„Wenn alle Gläubigen Priester sind, dann dürfen sich auch alle einmischen und ihrem Glauben Ausdruck verleihen!“, betonte Stadtsuperintendent Rolf Domning beim Jahresempfang des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region und der vier Kölner Kirchenkreise, der sich – wie zuvor bereits der diesjährige Reformationsgottesdienst – mit dem Thema Streitkultur beschäftigte. Jahresempfang Ende November? Ja, denn das Kirchenjahr beginnt immer mit dem Ersten Advent. „Streit ist nichts, wovor man sich als verantwortungsvoller evangelischer Christ oder als evangelische Christin fernhalten könnte – oder auch sollte“, stellte Domning weiter klar. Dies sei schon im Wort „Protestant“ angelegt, komme das Wort Protestant doch vom lateinischen „protestari“, das heißt übersetzt „bekennen“. „Da steckt auch das „Protestieren“ drin“, erläuterte Domning, „und wer protestiert, der riskiert in den meisten Fällen auch Streit. Streit etwa um die Erneuerung der Kirche, die bekanntlich nie zu einem Ende kommt, oder um das rechte Amts- oder Abendmahlsverständnis.“
Kultur ohne Streit
Streit-Kultur in ihrer eher harmonischen Form war für den Stadtsuperintendenten unter dem Aspekt des kulturellen Beitrags evangelischer Gemeinden im vergangenen Kirchenjahr ein wichtiges Anliegen: So verwies er auf die Festprogramme zu den Jubiläen „400 evangelisch in Mülheim am Rhein“ sowie zu „150 Jahren Trinitatiskirche“. Sie seien „auf äußerst fruchtbaren Boden gefallen“. Besonders erwähnte er das ökumenische Projekt „KunstKultur-KirchenKöln“ und dessen vielfältige Programmpunkte. In diesem Sinne würdigte auch Bürgermeister Hans-Werner Bartsch mit einem kurzen geschichtlichen Abriss der Stadtgeschichte den Beitrag, den die evangelische Kirche in und um Köln geleistet habe.
Strategien, um „Streit zu vermeiden“
Über die praktischen Probleme in der täglich gelebten Ökumene berichtete die Hauptreferentin des Abends: Ellen Ueberschär, seit 2006 als Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages in Fulda . Als solche sei sie, so Domning „Expertin für protestantische Streitkultur“.
Ueberschär berichtete zunächst einmal, wie viel Mühe sich die Vertreter der verschiedenen Religionen und Konfessionen alltäglich geben, um Streit zu vermeiden. Trotz allen gelegentlich aufkommenden Dissenses: „Seit sich im 17. Jahrhundert die beiden Großkonfessionen nach 30 Jahren eines militärisch ausgetragenen Streites mehr schiedlich als friedlich einigten, ist die Vermeidung offenen Streites in Sachen Religion tief ins europäische Gedächtnis eingegraben.“ Dies sei verstärkt worden durch das, so Ueberschär, „blutige 20. Jahrhundert mit seiner übersteigerten Nervosität und dem zu lauten Rasseln der Kriegs-Säbel“. Dieses habe erst mit letzter Konsequenz das „Bewusstsein einer konfessionsübergreifenden Verantwortung für Europa wachsen“ lassen. Nach Jahrhunderten der Auseinandersetzung suche man nun vornehmlich das Gemeinsame. Man habe im Verlauf des nie mehr wirklich abreißenden Dialogs, erkannt, dass die Konfessionen mehr eine als trenne. Zu einer wahren Hoch-Stimmung der Anhänger ökumenischer Bestrebungen sei dann der 1. Ökumenische Kirchentag in Berlin geworden – auf den freilich Ernüchterung gefolgt sei. Wirklich offen ausgetragener Streit jedoch finde sich, so Ueberschär, immer noch eher selten. Er wird umgangen – am liebsten durch das rhetorische Mittel der Metapher: „Was nicht nackt und direkt ausgesprochen werden kann, wird in Bilder gekleidet“, erläuterte Ueberschär: „Die Verdeutlichung bleibt den Rezipienten überlassen.“
Verschiedene Möglichkeiten, Konflikte zu kaschieren
Wenngleich die Konflikte zwar möglichst sprachlich kaschiert worden seien, blieben sie doch vorhanden – was insbesondere bei der Planung und Durchführung eines solchen ökumenischen Großprojektes zutage tritt, wie es der Ökumenische Kirchentag in München war. Ueberschär berichtet in einer, wie sie selbst sagte, „sehr persönlichen Reise durch das Tagebuch einer Generalsekretärin, die versuchte, die Ökumene zu verstehen und hier und da mitzugestalten“, von den täglichen Konflikten.
Sie erzählte von Pressekonferenzen, die der Vatikan wiederholt zeitgleich zu Sitzungen des Gemeinsamen Präsidiums des Kirchentags oder während des Kirchentags selbst ansetzte. Berichtete von heikler Diplomatie um die Frage des gemeinsamen Abendmahls – die Frage etwa, ob eine ökumenische Tischgemeinschaft nicht mit einem gemeinsamen Abendmahl verwechselt werden könne. Und sie erzählte von Verhandlungen über die musikalische Gestaltung angesichts der seit Jahrhunderten unverändert gebliebenen orthodoxen Liturgie, die nur durch menschliche Stimmen vorgetragen werden dürfe.
Sich „von Angesicht zu Angesicht treffen“
Ihr Resümee: „Der Ökumenische Kirchentag ist verfahren wie das biblische Apostelkonzil. Dieses Zusammentreffen von Paulus, Barnabas und Titus, einem getauften Griechen, mit Petrus, Jakobus und Johannes entschied über die Zukunft des Christentums.“ Damals wie heute sei wichtig, dass man sich von Angesicht zu Angesicht treffe, Streit beiseitelege, Zugeständnisse mache und den Einfluss der radikalen Flügel um des Gemeinsamen willen zurückdränge. „Am Ende des 2. Ökumenischen Kirchentages stand der Dank, aber keine Selbstzufriedenheit“, formulierte Ueberschär als Resümee, bevor sie den Schlusssatz, der am Ende des Kirchentags von beiden Präsidenten gemeinsam gesprochen wurde, zitierte: „Lasst uns gemeinsam den Aufbruch wagen!“
Ueberschärs „anschauliche Reise durch die Welt des Kirchentags“, wie Domning den Vortrag im Anschluss bezeichnete, stieß auf großen Beifall und war vieldiskutiertes Gesprächsthema beim anschließenden Beisammensein im Haus der Evangelischen Kirche.
Foto(s): Weyer