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Ist Hartz IV eine Herausforderung für die Kirche? Autor des Buches „Leben mit Hartz IV“ und zwei Pfarrer diskutierten darüber in Lindenthal

Die These eines Professors aus Ostdeutschland, dass Hartz-IV-Empfänger mit 135 Euro im Monat auskommen könnten, war an diesem Abend in der Matthäuskirche noch nicht bekannt. Schade eigentlich, denn die drei Männer, die auf dem Podium saßen und miteinander diskutierten, hätten zu der These bestimmt eine Menge zu sagen gehabt.


Hartz IV – eine Herausforderung für die Kirche?
Die drei Männer, das waren Dr. Thomas Wagner, Autor des Buches „Draußen – Leben mit Hartz IV – eine Herausforderung für die Kirche und ihre Caritas“, dazu kam Karl-Heinz Iffland, Diplom-Theologe und -Psychologe, Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Ehrenfeld, Obdachlosen- und Notfallseelsorger und Vorstandsvorsitzender des Kölner Arbeitslosenzentrums (das Träger der Obdachlosenstation Gulliver und des Lobbyrestaurants LoRe ist), und Franz Meurer, Pfarrer von St. Theodor in Vingst und Initiator zahlreicher sozialer Projekte, etwa des HöVi-Landes und der ökumenischen Familienwerkstatt. Wagner, seines Zeichens auch Mitarbeiter des Oswald-von-Nell-Breuning-Institutes für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik und Lehrbeauftragter an der Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt – mit den Arbeitsschwerpunkten Sozial- und Arbeitsmarktpolitik – ist auch beteiligt beim Ausbau eines Sozialmonitorings im Bistum Limburg. Dabei wird untersucht, wie kirchliche Hilfe bei den Bedürftigen ankommt und wo Verbesserungen möglich sind. Die Evangelische Kirchengemeinde Köln-Lindenthal hatte zu der Podiumsdiskussion anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Lindenthaler Dienste eingeladen.

Betroffene schildern ihre Situation
Zunächst las Wager einige Passagen aus seinem Buch vor. Er hat zahlreiche Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger interviewt und anhand dieser Interviews deren Lebensumstände der Öffentlichkeit vorgestellt. Zahlreiche Schicksale finden sich in dem Buch. Da ist von einem 38-jährigen Mann die Rede, der wegen Krankheit aus einem Beschäftigungsprojekt ausscheiden muss, sich dann mit einem Glasreinigungsbetrieb selbstständig macht und wegen Kundenmangels in die Pleite schlittert – mit mehreren tausend Euro Schulden. Auch eine alleinerziehende Frau kommt zu Wort, die vier Kinder durchzubringen hat. Sie hat alle zehn Tage 100 Euro zum Einkaufen. Selbstständig war auch der Computerexperte, mit dem Wagner gesprochen hat. Der war 30 Jahre in der IT-Branche tätig, hat gut verdient, konnte sich sogar ein Haus leisten. Doch plötzlich brachen die Aufträge weg und irgendwann waren dann auch sämtliche Rücklagen aufgebraucht. Das ging so weit, dass der Mittfünziger kein Geld mehr hatte, um die Renten- und Krankenversicherung zu bezahlen. Nun lebt er von Hartz-IV und hat ein Café in den Räumen einer Kirchengemeinde gegründet. Dort berät er Leidensgenossen und -genossinnen.

Menschen zu dem zu verhelfen, was sie brauchen
Karl-Heinz Iffland stellte zu Beginn seines Statements die Frage in den Mittelpunkt „Warum gelingt es nicht, Menschen zu dem zu verhelfen, was sie brauchen?“. Bei dem derzeitigen Hartz-IV-Satz stünden jedem Empfänger täglich 11,70 Euro zur Verfügung. Von dem monatlichen Satz müsse man die Ansparleistung abziehen, die verwendet werden solle etwa für den Ersatz einer kaputten Waschmaschine. Der monatliche Ansparabzug vom Regelsatz beträgt 28 Euro. Iffland kennt eine alleinerziehende Mutter, die für ihre Kinder einen Computer von Freunden geschenkt bekommen hat, aber von Hartz IV die Internet- und die Stromkosten nicht bezahlen kann. „Die Menschen haben nicht mehr teil am gesellschaftlichen Leben, ganz zu schweigen von der Ernährung, die für so wenig Geld auch nicht gesund sein kann“, fasste Iffland zusammen und fuhr fort: „Viele Hartz-IV-Empfänger fühlen sich wie Freigänger im offenen Strafvollzug.“

Arme Eltern haben arme Kinder
In die gleiche Kerbe schlug Pfarrer Meurer aus Vingst, oft als „sozialer Brennpunkt“ bezeichnet. „Bei mir leben 40 Prozent der Menschen von staatlichen Transferleistungen. 60 Prozent sind Jugendliche. Arme Eltern haben arme Kinder. Der Schlüssel ist Bildung.“ Meurer schwört auf die Ökumene: „Alles, was wir ökumenisch machen, ist doppelt so gut und nur halb so teuer.“ Als Beispiel nannte er das HöVi-Land. Zuwendung sei für viele arme Menschen in seinem Veedel mindestens so wichtig wie Bildungsprogramme, die ja doch immer nur nach bürgerlichen Maßstäben ausgerichtet seien. „Nicht die Hartz-IV-Empfänger müssen sich ändern, wir Bürgerlichen müssen uns ändern.“ Und weiter: „Ein Pfarrfest, bei dem man was bezahlen muss, ist krank.“ Und die Stunde der Solidarität schlage sowieso in mittlerer Zukunft. „2035 haben 50 Prozent aller Deutschen keine direkten Nachkommen mehr, 20 Prozent haben noch nicht mal mehr einen direkten Verwandten. Dann kommen wir“, so Meurer, „denn wir haben die Macht der kleinen Leute.“

Stichwort: Lindenthaler Dienste
Die Lindenthaler Dienste vermitteln Helfende, die bei der Haushaltsführung und im Alltag unterstützen. Die Helferinnen und Helfer stehen zur persönlichen und sozialen Betreuung zur Seite, können allerdings keine Pflegeleistungen erbringen. Das Team der Lindenthaler Dienste stellt nicht nur den Kontakt zwischen Kunden und Mitarbeitenden her, sie besuchen auch alle Kunden zuhause und lernen die Helferinnen und Helfer in einem Vorstellungsgespräch kennen. Kontakt über Lindenthaler Dienste e.V., Telefon 0221/476 98 44.

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Stefan Rahmann