend, Elternschaft indes nicht“) Gründe sprächen oft dagegen, Kinder zu bekommen. Dass die Bindungen an einen Partner heute nicht mehr verlässlich seien, spiele aber auch eine Rolle und der Verlust persönlicher Freiräume, da schließlich das Kind in den ersten Jahren die komplette Aufmerksamkeit fordere. Die derzeit vielfach diskutierten fehlenden Betreuungsmöglichkeiten für Kinder hingegen seien seltener ausschlaggebend bei der Entscheidung gegen den Nachwuchs. Die Entscheidung für ein Kind müsse schnell gefällt werden: Weil die Ausbildung schon viel Zeit in Anspruch nehme und ein Kind unter Umständen mit einem Berufsziel kollidiere, blieben den Frauen nur etwa fünf bis acht Jahre, in denen das Kind in die Lebensplanung passen könnte. Das heißt: Je höher entwickelt ein Land sei, desto geringer die Geburtenrate und desto höher die Anzahl älterer Menschen, folgerte Milz. „Der ökonomische Reichtum wurde in den Industrieländern also mit demografischer Instabilität erkauft.“ Und jetzt kommt der Bumerang offenbar zurück: Weil es immer weniger junge Menschen gebe, schrumpfe das Wachstum. Die einzigen Menschen, die viele Kinder bekämen, seien die mit Migrationshintergrund. In Großstädten zeichne sich schon jetzt ab, dass die Menschen, deren Eltern aus dem Ausland kommen, in zehn Jahren die Mehrheit der Bevölkerung stellten.

Viele Hindernisse erschweren das „Ja“ zu Kindern
Um die schrumpfende Bevölkerung aufzuhalten, will Milz Gesellschaft, Politik, Wirtschaft und Kirche in die Pflicht nehmen. Die CDU-Abgeordnete hielt den Zuhörern den Spiegel vor, zeichnete das erschreckende Bild nach, wie unfreundlich die Menschen etwa auf quengelnde Kinder in der Straßenbahn, im Museum oder Restaurant reagierten. „Kinderlärm ist für die Menschen keine Zukunftsmusik.“ Im Gegenteil: Viele schalteten Anwälte ein, um gegen die Einrichtung von Bolz- und Spielplätzen vorzugehen. „Dadurch vergeht doch dem letzten Kinderfreund die Lust auf Nachwuchs“, kritisierte sie. Auch die Arbeitgeber machten es nicht einfach, dem Kinderwunsch nachzukommen. Vor allem junge Männer, die es eigentlich satt hätten, der Ernährer und Arbeitende in der Familie zu sein, könnten vielfach ihre Vaterrolle wegen der ablehnenden Haltung der Arbeitgeber nicht verwirklichen. Milz glaubt, das sei auch der Grund dafür, dass junge Männer von Familiengründungen immer weniger wissen wollen und verwies auf die Befragung eines Freizeitforschungsinstituts. Danach finden von 2000 Personen ab 14 Jahren 43 Prozent (2003 noch 34 Prozent) der Männer Sport, Hobbys und Reisen wichtiger als Familie.
Wer sich dennoch für eine Familie entscheide, müsse oft in Kauf nehmen, langsamer Karriere zu machen als kinderlose Kollegen. „Die Unternehmen haben einen entscheidenden Anteil daran, das Ja zum Kind zu erleichtern.“ Milz nannte zahlreiche Möglichkeiten zur Unterstützung von berufstätigen Eltern: Gleitzeit, Teilzeitarbeit, Kinderbetreuung im Betrieb, Weiterbildung während der Elternzeit. Einige Betriebe kauften sogar Plätze in Kindergärten ein. Solche und andere Firmen, die Mütter und Väter in der Elternzeit und Familienphase unterstützten, hätten erkannt, dass sie von zufriedenen Eltern profitierten. „Denn es nimmt den Druck, und Krankheits- und Fehltage gehen um 30 Prozent zurück.“

Die Politikerin bittet Kirchen um Hilfe
Bei der Fürsorge der Familien nimmt Milz sich selbst als Politikerin aber nicht aus. Die Rahmenbedingungen für Familien müssten verbessert werden. Ganz oben auf der Liste stünde die Betreuung unter Dreijähriger. Auf die Bildung müsse besonders ein Auge geworfen werden: „Wir können nicht die wenigen Kinder, die wir haben, auch noch links liegen lassen.“ Milz verspricht sich einiges von den Mehrgenerationenhäusern, in denen ältere Menschen mit jüngeren zusammenkommen und „sich gegenseitig befruchten“.
Auch an die Kirche appellierte sie, sich nicht als Träger von Kindergärten zurückzuziehen. „Die christlichen Werte in der Erziehung dürfen nicht vernachlässigt werden. Machen Sie bitte weiter“, sagte Milz. „Wir brauchen Sie!“

Die Kehrseite: Wenn junge Eltern schon für sich selbst keine Lebens-Perspektive sehen
Die anschließende Diskussion, an der sich unter Leitung des Moderatoren Matthias Degen neben Milz und dem Publikum Petra Onasch-Szerman, leitende Hebamme des Krankenhauses Betanien in Moers, Hans Fricke-Hein, Leiter vom Neukirchener Erziehungsverein und Udo Dünnwald vom Verein Väter helfen Vätern, beteiligten, offenbarte, mit welchen Alltagsproblemen die Familien- und Erziehungsexperten heute zu kämpfen haben. Das fängt bei der fehlenden Ernährung in der Schule an und hört bei zunehmenden schwangeren Minderjährigen auf. Viele der jungen Mädchen sähen für sich selbst keine Perspektive, erklärte Fricke-Hein. „Sie entscheiden sich für Kinder im Glauben, dass sich ihre Situation dann verbessert.“ Die Kinder kämen mit einer „schweren Hypothek auf die Welt“, und nicht selten führe das zu Gewalt in der Familie. Viele Kinder hätten es aber auch von Anfang an schwer, weil sie in so genannten „schwierigen Herkunftsfamilien“ geboren würden, sagte Onasch-Szerman. Diese lebten schon in erster und zweiter Generation von Sozialhilfe. „Die kommen gar nicht auf die Idee, einen Beruf zu ergreifen.“ Die Begleitung und Betreuung solcher Familien sei schwierig. Bei ihrem ersten Besuch sei die Hebamme noch willkommen. Doch wenn sie im verqualmten Raum inmitten von Müll, Hasen und Hunden über eine bessere Versorgung eines vier Tage alten Babys spreche, bleibe die Tür beim nächsten Besuch für sie verschlossen.

Text: Bianca Wilkens
Foto(s): Wilkens