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Jetzt ist es schon wieder vorbei: „HöVi-Land 2012“

Letzte Woche im HöVi-Land: Gerade setzt wieder ein Platzregen ein, als Zeno Zelinsky Malvorlagen austeilt. Polynesische Masken und Tierornamente werden von den 7- bis 9jährigen Kindern ausgemalt, denn sie sind gerade zu Besuch im Inselstaat Tonga. Am Fahnenmast auf der Wiese am Naturfreibad Vingst flattert die rot-weiße Landesfahne, auch die Nationalhymne haben die Kinder bereits gehört. „In 15 Tagen um die Welt“ ist in diesem Jahr das Motto von HöVi-Land, der traditionsreichen Ferienaktion für die Stadtteile Höhenberg und Vingst. Engagierte Menschen aus dem Stadtteil, aus Vereinen sowie den evangelischen und katholischen Kirchengemeinden packten drei Wochen lang gemeinsam mit an, damit Kinder, deren Eltern ihnen keine Urlaubsreise finanzieren können, trotzdem ein paar spannende Ferienwochen hatten und wenigstens in Spielen, Gedanken und Aktionen „auf Reisen“ gehen konnten.



Die ersten zwei Wochen: Improvisieren bei Dauerregen
Der Dauerregen trübt die Stimmung der Kinder im Spielzelt nicht, die bereits selbstvergessen mit Farben und Stiften werkeln. Eine Herausforderung ist das launische Wetter eher für Zeno Zelinsky und die übrigen, beinahe 200 freiwilligen Helfer. „Wir müssen an Regentagen improvisieren, und doch täglich etwas Landestypisches machen“. Der 31-jährige Doktorand kam vor 12 Jahren als Zivildienstleistender ins HöVi-Land und ist seitdem regelmäßig als Gruppenleiter oder Helfer dabei. Inzwischen werdeen seine eigenen Kinder im Mitarbeiterkindergarten betreut, während die Eltern eingespannt sind. Zelinsky hilft dabei, das diesjährige Motto umzusetzen: Bei der virtuellen Reise an die Elfenbeinküste wurden Bananen landestypisch gebraten und gekocht. Am Tasmanien-Tag stellte Zelinsky mit den Kindern Blumenkästen her und sammelte Pflanzen, um daran zu erinnern, dass 40 Prozent der Fläche in Tasmanien unter Naturschutz stehen. Den Blick nicht nur auf Folklore und Essen der Mottoländer zu lenken, sondern auch auf Natur- und Kulturerbe, ist ein roter Faden, der sich durch die Ferienwochen zieht. Ihren Bewegungsdrang können die Kinder beim Dauerregen an einigen Spielstellen im umgebenden Wald am Naturfreibad Vingst austoben, wo leichter Regen nicht durchkommt. Darüber hinaus stehen täglich Ausflüge auf dem Programm: Das Odysseum, eine Stunt-Schule oder einfach ein Kinobesuch, oft gesponsort oder zu günstigen Konditionen, sorgen dafür, dass die Kinder ihre Stadt auch über die Grenzen des Viertels hinaus kennen lernen. Im Nebenzelt berichten Miriam und Nadja begeistert von ihrem Besuch in einem Eifeler Bleibergwerk, während sie im Bastelzelt Papierfiguren ausschneiden.

In der gestiegenen Nachfrage zeigt sich zunehmende Kinderarmut
„Das ist hier wie eine große Familie“ lobt Zelinsky den Zusammenhalt im Mitarbeiterteam. Auch Jörg Wolke, Pfarrer in der evangelischen Kirchengemeinde Höhenberg-Vingst-Neubrück und Mitglied im Leiterteam, spricht den ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein dickes Lob aus: „Die Kinder stört der Regen nicht so sehr, eine echte Belastung ist er nur für die Leiter. Es gibt nicht mehr Wasser als in früheren Jahren, aber es regnet durchgehend. Die Kinder in den Zelten kontinuierlich zu beschäftigen und bei Ausflügen trocken zu halten ist eine ständige Herausforderung.“ Die Kinder dagegen, so Wolke, „matschen gerne“. Winterpullover und Gummistiefel sind für Kinder und Mitarbeiter Standardkleidung, kalt überrascht wurde eine Besuchergruppe aus Südafrika. Seit Jahren besteht über die ehemalige Vikarin Elke Carrihill der Kontakt zu einer südafrikanischen Gemeinde, aus denen eine Gruppe junger Erwachsener in diesem Jahr an HöVi-Land teilnahm. Sie scheuten den bürokratischen Auffwand für die Reise nicht und komplettieren das Team von insgesamt 200 Freiwilligen, darunter 98 Jugendlichen Gruppenleitern, die dafür sorgen, dass rund 560 Kinder ihren Urlaub in „Hövi-Land“ verbringen können. Neben einem Stamm „Altgedienter“ sind es auch immer wieder solche Besucher oder Spontanhelfer, die das Mitarbeiterteam ergänzen: „Es kommt vor, dass Leute, die hier ihre Hunde spazieren führen, spontan Hilfe anbieten“, berichtet Wolke. „Wir haben jemanden hier, der gerade Abitur gemacht hat und mit seiner Zeit etwas anfangen wollte. Der tauchte plötzlich auf, seitdem hilft er jeden Tag mit“.
Wegen der dieses Jahr ungewöhnlich hohen Zahl von 98 Jugendlichen als Gruppenleitern kann HöVi-Land eine Gruppe mehr anbieten als im vergangenen Jahr. Allerdings berichtet Wolke auch von einer steigenden Nachfrage: „Wir haben totalen Notstand bei den 12-bis 14jährigen, den Ältesten. Sonst hatten wir drei, diesmal vier Gruppen, trotzdem gab es Kinder, die nicht aufgenommen werden konnten.“ Gestiegene Kinderarmut könnte, so Wolke, eine Ursache für die neue Nachfrage sein: „Wir stellen in unserem Viertel fest, dass Eltern häufiger nicht in den Urlaub fahren können.“

Spendenbereitschaft wird wichtiger
Das „liebe Geld“ für Zelte, Essen, Ausflüge, Spielgeräte, Versicherungen, Erste-Hilfe-Ausstattung, Strom, Wasser, Fahrtkosten und was sonst noch in drei Urlaubswochen für 560 Kinder anfällt, kommt im Idealfall zu einem Drittel aus öffentlichen Zuschüssen, zu einem Drittel je durch Elternbeiträge und durch Spenden und Sponsoren. Treue Spender sind der Lions-Club „Claudia Ara“, die Sparkasse und die Kölner Friseurinnung. Auch der Erlös der WDR-Sendung „Tauschreporter“ geht an HöVi-Land. Allerdings, so Wolke, gingen die öffentlichen Zuwendungen zurück, so dass jetzt ein höherer Spendenanteil nötig würde. Die evangelischen und katholischen Kirchengemeinden steuern Mitarbeit und Equipment bei, Finanzspritzen lässt das Gemeindebudget nicht zu. Zu den Neuanschaffungen auf dem Platz dank Spenden gehört ein buntes Zirkuszelt mit festem Boden, das als Entspannungszelt dient. Ausgestattet mit Matratzen, Decken und Massageigeln wartet es auf Kinder, die dort bei Traum- und Phantasiereisen auch einmal zur Ruhe kommen können. „Diese Kombination aus Bewegung und Entspannung kommt bei den Kindern total gut an“, weiß Petra Kempe vom Jugendbüro der evangelischen Kirchengemeinde Höhenberg-Vingst-Neubrück.

Drei Generationen beim Gurkenschälen
Zuwachs gab es in diesem Jahr bei den freiwilligen Helfern vor allem bei den jugendlichen Gruppenleitern, aber im Küchenzelt sind gleich mehrere Generationen versammelt: Ein Dutzend Frauen zwischen 16 und über 70 Jahren schält, unterstützt von einigen männlichen Helfern, Schlangengurken, denn auf der „Speisekarte“ fürs Mittagessen stehen an diesem Tag Gurkensalat, Kibbeling und Kartoffeln. „Im ersten Jahr hier habe ich 100 Gurken geschält“, berichtet Helga Maubach. Die 70jährige ist seit 18 Jahren dabei, anfangs, weil ihr Enkel HöVi-Land besuchte. „Do jonn ich helfe“, fackelte sie nicht lange. „Dat ich so lang hee blieve“ hätte sie aber nie gedacht, doch: Die „Gruppe ist so prima“. Gleich mit vier Generationen dabei ist Brigitte Langen, 66: Ihre Töchter helfen mit, Enkelin Alina, 16, schält ebenfalls Gurken, Enkel und Urenkel besuchen die Ferienaktion.

Mehrere Generationen am Küchentisch: Die Damen im Küchenzelt sind nur einige der freiwilligen Helfer/innen, die dafür sorgen, dass die Kinder nicht nur spannende Ferientage haben, sondern auch etwas Nahrhaftes zu essen bekommen.

Briefe mit der HöVi-Post
Wenn sich die Kinder beim Küchenteam bedanken, geschieht dies oft über ein Medium, das kurz vorm Aussterben steht: Im HöVi-Postzelt schreiben die Kinder altmodische Briefe an ihre Freunde, andere Gruppenmitglieder, denen sie etwas mitteilen möchten, aber auch ans Orga-Team oder die Küchenhelferinnen. Als Aushilfs-„Postbeamtin“ hilft Sozialarbeiterin Elke Bäumer den Kindern beim Schreiben, Kuvertieren und „Abschicken“. Sie hilft ebenfalls bereits seit mindestens fünf Jahren im HöVi-Land. Jede Kindergruppe hat ihren eigenen Briefkasten für Karten oder Briefe. „Viele Kinder kennen das Briefeschreiben schon nicht mehr“, ist ihre Erfahrung. Und sollte auch ein Brief an den Wettergott mit der Bitte um etwas mehr Sonne dabei gewesen sein, so wurde diese Bitte zu Anfang der dritten Ferienwoche endlich auch erhört. Und jetzt ist schon wiesder alles vorbei…. Die Anmeldung für 2013 wird übrigens – wie immer – zur Osterzeit in den evangelischen und katholischen Kirchengemeinden erst wieder möglich sein.

Text: Annette von Czarnowski
Foto(s): von Czarnowski