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„Jesus im Blick behalten“ – Krippenschnitzer Chevarro Kharoufeh und sein schwieriger Alltag im Heiligen Land

In der Weihnachtszeit stellen auch wir gern Holzkrippen auf, mit Ochs und Esel – und dem Stern von Bethlehem. Selten aber sind die aus Olivenholz geschnitzt – und noch seltener kommen sie direkt aus der Region, in der Jesus geboren wurde. So wie die Krippen von Chevarro Kharoufeh, die letztes Jahr sogar auf dem Koblenzer Weihnachtsmarkt zu kaufen waren. Karin Vorländer hat im Herbst Chevarro Kharoufeh, den Christen im „Heiligen Land“ besucht: Im Hauptberuf ist er Torwächter bei der christlichen Schule Talitha Kumi in Beit Jala und Krippenschnitzer aus Tradition. Sie sprach mit ihm über Olivenholz, die neue Mauer im Westjordanland, Arbeitslosigkeit, Religion und Hoffnung.


Die Kunst des Olivenholzschnitzens
Mit Kennerblick prüft Holzschnitzer Chevaro Kharoufeh (28) die dicken Olivenholzäste, die zwei Jahren im Keller seines kleinen Hauses lagern müssen, ehe er sie zum Schnitzen verwenden kann. Sorgfältig sucht er nach einem Scheit, aus dem er eine Höhle schnitzten kann. Chevaro kann sich gut vorstellen, dass Jesus nicht in einem Stall, sondern irgendwo in einer Grotte oder Höhle in der gebirgigen Gegend in seiner Heimat Bethlehem zur Welt kam. Natürlich gehört auch der Stall mit Ochs und Esel, zum Lieferprogramm des jungen Kunsthandwerkers, genau wie der Stern von Bethlehem oder der Fisch – als Symbol für den christlichen Glauben. Aber die Krippe als Geburtshöhle ist sozusagen die Spezialität von Chevaro, der von seinem Vater in die Kunst des Olivenholzschnitzens eingeführt worden ist.

Christen in Palästina
Chevaro Kharoufeh gehört zur christlichen Minderheit von etwa 120.000 Christen in Palästina. Ihr Anteil liegt landesweit bei nur zwei Prozent. Am stärksten sind die arabischen Christen im Dreieck von Bethlehem, Beit Sahur und Beit Jala vertreten, wo sie über 30 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Chevaro lebt mit den Eltern, einer Schwester, seiner Frau und zwei kleinen Kindern nicht weit vom Zentrum Bethlehems, das heute etwa 28.000 Einwohner zählt.

Die neue Mauer im Westjordanland
Jerusalem liegt in Sichtweite. Schon die Kanaanäer waren hier zu Hause und schätzten die Gegend wegen des grünen fruchtbaren Umlandes, in dem Oliven, Mandeln und Wein gedeihen. Aber die Zeiten, in denen die Region sich durch Grün auszeichnete, sind vorbei: Das fruchtbare Umland verschwindet von Tag zu Tag mehr hinter der über acht Meter hohen Betonmauer, die seit 2002 von den Israelis überall im Westjordanland mit immensen Kosten gebaut wird. 400 Meilen lang wird sie sein, alle 200 Meter mit einem Wachturm und Kameras ausgestattet. Die Mauer, so die offizielle Lesart, soll die wachsenden israelische Siedlungen wie Har Homar im Norden Bethlehems schützen, die seit Jahren meist oben auf den Hügeln gebaut werden und die das Westjordanland immer weiter zerstückeln. Inzwischen gibt es im palästinensischen Stammland mehr israelische Siedler als Palästinenser. Im September erst büßte Bethelehem 14 Prozent seiner Fläche für den Bau des Checkpoints im Norden der Stadt ein. Bald wird Bethlehem von drei Seiten eingesschlossen sein.

Arbeitslosenquote von weit über 60 Prozent
Seit dem Ausbruch der zweiten Intifada im September 2002 und noch einmal seit dem Krieg Israels im Libanon kommen kaum noch Touristen in die Region um Bethlehem. Sie haben Angst. Da spielt es keine Rolle, dass während der jüngsten Kämpfe sogar „feindliche“ israelische Flüchtlinge Zuflucht und gastliche Aufnahme in der Region gefunden haben. Die Urteile, Ängste und Vorurteile sitzen zu tief, als dass Touristen es riskieren würden, sie durch eigenen Augenschein infrage zu stellen . So mussten die meisten Touristenläden in Bethlehem schließen und ihre Mitarbeiter entlassen. Etliche Manufakturen für Holzschnitzerei stehen still. Fremdenführer und Angestellte von Hotels und Restaurants sind arbeitslos. Bei einer Arbeitslosenquote von weit über 60 Prozent macht sich bei vielen Menschen in der Region Mut- und Hoffnungslosigkeit breit.

Wenn auch die Christen auswandern, gibt es in der Heimat Jesu bald keine Gemeinde mehr
Angesichts der innerpalästinensischen Auseinandersetzungen zwischen der neuen Hamas Regierung und El Fatah fragt nicht nur Chevaro sich, ob eine israelische Besatzung unter diesen Voraussetzungen nicht der ohnehin nur auf dem Papier bestehenden Autonomie vorzuziehen sei. Viele Menschen aus Bethlehem und Umgebung jedenfalls ziehen Konsequenzen: Sie wandern aus. In Chile gibt es schon ein zweites Beit Jala. 150.000 Palästinenser, die aus der Region Bethlehem stammen, leben heute in Südamerika. Aber Chevaro will bleiben und aushalten. Auch weil er Christ ist. „Wenn wir Christen von hier weggehen, gibt es in der Heimat Jesu bald keine Gemeinde mehr“, fürchtet er.

Torwächter in der christlichen Schule Talitha Kumi
Und so sucht er nach Wegen, um sich und seine Familie irgendwie durchzubringen. Von UN-Hilfsprogrammen und Wohltätigkeit will er sich nicht abhängig machen: „Wir wollen von unserer Hände Arbeit leben“, sagt er. So ist er froh über seine Arbeit als Torwächter in der christlichen Schule Talitha Kumi in Beit Jala, in der 850 Jungen und Mädchen aus moslemischen und christlichen Familien friedlich miteinander leben und trotz allem für eine Zukunft in Frieden lernen. Auch Chevaro hofft auf den Frieden – und ist froh, dass es ihm bislang nicht ergeht, wie seinem Nachbarn Simon von schräg gegenüber, der seinen Beruf aufgegeben hat. Auch der war früher Kamelschnitzer, und auch er gehört mit seiner sechsköpfigen Familie zur christlichen Gemeinde. Seit etlichen Monaten muss er sein kärgliches Brot in einer Bäckerei in Jerusalem verdienen. Mit dem „Permit“, einem Passierschein, muss Simon täglich zweimal den von bewaffneten israelischen Soldaten kontrollierten Checkpoint passieren, um nach Jerusalem zu gelangen. Niemals weiß er, ob er pünktlich zur Arbeit kommt: Denn immer wieder kann der Bus vor neue Straßensperren gestoppt werden, und manchmal wird nur quälend langsam abgefertigt. An hohen jüdischen Feiertagen – und oft genug auch ohne für ihn einsichtigen Grund -, ist ganz Palästina abgeriegelt. Dann kommt Simon trotz „Permit“ nicht nach Jerusalem – und seine Kinder bleiben ohne Brot.

Chevaro Krippen auf dem Koblenzer Weihnachtsmarkt
So ist Chevaro mehr als froh über seinen Arbeitsplatz in Beit Jala. Allerdings brauchte er dringend ein Permit für Jerusalem. Denn eigentlich müsste er Nachschub für sein Olivenholzlager kaufen. Im Jahr zuvor noch gab es reichlich Holz in der Region. Es fiel an, als Olivenhaine entlang der Mauer abgeholzt wurden. Aber dieses Jahr ist der Rohstoff für die Krippenfiguren knapp und teuer. So ist Chevaro auf Holz angewiesen, was ihm aus Israel angeboten wird, ohne dass er es vorher prüfen kann. Chevaro tröstet sich damit, dass er noch Vorrat hat. Wichtiger ist ihm, dass er irgendwie verkaufen kann, was er das Jahr über produziert hat. Im letzten Jahr hat er es nach einem nahezu unendlichen Papierkrieg mit Ausdauer und Findigkeit geschafft, seine Krippen in Koblenz auf dem Weihnachtsmarkt anzubieten. Die Ausreise über den Flughafen von Tel Aviv ist ihm als Palästinenser versperrt. So musste er über Amman in Jordanien fliegen. Das kostete nicht nur Zeit, sondern auch viel Geld. Ob er es in diesem Jahr schafft, nach Deutschland zu kommen, weiß er noch nicht.

Sehnsucht nach Frieden
Chevaro weiß nur eins: „Wenn ich überleben will, kann ich nur arbeiten, hoffen und träumen“. Wie so viele Menschen, sehnt er sich nach einer Zukunft, in der endlich Frieden herrscht im unheiligen Heiligen Land. Bis es soweit ist, versucht er „jeden Tag einzeln zu leben und Jesus im Blick zu behalten“. Den Jesus, der vielleicht in einer armseligen Höhle zur Welt kam, der Flüchtlingselend und Unfrieden schon als kleines Kind kennen lernte und dessen Weg zum Glück nicht in der Grabeshöhle endete.
Bezugsquelle für Krippenfiguren aus Bethlehem: http://www.annadwa.org/cave/cave.htm

Text: Karin Vorländer
Foto(s): Karin Vorländer