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Jürgen Jäger, Pfarrer und Maler in Hürth-Gleuel

Von den redensartlich zwei Herzen, die in mancher Brust schlagen, muss nicht zwangsläufig eines verkümmern. Beide Interessen oder Professionen können zur Geltung kommen. Wie bei Jürgen Jäger. Er teilt sich mit seiner Frau Ute Grieger-Jäger die Pfarrstelle der Evangelischen Johannes-Kirchengemeinde Hürth-Gleuel. Parallel ist er bildkünstlerisch tätig. Seine Werk umfassen figürliche wie abstrakte Zeichnung und Malerei im Klein- bis Großformat – feine Tuschezeichnungen, leichte Aquarelle, schwarz-weiße Gouachen sowie Ölbilder auf Leinwand oder Holz.

Vorbilder: Alfred Kubin und Roland Topor
Jägers Bilder bieten in der Regel keine „leichte Kost“. Häufig sind es rätselhafte Darstellungen. Seine Bildsprache lässt auch bei eindeutig scheinender Entschlüsselung Raum für Zwischentöne. So trägt sein David, dessen Hände in den mächtigen Schopf des besiegten Goliaths fassen, durchaus feminine Züge. Diese Arbeit ist Teil der Serie „Keine Helden mehr“. Jäger, der als Lieblingszeichner Alfred Kubin und Roland Topor nennt, operiert in seiner Kunst mit Verfremdung und Ironisierung. Irritation löst auch aus, dass er aus der Kunsttradition der christlichen Motive schöpft und diese mit nicht religiösen Elementen zu einer Bildsprache kombiniert. Insgesamt sieht Jäger seine Zeichnungen und Tafelbilder angesiedelt in einem Bereich des Psychischen und Symbolischen. Lange Zeit führte er Traumtagebücher, denn für ihn haben „Träume eine eigene, positive Kraft“. Gleichfalls entrückt, dabei inspiriert von konkreter Literatur, mutet etwa „Nantucket II“ an. Es handelt sich um jüngere Improvisationen über Edgar Allen Poes Roman (1838) „Der Bericht des Arthur Gordon Pym aus Nantucket“. Dabei nimmt Jäger die Stimmung von Walfängern auf, die ins nebelverhangene Unbestimmte fahren.

Am Anfang: ein „krauses Durcheinander“

Geboren 1950 im thüringischen Sondershausen, wuchs Jäger in Wuppertal auf. Als 15-Jähriger begann er mit dem Zeichnen. Künstler wollte er werden. „Ich habe mich nach meiner Konfirmation einige Jahre mit vielen weltanschaulichen Dingen beschäftigt, etwa mit Nietzsche, dem Zen-Buddhismus“, bezeichnet er die Themenvielfalt als ein „krauses Durcheinander“. Aus einer „spätpubertären Romantik“ heraus empfand er sich als Kommunist, „weil eben alle Surrealisten Kommunisten waren“, so seine damalige Auffassung, ohne genau sagen zu können, was das genau bedeutete. Die Bewegung des Surrealismus, die Beschäftigung mit dem Traumhaft-Absurden zog ihn in seinen Bann. So sah er sich stark beinflusst von Maurice Nadeaus „Geschichte des Surrealismus“, experimentierte mit dem Verfahren des automatischen, spontanen Schreibens und Zeichnens, das auf einen ungesteuerten Schöpfungssprozess zielt.
Bewusst wählte Jäger den Studienort Wien, die Akademie der Bildenden Künste. Dort lehrte damals seit kurzem auch Rudolf Hausner (1914-1995), Mitbegründer der von Jäger geschätzten Wiener Schule des Phantastischen Realismus. Ihm legte der junge Deutsche 1971 seine Zeichenmappe vor, wurde zur dreitägigen Aufnahmeprüfung zugelassen, und bestand. Um die altmeisterlichen Maltechniken zu erlernen, schrieb Jäger sich in die Restauratoren-Klasse ein. Diese Fehlentscheidung, „denn mit malen Lernen hatte das nichts zu tun“, korrigierte er rasch und wechselte 1972 in die Graphik-Klasse von Maximilian Melcher (1922-2002). Unter seinen Kommilitonen befand sich Siegfried Anzinger, heute Professor an der Kunstakademie Düsseldorf.

Was beide Professionen verbindet: Die Begabung, „die Auseinandersetzung mit der menschlichen Seele künstlerisch auszudrücken“
In Österreichs Hauptstadt knüpfte er auch Kontakt zu den Jesus-People. „Während ich an einem ihrer Gottesdienste teilnahm, wurde Wien durch ein Erdbeben erschüttert“, erinnert Jäger sich an eine Lebensphase der Konfusion und Neufindung, in die das besondere, zeichenhaft empfundene Erlebnis fiel. Er gab das erste Studium auf, brach zunächst mit der Kunst, kehrte nach Wuppertal zurück – und nahm ein Theologie-Studium auf. Zunächst in seiner Heimatstadt, später in Tübingen. Das Vikariat führte ihn 1982 in die Evangelische Kirchengemeinde Köln-Lindenthal. Bevor er 1986 als Pfarrer nach Hürth wechselte, war er Hilfsprediger in der Evangelischen Kirchengemeinde Wesseling.
„Eine lange Zeit habe ich weder gezeichnet noch gemalt. Ich hatte es aufgegeben aufgrund der Idee, meine Kunst des Rätselhaften, Dunklen und Ironischen sei ´dämonisch´“, unvereinbar mit der Verkündigung des Wort Gottes. Gegen Ende des Studiums machte diese Einschätzung dem Verständnis Platz, „dass meine Kunst, auch die dunkle Seite in ihr, zu mir gehört. Ich habe festgestellt, dass ich eine Begabung habe, die Auseinandersetzung mit der menschlichen Seele künstlerisch auszudrücken.“

Eine Serie (unter vielen): „Wintertod – Große und kleine Schrecken des Krieges“
In den 1990er Jahren genoss Jäger die Freiheit, mit seiner Kunst große Formate zu füllen. Dabei ging er expressiv-abstrakt vor. Und merkte, dass die Sache mit der ernsthaften, ungegenständlichen Darstellung „gar nicht so einfach ist“. Gegen Ende des Jahrzehnts wandte er sich allmählich erneut der Figuration zu. Die Formate verringerten sich. Zahlenmäßig umfangreich fällt die Serie „Wintertod – Große und kleine Schrecken des Krieges“ aus. Sie dokumentiert Jägers Beschäftigung mit dem menschlichen Leiden und Leid, dessen (auch) künstlerische Umsetzung und Darstellung. Hier bediente er sich Kriegsfotografien, die deutsche Soldaten im Zuge des 1941 begonnenen Russlandfeldzuges (Deckname „Unternehmen Barbarossa“) angefertigt haben. Nach Vorlage dieser Fotos, die Leichen von sowjetischen Soldaten im Schnee zeigen, gefrorene Körper in verzerrten Haltungen, entstanden in Schwarz, Weiß und Grau kleinformatige Tuschen, Gouachen, Zeichnungen. Teils wurden die Abbildungen auch bearbeitet. „Das Thema irritiert wohl nicht nur mich, so Jäger, „immer wieder wird versucht, Menschen nicht nur zu vernichten, sondern das schreckliche Werk auch noch zu dokumentieren.“

Mumienporträts: Der „Ewigkeitsanspruch des menschlichen Abbilds“
Vom Thema Tod und Erinnerung handelt ebenso seine 2003 begonnene Serie „Fayum“. Inspiriert ist sie durch einen Besuch im Pariser Museum Louvre, das eine große Sammlung von Mumienbildnissen der ersten Jahrhunderte nach Christus aus der gleichnamigen ägyptischen Oase südwestlich von Kairo birgt. Jägers Serie umfasst freie Antworten auf diese altägyptischen, nicht nur für die griechisch-römische Malerei bedeutungsvollen Mumienporträts. Jägers Arbeiten sind in Öl auf Holz oder Leinwand entstanden, dazu mehrere kleinere in Bleistift, Gouache, Aquarell auf Papier. Was fasziniert ihn an den „Fayum“-Porträts? „Es ist der Ewigkeitsanspruch des menschlichen Abbilds. In diesen Porträts wird die Wirklichkeit des Todes transzendiert“, äußert Jäger zudem sein unverändert großes Erstaunen über „die phänomenale, ja moderne malerische Qualität der lebendigen, naturalistischen Darstellungen, die sich über die lange Zeit erhalten haben.“

„Wenn ich male, bin ich kein Pfarrer“
Wenn der Künstler Jäger sich (unbekannten) Menschen mit seinem Beruf Pfarrer vorstellt, verspürt er nicht selten, gerade in einem künstlerischen Umfeld, schablonenhaft eine gewisse Reduzierung und Voreingenommenheit. „Aber wenn ich male, bin ich kein Pfarrer“, betont Jäger. Er male keineswegs, zumindest nicht bewusst, aufgrund seiner Berufung als Pfarrer, noch aus theologischer Perspektive. Andererseits versuche er schon, die „beiden Welten“ miteinander zu verbinden. Mindestens werde das deutlich in den behandelten Themen.

In der Gemeinde werden klare „Grenzen beachtet“
Die Mehrzahl der Mitglieder seiner Gemeinde weiß um die Künstlerschaft Jägers. Auch deshalb, weil ausgewählte Arbeiten zeitweise in die Martin-Luther-Kirche in Hürth-Gleuel einziehen. Mitunter integriert sie der Pfarrer in seine Predigten, fungieren sie als Bezugspunkte. Dabei werden Grenzen beachtet. „Bestimmte Dinge, die ich mache, treffen wohl nicht den allgemeinen Geschmack einer christlichen Gemeinschaft.“ Aktdarstellungen beispielsweise, die in der Kunstgeschichte gang und gebe sind, die Gottesdienst-Besuchende aber womöglich anstößig finden könnten, sind im Kirchenraum tabu. Für vertretbar und geradezu reizvoll hält Jäger dagegen die Konfrontation der Kirchenbesuchenden mit „nicht einfachen“ Stoffen. Das trifft auch zu auf seine „Fayum“-Bilder, denen 2004 in der Martin-Luther-Kirche eine Ausstellung gewidmet war.

Zurzeit hängen zwei abstrakte Gemälde im Altarraum, beschienen vom Sonnenlicht, das durch das raumhohe, farbige Turmfenster einfällt. In einigen Wochen machen sie dem Bild „Nach der Sintflut“ Platz. Aufgrund des Titels zeigt es wenig überraschend ein Boot auf dem Trockenen, umgeben von diversen Tieren. Begonnen wurde das überdimensionierte Querformat zwar anlässlich, aber weit vor der Eröffnung der ökumenisch veranstalteten „Karika-Tour“ in Gleuel, einer Karikaturen-Ausstellung im Mai/Juni diesen Jahres in der katholischen Pfarrkirche St. Dionysius und der Martin-Luther-Kirche. Im evangelischen Gotteshaus führte das Rheinische Klavierduo zur Begleitung der Ausstellung Camille Saint-Saens´ „Karneval der Tiere“ auf. Dazu präsentierte Jäger im Altarraum seine bereits mit einer aussagefähigen Skizze versehene Leinwand. Die Fertigstellung des vielfarbigen Ölgemäldes ist nach den Sommerferien zu erwarten. Dann soll es, wie manches andere seiner Werke, den Kirchenbesuchenden zur Anschauung, Erbauung und Inspiration dienen.

Aus der Serie „Keine Helden mehr“ von Jürgen Jäger: David und Goliath

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Broich