You are currently viewing „Jungs sehen in mir eine Art Vorbild“

„Jungs sehen in mir eine Art Vorbild“

Die Angaben schwanken zwischen aktuell unter 3 bis 3,2 Prozent. So niedrig ist bundesweit der Beschäftigungsanteil männlicher pädagogischer Fachkräfte in Kindertagesstätten. Im ländlichen Bereich fällt er noch geringer aus, in Großstädten liegt er höher. Zu den, in dieser Hinsicht, Ausnahmeeinrichtungen gehört die Kita der Evangelischen Kirchengemeinde Sürth-Weiß. Hier arbeitet seit 2009 Björn Schlinkmeier als Erzieher. Der 33-jährige ist der erste männliche Vollzeiterzieher in der Einrichtung. Neben seinem Engagement in der Gemeinde-Kita absolvierte er in einem Abendkurs am Berufskolleg Michaelshoven eine zweijährige Zusatzausbildung zum Motopäden.

Weshalb haben Sie sich nach dem medizinisch begründeten Aus in Ihrem erlernten Beruf als Tischler für eine Umschulung zum Erzieher entschieden?
Es war die Hoffnung auf einen sehr abwechslungsreichen Beruf. Zudem reizte mich die Arbeit mit sehr jungen Menschen. So wie ich zuvor ein Stück Holz bearbeitet und zu Gegenständen geformt habe, wollte ich fortan junge Menschen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung begleiten und unterstützen. Es ist die Bedeutung von Kindergärten, die mich fasziniert. Die Kinder stehen am Start des Lebens, wo man ihnen viel mit auf den Weg geben kann.

Wie sehen Sie Ihre Rolle als männlicher Erzieher, wie wird sie aus Ihrer Sicht von Kindern wahrgenommen?
Es ist doch ganz oft so, dass Kinder von der Geburt bis zum Ende der Grundschule vorwiegend eine Betreuung beziehungsweise Unterrichtung durch Frauen erleben. Natürlich durch die Mutter, hinzu kommen bald, womöglich, eine Tagesmutter, eine Erzieherin, schließlich eine Grundschullehrerin. Kitas und Grundschulen sind noch Frauendomänen. Ich finde es deshalb wichtig, dass Heranwachsende, Jungen wie Mädchen, neben dem Vater früh mit einem männlichen Erzieher oder Lehrer in Kontakt kommen. Ich selbst erlebe in den letzten Jahren, dass Jungs in unserer Kita in mir eine Art „Vorbild“ sehen in alltäglichen Situationen. Das äußert sich etwa darin, dass einige, die vorher das Tragen von Hemden ablehnten, auf einmal – wie ich – Hemden bevorzugen. Oder auch im Nachahmen meines Haarstylings. Es kommt auch vor, dass ich im Eifer des Spiels als Papa angesprochen werde.

Was genau ist Motopädie?
Die Motopädie hat die Einheit von Körper, Geist und Seele im Blick. Bewegung wird als ein wesentlicher Teil der Persönlichkeitsentwicklung betrachtet. Entsprechend gebe ich den unter Dreijährigen wie Vorschulkindern wöchentlich im Turnraum Bewegungsanregungen beziehungsweise offeriere ihnen Bewegungsangebote. Ich bin der einzige Motopäde in unserer Einrichtung.

Wie fällt Ihr persönlicher Blick auf die bisherigen viereinhalb Jahre als Fachkraft in der Sürther Kita aus?
Man wächst mit den Jahren in die Aufgaben hinein. Das ist in anderen Berufen wohl nicht anders. Die Zahl der Aufgaben, die hier auf mich zukommen, ist bestimmt gestiegen. Jedenfalls ist es mehr, als ich anfangs gedacht habe. Die Aufgabenfelder sind breit gefächert: Motorik, Sprache, Sozialverhalten, die Eltern mit ins Boot nehmen. Man muss die Tagesform eines jeden Kindes beachten, und die verschiedenen Stimmungen können in der Gruppe zu einer breiten Fächerung führen. Es gibt vieles, wofür man einen Blick haben muss, was man wahrnehmen kann und muss. In der Zeit als Erzieher in Frechen und Sürth habe ich festgestellt, dass Theorie und Praxis doch schon weit auseinanderliegen.

Wie ist Ihre Einschätzung: Findet derzeit ein Umdenken in der Gesellschaft hinsichtlich des Berufsbildes statt, wollen mehr Männer Erzieher werden?
Von einem Umdenken habe ich persönlich nicht viel mitbekommen. Die verhältnismäßig geringe Bezahlung ist nach wie vor für viele entscheidend. Was häufig vergessen wird: Ich trage hier eine viel größere Verantwortung, als ich sie etwa in der Tischlerei hatte. Die Entlohnung im sozialen Bereich steht nicht im richtigen Verhältnis zur jeweiligen Verantwortung. So übt, finanziell gesehen, auf viele eine Kita-Arbeit keinen Reiz aus. Häufig ist es auch so, dass man einen Partner braucht, der gut mitverdient.

Die Kita befindet sich in kirchlicher Trägerschaft …
… und das spiegelt sich im Konzept und Alltag wider. Ich finde das gut. Ob es nun um das Tischgebet geht oder die Vorbereitung und Feier der wesentlichen christlichen Feste beziehungsweise von Familien- und Kindergottesdiensten. So orientiert sich das Kita-Leben insgesamt an den christlichen Geboten.

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich