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An diesem Abend diskutiert Arnd Henze (rechts) mit Manfred Kock (links), Ratsvorsitzender der EKD i.R.,

„Kann Kirche Demokratie? Die Protestanten im Stresstest“ – Ein intensives Gespräch über eine Kirche außerhalb der Komfortzone

Es wurde diskutiert, aber nicht zwingend gestritten – der Abend in der Kartäuserkirche war ursprünglich als „Streitgespräch“ zwischen Arnd Henze, Fernsehkorrespondent im ARD-Hauptstadtstudio, evangelischer Theologe und Gründer des „Dellbrücker Forums“, und Pfarrer Manfred Kock, Alt-Präses und ehemaligen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), angekündigt worden. Neben ihnen saß Dr. Martin Bock, Leiter der Melanchthon-Akademie, am Redner-Pult. Als vierte Gesprächspartnerin gesellte sich Katharina Schneider dazu. Die Theaterpädagogin ist protestantisch engagiert und bei „Fridays for future“ aktiv.

Perspektive Arnd Henze

Pfarrer Mathias Bonhoeffer begrüßte die Gäste, anschließend hielt Henze einen Vortrag über sein Buch „Kann Kirche Demokratie?: Wir Protestanten im Stresstest“, erschienen im Mai 2019. In diesem hat Henze sich auf Spurensuche begeben. „Wir sind längst über die Phase ‘Wehret den Anfängen‘ hinweg. Wir sind in der Phase ‘Wehret der Normalisierung”, betonte er mit Blick auf die von ihm gefundene Gefährdung der Demokratie. Der ARD Korrespondent benannte viele Beispiele. Beispiele, in denen Pfarrer und kirchliche Mitarbeiter auf Facebook Posts der AfD teilen. „Die AfD hat in Sachsen und Brandenburg das Erbe der Bürgerschaftsbewegung angetreten und betreibt dort eine infame Geschichtsverfälschung”, so Henze. Es gebe dunkle Flecken in der eigenen Nachkriegs-Geschichte, „das sollte uns ganz wach machen”, betonte er. Zudem stellte er die These auf, dass „wir nur Kirche bleiben können, wenn wir als Kirche uns wandeln und die Menschen mitnehmen”. Man habe aber auch Ressourcen: Das Narrativ des Gelingens und Foren, in denen man zusammenkommt. „Gesellschaft braucht Debatten und die Kirche hat Räume, um Debatten umzusetzen – das müssen wir nutzen”, forderte er.

Perspektive Manfred Kock

Alt-Präses Manfred Kock stimmte Henze in vielen Punkten zu. „Ich bin geprägt worden von Theologen und Pfarrern, die im Krieg waren”, berichtete er. „In meiner Studienzeit stand man auf gegen die Wiederbewaffnung und gegen die atomaren Waffen”. Es sei elementar wichtig, wahrzunehmen, was passiere und dies vor die Botschaft Christi zu stellen, wurde Kock deutlich. Allerdings bewege er sich wenig in sozialen Medien und habe auch so manche Zweifel an Studien, die erstellt werden. „Ich nehme es nicht wahr, dass so viele das wieder gut finden”, formulierte er einen Gedankengang in Richtung rechte Trends in Politik und Gesellschaft. „Es ist aber wichtig zu überlegen, woran es liegt”, betonte Kock. „Wir brauchen Ermutigung, auch Trost, vielleicht auch eine erneuerte Spiritualität”, führte er weiter aus. Mit Blick auf die schrumpfende Zahl an Gemeindemitglieder betonte er zudem: „Wir müssen auch als kleine Gemeinschaft die entscheidenden Dinge machen”.

Fridays for future – Beteiligung der Kirche

Katharina Schneider brachte einen weiteren Aspekt in die Diskussionsrunde. Sie stellte einen Rückblick auf die Klimabewegung zusammen und berichtete, wie sie die große „Fridays for future“ Demonstration in der Kölner Innenstadt empfunden habe. „Es sind 70 000 Menschen gekommen und das verdanken wir dem enormen Engagement der jungen Leute”, so Schneider. „Aber wo ist da die Evangelische Kirche? Es ist eine weltweite Bewegung geworden. Ich komme gerade von einer weiteren Aktion, von der Kirche war keiner da”, stellte sie ihre Ernüchterung dar.

„Woran liegt es, braucht man Angst, um sich zu bewegen – ist es eine Debatte zwischen Angst und Zuversicht?”, fragte Dr. Martin Bock provozierend. Während Schneider erklärte, dass der Klimawandel wissenschaftlich belegt sei und es da nicht um Angst gehe, stellte Kock fest, dass Angst durchaus überlebenswichtig ist und dazu gehört. Auch Henze mischte sich nun ein: „Die ,Fridays for future‘ Demonstration war doch das Gegenteil einer lähmenden Angst”. Wenn die Kirche sich aber beteiligen wolle, müsse man darauf achten, dass die eigene Klarheit nicht durch Moralisierung verwässert werde. „Wir müssen die Jugendlichen ernst nehmen, so stelle ich mir Lernprozesse vor”, forderte er.

Kirche und Themen der Zivilgesellschaft

An diesem Abend konnten sicherlich nicht alle Fragen zwischen der Sorge vor einer Rechtsradikalisierung, dem Klimawandel und der Position von Kirche in dieser Gesellschaft von morgen beantwortet werden. „Henzes Buch ist ein Appell, das Kirche sich intensiver mit der Zivilgesellschaft beschäftigen muss und die Klimadebatte ist momentan die Speerspitze des gesellschaftlichen Engagements”, fasste Dr. Martin Bock abschließend zusammen. „Wir sprechen aktuell über Ideen, solchen Diskussionen wieder mehr Raum zu verschaffen und sind dabei auch mit Arnd Henze, der ja Initiator des ,Dellbrücker Forums‘ war, im Gespräch”, kündigte Bock an.

Arnd Henze ist seit 2012 Fernsehkorrespondent im ARD Hauptstadtstudio. Davor war er viele Jahre stellvertretender Auslandschef des WDR. Studiert hat Henze evangelische und ökumenische Theologie in Göttingen, Heidelberg und Berkeley. Weitere Studien in internationaler Politik. Er ist Mitglied der EKD-Kammer für nachhaltige Entwicklung sowie der Synoden von EKD und EKBO und seit vielen Jahren Referent und Moderator auf Kirchen- und Katholikentagen.

Text: Judith Tausendfreund
Foto(s): Judith Tausendfreund