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„Jahrelang hat mich dieser Traum verfolgt…“

Henny Franks gehört zu den jüdischen Kindern, die in den Jahren 1938/1939 durch die „Kindertransporte“ nach England gerettet werden konnten. Sie hatte, wie ihre beiden Geschwister, das Glück, auf diese Weise der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu entgehen.

Zum dritten Mal war Henny Franks im April 2016 auf Einladung des Schulreferates für eine Woche in Köln zu Besuch. „Es war uns Schulreferenten ganz wichtig, dass Henny Franks, die mittlerweile 92 Jahre alt ist, uns noch einmal besuchen kommt“, betont Rainer Lemaire, Referent im Schulreferat des Evangelischen Kirchenverbands Köln und Region. Auch für Henny Franks war dies eine besondere Reise: Während ihres Besuchs sollten sechs Stolpersteine für ihre Familie verlegt werden: Zwei für ihre Eltern, Helene und Jakob Grünbaum, am Kleinen Griechenmarkt 61-63, vier weitere am Thürmchenswall 44 für ihren Großvater David, seine zweite Frau Martha und die beiden Cousins Alfons und Bernhard.

Kölner Stolpersteine von Henny Franks Familie


Schülerinnen und Schüler von vier Schulen sponserten die Stolpersteine
Henny Franks war bei beiden Stolpersteinverlegungen dabei – gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern aus vier Kölner Schulen. Die Jugendlichen hatten das Geld für die Stolpersteine gesammelt und gespendet. Die Recherchen und die Termin-Koordination für die Stolpersteine übernahm ein Fachmann: Ibrahim Basalamah – er ist Mitarbeiter im NS-Dokumentationszentrums in Köln.

Als Zeitzeugin in der Schule
Während ihres Aufenthaltes besuchte Henny Franks alle vier beteiligten Schulen: das Schiller Gymnasium, die Käthe Kollwitz Realschule, das Berufskolleg Ehrenfeld und die Johann-Joseph-Gronewald-Schule (Förderschule für Hören und Kommunikation). Dort berichtete sie von ihrem Leben in Köln vor der Zeit der Judenverfolgung, von der Reichspogromnacht im November 1938, ihrer Rettung nach England und ihrem Leben nach Kriegsende.

Albträume, ein Leben lang
Besonders beeindruckend waren einzelne Erlebnisse, die Henny Franks den Schülerinnen und Schülern eindrücklich schilderte. Noch lange nach dem Krieg hatte sie immer wieder den gleichen Alptraum: „Ich halte eine Türe zu, hier in meinem Haus in England; denn es wollen Leute hinein… Als ich meinem Sohn davon erzählte, der als Hypnotherapeut arbeitet, kam heraus, dass dieser Traum von der sogenannten Kristallnacht herrührt“, berichtet die agile Seniorin. Henny Franks hatte als Kind erleben müssen, wie die Nationalsozialisten in das Wohnhaus eindrangen und das Erdgeschoss verwüsteten. Glücklicherweise verschwand der Albtraum, nachdem sie den Grund dafür erfahren hatte.

Auch gute Erinnerungen
„Henny Franks macht es den Schülerinnen und Schülern leicht, mit ihr über die schwierige Zeit zu sprechen“, ergänzt Schulreferent Rainer Lemaire. Es gab auch viele Menschen, die ihr und ihrer Familie geholfen haben. Abends brachte man dem Vater, der eine Schneiderei hatte, heimlich Arbeit, damit er weiterhin Geld verdienen konnte; denn offiziell durfte niemand mehr beim „Juden“ einkaufen! Eine Erinnerung hat sich besonders eingegraben: Als die Züge in Hoek van Holland ankamen, bereiteten die niederländischen Frauen den Kindertransportkindern ein herzliches Willkommen. Dann gab es für die Kinder Kakao, Brote, Schokolade!

Geschichte über persönliche Schicksale „erleben“
Wie wichtig persönliche Schicksale für den Zugang zur NS-Geschichte für Schülerinnen und Schüler sind, weiß Rainer Lemaire aus langer Erfahrung: „Die Schüler interessieren sich für den Menschen und seine Geschichte, sie verschließen nicht ihre Augen und Ohren“, erläutert Lemaire. „Darum sind uns die Gespräche von Henny mit den Schülern so ein wichtiges Anliegen!“ – Zugleich dürfen die anderen Geschichten darüber nicht in Vergessenheit geraten: In Köln wurden über 1.160 Kinder und Jugendliche deportiert und ermordet.

Aktueller Bezug zur heutigen Situation der Flüchtlinge
Die Fluchtgeschichte von Henny Franks berührte in den Gesprächen immer wieder die gegenwärtige Situation in Deutschland: Auch heute sind Kinder ohne ihre Eltern auf der Flucht. Was werden sie als alte Menschen darüber erzählen? Wie wurden sie aufgenommen? Werden sie die Möglichkeit haben, sich hier bei uns eine Existenz aufzubauen – so wie Henny Franks damals in England? Für die Jugendlichen und das Team des Schulreferates und Pfarramts für Berufskollegs steht jedenfalls nach dieser bewegenden Begegnung fest: „Wir bleiben auf jeden Fall mit Henny Franks in Kontakt… und wer weiß, vielleicht gibt es ein Wiedersehen in Köln?!“

Text: Dr. Rainer Lemaire
Foto(s): Dr. Rainer Lemaire