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Karfreitagspredigt 2013 des Stadtsuperintendenten Rolf Domning

Und als sie an die Stätte kamen mit Namen Golgatha, das heißt: Schädelstätte, gaben sie ihm Wein zu trinken mit Galle vermischt; und als er's schmeckte, wollte er nicht trinken. Als sie ihn aber gekreuzigt hatten, verteilten sie seine Kleider und warfen das Los darum. Und sie saßen da und bewachten ihn. Und oben über sein Haupt setzten sie eine Aufschrift mit der Ursache seines Todes: Dies ist Jesus, der Juden König. Und da wurden zwei Räuber mit ihm gekreuzigt, einer zur Rechten und einer zur Linken. Die aber vorübergingen, lästerten ihn und schüttelten ihre Köpfe und sprachen: Der du den Tempel abbrichst und baust ihn auf in drei Tagen, hilf dir selber, wenn du Gottes Sohn bist, und steig herab vom Kreuz! Desgleichen spotteten auch die Hohenpriester mit den Schriftgelehrten und Ältesten und sprachen: Andern hat er geholfen und kann sich selber nicht helfen. Ist er der König von Israel, so steige er nun vom Kreuz herab. Dann wollen wir an ihn glauben. Er hat Gott vertraut; der erlöse ihn nun, wenn er Gefallen an ihm hat; denn er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn. Desgleichen schmähten ihn auch die Räuber, die mit ihm gekreuzigt waren. Und von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Einige aber, die da standen, als sie das hörten, sprachen sie: Der ruft nach Elia. Und sogleich lief einer von ihnen, nahm einen Schwamm und füllte ihn mit Essig und steckte ihn auf ein Rohr und gab ihm zu trinken. Die andern aber sprachen: Halt, lass sehen, ob Elia komme und ihm helfe! Aber Jesus schrie abermals laut und verschied.

(Und siehe, der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von oben an bis unten aus. Und die Erde erbebte und die Felsen zerrissen, und die Gräber taten sich auf und viele Leiber der entschlafenen Heiligen standen auf und gingen aus den Gräbern nach seiner Auferstehung und kamen in die heilige Stadt und erschienen vielen. Als aber der Hauptmann und die mit ihm Jesus bewachten das Erdbeben sahen und was da geschah, erschraken sie sehr und sprachen: Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!) ´

(Predigttext für Karfreitag 2013: Mt 27, 33-50 (51-54)

Liebe Gemeinde!
In den 50er und 60er Jahren war die Hochphase der sogenannten Bibelfilme. Monumentale Werke entstanden in dieser Zeit, Filme wie „Quo Vadis“, „Ben Hur“ oder „König der Könige“. Manche wurden bis vor wenigen Jahren regelmäßig im Fernsehen gezeigt, sozusagen als öffentlich-rechtlicher Beitrag zu den hohen Feiertagen.

Inzwischen kommt das seltener vor. Diese pompösen „Bibel-Schinken“ wirken eben ein bisschen aus der Zeit gefallen. Die opulenten Fantasiekostüme der Darsteller; die melodramatische Musik; das stets ein bisschen zu dick aufgetragene Pathos, das diese Streifen durchweht – also, da ist manches, was uns heute eher belustigt als fasziniert.

Es gibt allerdings ein interessantes Motiv, das durch alle diese Filme erkennbar wird und das auch in unserem heutigen Predigttext zu finden ist: Das Motiv der radikalen Umkehr. In all den Filmen gibt es einen Protagonisten, der – oft durch merkwürdige Verwicklungen – mit Jesus und seiner Lehre in Berührung kommt. Und der sich dann eben entscheiden muss: will ich in meinem bisherigen Leben und Denken verharren, etwa als Angehöriger der jüdischen Oberschicht oder als römischer Tribun? Oder werde in zum Anhänger der neuen Religion, glaube ich ihrem Christus, lasse ich mich verändern, folge ich Jesus nach – auch wenn ich mit allem brechen muss, was mir bisher wichtig war?

Sicher, dieses Muster verhilft den Filmen erst zu ihren dramatischen Spitzen und sorgt für spannungsvolle Wendungen in der Handlung. Aber eines haben die Regisseure doch ganz gut verstanden: Wer mit der christlichen Botschaft oder gar Christus selbst konfrontiert wird, kommt in eine Situation, die ihn verändern kann und zwar radikal. Das ist richtig erkannt. Die „Umkehr“ der Filmprotagonisten und die damit verbundene Entscheidung zum Glauben scheint schauspielerisch aber nicht so leicht umsetzbar zu sein; sie kommt häufig etwas unbeholfen und überraschend. Der Betrachter fragt sich: War es nun die Begegnung mit Jesus, oder die Romanze mit einer schönen Galiläerin, die als junge Christin Verstand und Sinnen des zum Glauben Bekehrten zum Guten gewendet hat? Jedenfalls, der zum wahren Glauben Gekommene fügt sich auch als frisch Bekehrter nahtlos in das Klischee des Heroenhaften ein, das in den alten Filmen vermittelt wird.

Ehrlicherweise muss man sagen, so ganz von ungefähr kommt das ja nicht. Die Evangelien selbst folgen in der Redaktion ihrer Erzählungen jeweils einer eigenen Dramaturgie, setzen eigene Akzente und lassen theologische Tendenzen durchscheinen. Das ist nicht von der Hand zu weisen. Besonders deutlich zeigt sich das im heutigen Predigttext aus dem Matthäusevangelium. Wenden wir uns der Szenerie doch einmal zu. Wir erkennen die Grundstruktur wie sie in den meisten Evangelien erzählt wird.

Jesus wird gekreuzigt, auf dem Hügel Golgatha vor den Toren Jerusalems. Für die römischen Soldaten, die die Hinrichtung vollziehen, wird das nichts Besonderes gewesen sein. Das römische Reich machte mit Leuten, die dem Imperium gefährlich werden konnten, kurzen Prozess, so war das eben. Also sitzen die Soldaten eher gelangweilt herum, bewachen den Gekreuzigten und veranstalten zum Zeitvertreib ein Glücksspiel um seine Kleider. Mehr Desinteresse geht eigentlich kaum. Niemand von ihnen hält es wahrscheinlich für möglich, dass dieser Mann am Kreuz in irgendeiner Weise ihr Leben berühren und verändern könnte.

Dabei hätten sie eine Ahnung davon haben können, wen sie vor sich haben. Über Jesu Haupt haben sie jedenfalls ein Schild angebracht: „Dies ist Jesus, der Juden König.“ Das ist natürlich als Schmähung gemeint: „er wollte ein König sein und jetzt hängt er hier am Kreuz zwischen Räubern! Seht her, so kann es gehen, so tief kann man fallen.“ Aber das Schild spricht eben auch eine Wahrheit aus, die diese Zeugen der Kreuzigung nicht erkennen. Wahrlich nicht: sie titulieren einen machtlosen König der Armen und Entrechteten, der auf einem Esel in Jerusalem eingezogen ist und der zuvor nicht die Kriegstreiber sondern die Friedensstifter selig spricht. Nein, den kannten sie nicht, woher auch? Es sind dann nicht nur die Soldaten der römischen Besatzungsmacht, die Spott treiben mit Jesus. Auch Schaulustige und solche, die an Golgatha vorbeikommen, machen sich lustig über ihn. Der Kerl, der da am Marterbalken hängt, hat er nicht mal gesagt, er könne den Tempel abreißen und in drei Tagen wieder aufbauen? Hat er nicht behauptet, er sei der Sohn Gottes? Dann soll er sich doch mal selber helfen!

Hier gilt: Die so reden im Vorbeigehen, sind offenbar keine Ahnungslosen, Menschen, die Jesus nicht kennen. Sie haben seine Geschichte verfolgt, gehörten zu denen, die vielleicht bei seinem Einzug in Jerusalem noch ihre Kleider auf den Weg ausgebreitet und Palmzweige von den Bäumen gerissen und ihm zugejubelt haben. Sie hatten gut zugehört, wiederholten seine eigenen Worte und verspotten einen, der tiefer nun nicht mehr sinken kann. Volkes Stimme? Schnell bereit, sich in den Chor der Lästerer, Schaulustigen und Schadenfrohen einzureihen? Hinrichtungen konnten schon immer leicht zu einem öffentlichen Spektakel, zur Belustigung aller werden.

Und so geht es weiter, nach Matthäus’ Schilderung mehrere Stunden lang. Die Jerusalemer Obrigkeit verhöhnt

Jesus ebenso wie die beiden Räuber, die neben ihm gekreuzigt werden. Nicht einmal die Solidarität derer ist ihm geblieben, denen das gleiche Schicksal der Hinrichtung widerfährt. Jesus zerbricht fast unter der Last der körperlichen und seelischen Tortur. „Eli, Eli, lama asabtani – mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ schreit er irgendwann. Doch auch dann erntet er nicht etwa Mitleid. Als ihm jemand etwas zu trinken geben will1, wird er davon abgehalten. Soll doch der jüdische Nothelfer Elia kommen und sich kümmern. Dass Jesus in seiner aramäischen Muttersprache nicht nach dem Propheten Elia, sondern seinen Gott gerufen hat, wissen die Umstehenden sehr wohl. Dieses scheinbare Missverständnis ist die letzte Verhöhnung des Gekreuzigten, dann schreit er laut auf und stirbt.

Unterdessen ist Unheimliches geschehen. Von der sechsten Stunde, also von 12 Uhr an kommt eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde, so berichtet es nicht nur Matthäus. Die Natur scheint zu rebellieren
angesichts dessen, was da auf Golgatha passiert.2 Und damit nicht genug: Der Vorhang im Tempel zerreißt „von oben an bis unten aus“. Gemeint ist hier jener dicke Stoff, der den eigentlichen Sakralraum im Tempel von der Außenwelt abtrennt, der also das Allerheiligste schützt, das vom Hohepriester nur ein einziges Mal im Jahr betreten wird.

Dass dieser Vorhang zerreißt, scheint nur eine Randbemerkung zu sein. Es steckt durchaus mehr dahinter. Der Vorhang ist weg, das bedeutet: die Schranke zwischen dem Heiligen und dem Profanen ist aufgehoben, die göttliche und die weltliche Sphäre begegnen sich. Das bringt die Erde zum Beben, lässt Felsen zerspringen und Gräber sich öffnen, wie es der Vers 52 des Predigttextes ausdrückt. Die Botschaft ist deutlich: Jesu Tod verändert die Welt – und er verändert auch das alte Gottesbild.

Hiermit sind wir bei einem erzählerischen Sondergut angelangt, von dem so nur der Evangelist Matthäus berichtet. Von diesen dramatisch in Szene gesetzten Natur-Phänomenen ist in den anderen Evangelien nicht die Rede. Die anwesenden Soldaten werden hiervon geradezu überwältigt. Gemeinsam kommen sie zu der Überzeugung, dass dieser Jesus in Wahrheit Gottes Sohn war. Diesen kollektiven Bekenntnisakt der römischen Soldaten kennen wir nur aus Matthäusevangelium. Hören Sie noch einmal den Text mit der entscheidenden Passage, Vers 54: „Als aber der Hauptmann und die mit ihm Jesus bewachten das Erdbeben sahen und was da geschah, erschraken sie sehr und sprachen: Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!“ Alle Soldaten des römischen Exekutionskommandos erschraken, sie fürchteten sich ob der Naturgewalten und des offenbar göttlichen Einwirkens in die Szenerie um das Kreuz. Das lässt sie erschaudern und zu Bekennern werden. Es ist fast schon so als ob das Leiden Jesu und die Kreuzigung als Heilereignis in den Hintergrund treten. Die weltlichen Herrscher haben nur einen scheinbaren Sieg errungen. Gottes Macht ist stärker, größer, zwingt sie letztlich in die Knie und lässt sie die wahre Bedeutung des Gottessohnes erkennen.

Wir müssen das schon so sehen, und ist es ist ein starkes Motiv in der Theologie des Matthäus. Finden wir in dieser Erzählweise Anhaltspunkte darüber, warum Menschen sich für eine radikale Umkehr entscheiden und an diesen gekreuzigten Jesus als Sohn Gottes glauben? Wir kommen damit ja wieder auf die Protagonisten in den eingangs beschriebenen Filmen zu sprechen: Katastrophen, Erschütterungen, Krisenzeiten, persönliche Erlebnisse erhöhen die Sehnsucht vieler Menschen nach Vergewisserung, nach Glauben, nach einer Verankerung in etwas, das größer ist als sie selbst. Manche Menschen haben das in ihrer Lebensgeschichte so erfahren. Ja, ich selbst habe einige solcher sehr persönlichen „Schicksals-Geschichten“ erzählt bekommen. Sie prägen Menschen ein Leben lang und ihre Gottesbeziehung. Das alleine reicht sicher nicht. Es bedarf auch einer persönlichen, inneren Zuwendung zum Glauben, auch dem eigenen Willen, sich für diesen Glauben zu entscheiden. Sehr viel deutlicher wird das in dem eher persönlichen Bekenntnis des Hauptmanns im Markusevangelium, dem ältesten aller Evangelien. Von ihm es heißt: er sah wie Jesus starb, wie dieser seinen Schrei ausstieß und verschied. Das berührt ihn offensichtlich so sehr, dass er sagen kann: Dieser Mensch war in Wahrheit Gottes Sohn.

Matthäus hatte sicher andere Gründe als die Filmschaffenden in den 60er Jahren in der dargestellten Weise dramatisch überzeichnend zu erzählen und vor allem die römischen Soldaten gemeinsam zum Gottesbekenntnis zu bringen. Ihm ist es wichtig, zu betonen, dass es Römer sind, Heiden, die Vertreter einer Weltmacht, die auf die Knie gehen und öffentlich bekennen, ausnahmslos. Damit sagt er ja: Es gibt eine größere Macht als Rom, als alle politischen Machthaber der Welt. Dieser Macht kann nichts und niemand widerstehen. Sie zeigt sich schon am Kreuz Jesu als eine überwältigende Demonstration göttlicher Stärke, so jedenfalls der Evangelist Matthäus. Sie erfasst die ganze Schöpfung – ausgehend vom Kreuz: Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen. Das Kreuz ist hier fast schon überwunden und der Gekreuzigte wird fast zum Christus „Pantokrator“ – zum All- und Weltenherrscher (vgl. Mt 28,18) Wir sehen daran, dass diese Passionserzählung theologisch schon sehr stark durchdrungen ist und Matthäus vor allem die globale Heilsbedeutung des Kreuzestodes Jesu zeichnen will. Die Menschen seiner Zeit sollen das erkennen. Die Menschen aller Zeiten, wir auch.

Sie kennen sicher die Redewendung „die Zeichen der Zeit erkennen“. Sie geht zurück auf die Bibel, auch auf das Matthäusevangelium. In Kapitel 16 heißt es: „Des Morgens sprecht ihr: Es wird heute ein Unwetter kommen, denn der Himmel ist rot und trübe. Über das Aussehen des Himmels könnt ihr urteilen; könnt ihr dann nicht auch über die Zeichen der Zeit urteilen?“ (Mt 16,3) Die Zeichen der Zeit erkennen, das ist heute eine globale
Herausforderung. Die Repräsentanten der römischen Machthaber sollten diese Zeichen erkennen. Sie sollten erkennen, dass ihre Macht begrenzt ist. So, wie damals die ganze Schöpfung erbebt als Warnzeichen, so sollten wir auch in unserer Zeit die Zeichen erkennen um daraus Hoffnung und Mut zur Veränderung zu schöpfen. Die globalen Krisen verunsichern und bewegen die Menschen sehr. Mit dem Matthäusevangelium stehen wir heute an Karfreitag unter dem Kreuz Jesu und erleben allenthalben Machtgebärden und Ratlosigkeit der Machthaber unserer Zeit. Wir ängstigen uns nicht. Wir vertrauen darauf, dass Jesu Weg zum Kreuz ein Weg zur Hoffnung ist, ein Weg, der durch das tiefste Dunkel in das strahlende Licht der Verheißung führt. Seit der Vorhang „in zwei Stücke von obenan bis untenaus" zerrissen worden ist, hat jedermann durch Christus freien Zugang zum Gnadenthron — zu Gott.

Amen

1Jesus Essig (= Essigwein oder sauren Wein) zu geben war nicht etwa eine besonders perfider Einfall der Umstehenden. Das Getränk war der gängige Durstlöscher unter römischen Soldaten, hier also tatsächlich als lindernde Geste gedacht. Davon zu unterscheiden ist der Trank aus V. 34: Galle steht vermutlich für die bittere Myrrhe oder Weihrauch (vgl. Mk 15,23 und Ps 69,22), möglicherweise eine Art Schmerzmittel, das nach jüdischer Sitte vor Hinrichtungen gereicht wurde (vgl. Spr 31,6+7).

2In den eingangs erwähnten Filmen wird dieser Vorgang gerne noch ein wenig ausgeschmückt: Blitze zucken da über den Himmel, ein Sturm zieht auf, es beginnt zu regnen. So etwa in „Das Gewand“ (The Robe) von 1953:

http://www.youtube.com/watch?feature=player_detailpage&v=2wbHZaWDmyM#t=2227s

Text: Rolf Domning
Foto(s):